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      Zurück in ihrer Wohnung wäscht Rita die Backform ab und die Schüsseln mit den fetten Buttercremeresten. Den Rest Schmutzgeschirr rührt sie nicht an. Nur den Steinmörser nimmt sie sich noch vor. Vorsichtig spült sie ihn aus, sorgfältig, lässt viele Liter Wasser darüber laufen, bis keine Spur mehr übrig ist vom fein gemahlenen Staub von kobaltblauem Bleikristallglas.

      Reinhard Georg Starzner

      Leckermäulchen

      Eine Krähe kreist über dem Platz, krächzt rau in den bleigrauen Himmel, äugt nach abfallenden Leckerbissen. Zu früh noch: der Markt öffnet eben erst. Es ist Mittag, und die winterlichen Wolken türmen sich schwer über dem Schloss; in ein paar Stunden schon wird es wieder dunkel sein.

      Kapuste wickelt den heiligen Josef aus: echtes Schnitzwerk aus dem Erzgebirge, feines Kunstgewerbe, nicht das billige Zeug aus Fernost. Und während er eine weitere Figur, das Jesuskind dieses Mal, aus der Ummantelung aus altem Zeitungspapier befreit, entfaltet sich Wort für Wort die grausige Nachricht vom Dezember vergangenen Jahres:

      KLEINE LEONIE: GESCHÄNDET UND ERWÜRGT!

      Nebenan schließt Stechow seine Süßigkeitenbude auf. Kapuste wedelt mit der Zeitung: »Morjn … haben die das Schwein damals eigentlich gefasst?«

      »Nix mehr von gehört«, knurrt Stechow und fängt an, die Gläser mit den Bonbons auf dem Verkaufstresen aufzureihen.

      »Eigentlich unfassbar … mitten im Park, am Nachmittag. Man denkt, da müssten die Leute doch was mitkriegen.«

      Stechow poliert ein Glas mit roten Himbeerdrops. Er blickt mit zusammengekniffenen Augen hinüber zum grau verhangenen Schlossgarten.

      »Denkst du? Auf jeden Fall können wir ein bisschen aufpassen. Wär’ schlimm, wenn noch mal was passiert …«

      »Ich bin die Königin, und ich wohne im Schloss, und …«

      »Tust du nicht!«

      »Wohl!«

      »Nicht!«

      »Wirst ja sehen …«

      »Luise, Sophie … warum streitet ihr schon wieder?«

      Luise holt tief Luft. »Sophie sagt, sie ist die Königin, und dass sie im Schloss wohnt …«

      Alma lächelt nachsichtig. »Sophie, du bist also die Königin? Okay. – Luise? Erinnerst du dich, wie du letzte Woche Räuberhauptfrau warst? Siehst du, deshalb darf Sophie heute auch Königin sein …«

      Alma arbeitet gerne bei den Leckermäulern. Die Kinder kommen aus gut situierten Familien. Luise, Sophie, Ruben und Co.: allesamt pflegeleichter als Melanie, Vanessa, Mohammed und die anderen in der Moabiter Kita, wo Alma ihre Anstellung sehr bald gekündigt hatte.

      Heute allerdings sind die Leckermäuler völlig überdreht – und Alma hat Kopfschmerzen. Wie so oft fühlt sie alle Verantwortung auf sich lasten. Karin hat ihre Tage, die ist gerade zu gar nichts zu gebrauchen, und Jens, der Zivi – gut, er bemüht sich, aber er ist oft unaufmerksam. Letzten Freitag zum Beispiel, auf dem Weg zum Spielplatz, da hat er übersehen, dass Linus und Ruben nicht zur Gruppe aufgeschlossen hatten …

      Johanna zupft sie am Ärmel. »Alma, treffen wir den Weihnachtsmann?«

      »Mal sehen, ich denke schon … Dreierreihe und Fertigmachen zum Abmarsch! Bruno, du hast ja noch immer nicht deine Jacke an? Karin, würdest du mal …«

      »Der Weihnachtsmann kommt zu mir in mein Schloss!« kräht Sophie.

      Luise tippt sich mit dem Zeigefinger an die Stirn, und Jens kann gerade noch verhindern, dass Sophie ihren rosa Lillifee-Rucksack nach Luise schleudert.

      Alma zählt die Gruppe durch, tastet nach den Aspirintabletten in ihrer Manteltasche.

      Kapuste und Stechow beobachten, wie sich der Schlossvorplatz allmählich mit Besuchern füllt. Die ersten Rostbratwürste werden gewendet, ein Sack Maronen wird auf auf einem heißen Ofenblech ausgeschüttet, der Weihnachtsmann zupft prüfend an seinem weißen Polyesterbart.

      Kapuste streckt den Kopf zwischen seinen Krippenfiguren hervor. »Wie viele von denen sind dieses Jahr eigentlich unterwegs?«

      »Voriges Jahr waren es zwei, glaub ich. Wechselschicht«, sagt Stechow.

      Kapuste wirft dem rot kostümierten jungen Mann einem kritischen Blick zu. »Den da hab’ ich hier noch nie gesehen!«

      Stechow hört nicht mehr hin, er hat einen Kunden zu bedienen – eine kleine Hand mit einem Fünfzig-Cent-Stück streckt sich über den Tresen nach oben. »Einmal von den blauen …«

      Stechow beugt sich zu dem Knirps nach vorne. »Gibt’s nur tütenweise, junger Mann«, sagt er.

      »Für einen halben Euro, bitte … «

      Stechow bemüht sich freundlich zu bleiben. »Ab hundert Gramm zu dreifuffzig.«

      »Und die gelben mit den blauen Streifen?«

      »Auch dreifuffzig. Genau wie die Himbeer, die Pfefferminz, die Anis … Weißt du, was? Frag deine Mutti, und dann komm wieder!« Es ist immer das gleiche. Und wenn man nicht aufpasst wie ein Luchs, machen manche sogar lange Finger …

      Die weiteren Verkaufsverhandlungen gehen in Geschrei unter, eine Kitagruppe hat die Budenstraße gestürmt. Stechow reibt sich die klammen Hände: Natürlich, als erstes entdecken die Kleinen den Weihnachtsmann, aber später werden ihnen die bunten Bonbons ins Auge stechen. Potentielle Kundschaft.

      »Ich will zur Engelsmühle!«

      »Wo sind die Rentiere?«

      »Trinkst du auch Kinderpunsch, Alma?«

      Almas Kopf dröhnt. Angesichts der Überflutung buntweihnachtlicher Reize brüllen die Kids aufgeregt durcheinander, sind kaum unter Kontrolle zu halten. Und jetzt fängt auch noch die Blechbläsergruppe mit ihrem scheppernden Platzkonzert an. Ihr Kiiinderlein, kooommet …

      Alma wirft einen Blick auf die Uhr des blau illuminierten Schlossturms: kurz nach halb vier. In einer halben Stunde ist der Spuk vorbei. Herr Hardenberg, der Vater von Sophie, will seine Tochter um vier abholen; freundlicherweise hat er angeboten, auch einige andere aus der Gruppe nach Hause zu fahren. Vielleicht können Karin und Jens die übrigen Kinder alleine zurückbringen, und Alma kann früher Schluss machen. Die Kopfschmerzen sind kaum auszuhalten, hoffentlich ist da keine Grippe im Anzug …

      Beim Elterncafé haben sich mehrere Mütter gegen den Besuch des Weihnachtsmarkts ausgesprochen, sich aber nicht durchsetzen können – zu Almas Bedauern. Übereinstimmung hat allerdings darüber geherrscht, dass der Ausflug vor Einbruch der Dunkelheit beendet sein müsse. Natürlich ist es von niemand ausgesprochen worden, doch Alma ist sicher, alle haben an den entsetzlichen Vorfall vom letzten Jahr gedacht. Wie war der Name der armen Kleinen? Leonie?

      Almas wachsamer Blick schweift über die Gruppe: Johanna, Linus, Sophie, Bruno …

      »Der Weihnachtsmann!«, schreit Luise, und schon hängt sie am Rockzipfel des Rotgewandeten.

      Jetzt gibt es auch für den Rest der Gruppe kein Halten mehr.

      »Weihnachtsmann! Weihnachtsmann! Kommst du mit mir auf mein Schloss?« – Sophie natürlich.

      Der junge Mann verteilt Süßigkeiten aus einem Jutesack. Er streicht Luise über die dunklen Locken. Karin und Jens lächeln, doch Almas Argusaugen beobachten die Situation kritisch. Muss der Weihnachtsmann die Kinder unbedingt anfassen? Sie klatscht in die Hände und ruft: »Wer hat Lust auf Bio-Bratwurst?«

      »Ist das ein Rentier?«

      »Das ist ein Esel. Der gehört neben den Ochsen in den Stall«, erklärt Kapuste geduldig und stellt die Schnitzfigur vorsichtig zurück an ihren Platz.

      »Ich

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