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wurde kein Mann-Frau-Wesen, sondern nur ein Mann mit weiblichen Körperformen. Im Grunde stellt die ganze antike griechische Plastik den Versuch dar, die Problematik der menschlichen Bisexualität irgendwie zu bewältigen und dabei den sexuellen Idealen eines päderastischen und auch sonst homosexuell orientierten Patriarchats gerecht zu werden.

      Dieses klassische griechische Problem ist auch im biblischen Genesis-Mythos unterschwellig zu spüren. Dieser steht dem griechischen Mythos ohnehin näher, als man gemeinhin denkt. Die hermaphroditische Gottheit des ersten Bibel-Kapitels erschafft durch das Wort ihr Ebenbild in Gestalt des Mannes und der Frau. Damit wäre eigentlich alles gut, zumindest aus matriarchalischer Sicht. Aber nicht aus patriarchalischer. Und weil dem so ist, schiebt die Bibel sofort eine zweite Geschichte von der Menschenerschaffung hinterher, ohne die erste vollständig zu tilgen. Diese ist als matriarchalisches Fragment, das man leicht überliest, erhalten geblieben.

       Adam, der erste Sohn und Geliebte Gottes

      In der zweiten, breit erzählten, uns allen vertrauten Geschichte von Adam und Eva erscheint die Gottheit endlich als personifizierter Mann: als Patriarchengott. Dabei fällt auf, dass die christliche Ikonografie diesen Gott nicht als viriles Mannsbild zeichnet, sondern als weißhaarigen Opa – auch das ein Versuch, Gott zwar als männlich zu inthronisieren, ihn aber gleichzeitig zu entsexualisieren. (Aus ähnlichen Gründen wird man beizeiten auch den Heiligen Josef, den Ziehvater Jesu, zum alten, etwas vertrottelten Mann degradieren. Schließlich soll niemand auf die Idee kommen, Josef könne womöglich doch Jesus’ leiblicher Vater sein.)

      Der Gott der zweiten Geschichte erschafft nicht mehr zwei gleichwertige erste Menschen durch das Wort, wie die erste Geschichte mitteilt, sondern nur noch einen einzigen. Und den per Hand. Als Ebenbild dieses nunmehr ausschließlich als männlich vorgestellten Gottes muss der erste Mensch logischerweise auch ein Mann sein. Auf die gleiche handwerkliche Weise auch eine Frau zu schaffen, unterlässt der männliche Gott, denn sie würde ja nicht der Ebenbildlichkeit genügen.

      Dass sich Adam ohne Frau nicht fortpflanzen kann, scheint Gott fürs Erste nicht zu interessieren. Dieser Umstand verleiht der zweiten Schöpfungsgeschichte von Anbeginn an eine latente homosexuelle Note. Gott schafft sich in der Art eines Bildhauers eine lebendige Kopie seiner selbst: Adam, wenn man so will, ist das Abbild Gottes als junger Mann. Und dieses narzisstische Ebenbild seiner selbst will er offensichtlich ganz für sich alleine haben. Uns drängt sich der Gedanke auf, dass Gott sich dieses Ebenbild schafft, um sich auf die antike griechische Art narzisstisch in es zu verlieben. Er bläst ihm durch die Nase den ›lebendigen Odem‹ ein. Man könnte auch sagen: Gott gibt Adam einen Nasenkuss. Dieser ist alles andere als harmlos, stellt er doch die orientalische Form des Liebeskusses dar.

      (Nicht umsonst hat die Nase von allen Organen des menschlichen Körpers die größte Affinität zu den Genitalien, ja sie ist, wie Wilhelm Fließ (1858 – 1928), ein langjähriger Freund Sigmund Freuds, entdeckt hat, ein verkapptes Sexualorgan, versehen mit ›Genitalstellen‹ von kavernösem Bau, die bei sexueller Erregung anschwellen, im Prinzip nicht anders als Penis und Klitoris. Von daher muss man nicht weiter erklären, was aus psychoanalytischer Sicht mit Gottes ›Blasen‹ von Adams ›Nase‹ gemeint ist.)

      Die zarte homoerotische Spannung zwischen dem alten männlichen Gott und seinem jungen menschlichen Ebenbild hat Michelangelo in seiner berühmten Darstellung der Erschaffung Adams genial ins Bild gesetzt: in den zärtlich sich berührenden Zeigefingern. Finger haben per se einen starken erotischen Reiz: weil auch der Finger, nicht anders als die Nase, den Penis symbolisiert, nicht zuletzt in unseren Träumen. In der Berührung oder Fast-Berührung der beiden Finger hat Michelangelo nichts Geringeres als den Urreiz des Sexuellen dargestellt, zumal da Adams laszives Daliegen und sein auf dem Schenkel ruhender knabenhafter Penis auf subtile Weise mit dem Spiel der Zeigefinger korrespondieren.

      Adam erscheint hier als Gottes erster Sohn – und als sein Geliebter. Jesus Christus, Gottes zweiter Sohn, wird in der christlichen Fortschreibung des alttestamentarischen Mythos als ›zweiter Adam‹ die konkrete Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott aufs Neue bezeugen. Jesus’ Geschlechtsteile sind, wie bei Adam auch, wie selbstverständlich darin eingeschlossen. Jesus’ Penis hat die christliche Ikonografie, zumindest bei der Darstellung des göttlichen Kindes, nie verleugnet, im Gegenteil, sie hat ihn geradezu genüsslich ins Bild gesetzt. Der Penis eines Knaben, egal, ob göttlich oder nicht, bewahrt durch alle Zeiten und Kulturen seine Unanstößigkeit. Hingegen gibt es kaum Darstellungen des Gekreuzigten mit entblößtem Geschlecht. Dabei weiß man, dass die Römer ihre Opfer nackt ans Kreuz geschlagen haben. Mir ist nur Michelangelos berühmtes Kruzifix in der Sakristei der Kirche Santo Spirito in Florenz bekannt. Freilich hat auch hier der Künstler den Penis des Gekreuzigten so zierlich gestaltet, dass er wie der eines Knaben erscheint und somit ebenfalls keinen Anstoß erregt. Selbst noch am Kreuz soll Jesus Christus die ›kindliche Gottheit‹ bleiben.

      Doch zurück zu Adam. Dieser steht, aus gewässertem Ackerstaub geformt, mitsamt seinem Penis nackt und allein in der Welt: ein getreues Abbild seines Schöpfers. Er gleicht dem Herrn so sehr, dass, wie die jüdische Sage weiß, selbst die Engel ihn zuerst mit Gott verwechseln und in Ehrfurcht vor ihm erstarren. Adam ist »das Blut vom Blute des Ewigen«, wie es in den alten Sagen der Juden heißt. Seine Gestalt reicht gottgleich von der Erde bis zum Himmel. Erst später wird Adam von Gott zum Winzling eingeschrumpft, damit die Verwirrung der Engel ein Ende hat – und Gott nicht fürchten muss, dass ihm sein menschliches Ebenbild den göttlichen Rang streitig macht.

       Adams tierischer Sexus

      Adam weiß erst mal nicht, was er mit sich – und seiner Geschlechtlichkeit – anfangen soll. Auch darin ist er Gott gleich, dessen Männlichkeit ja auch eines weiblichen Pendants, einer Göttin, entbehrt. Doch Adam wurde von Gott als sexuelles Wesen, als Menschentier geschaffen, und so ist von Anbeginn ein sexuelles Begehren in ihm. Er spürt, eben weil ihn Gott nicht als Kind, sondern als jungen Mann erschaffen hat, das Verlangen, sich zu paaren – nicht anders als die Tiere auch. Es kann gut sein, dass ihm erst durch den Anblick der kopulierenden Tiere der Sinn seines Begehrens klar wird. Auch bei den Nachfahren Adams, also uns, funktioniert das Kopulieren ja nicht ›von selbst‹, sondern bedarf der gesellschaftlich vermittelten Anschauung. Die Tiere koitieren von Natur aus; dem Menschen muss man zeigen, wie’s geht, weil ihm mittlerweile der Instinkt dafür fehlt. Adam lernt es von den Tieren; es gibt ja sonst niemanden, von dem er es lernen könnte.

      Unter dem Druck seiner Libido versucht Adam zuerst auf eigene Faust, eine Geschlechtspartnerin zu finden. Was liegt näher, als unter den Säugetieren danach zu suchen. Doch unter diesen »ward keine Gehilfin gefunden, die um ihn wäre«. (Genesis, Kap. 2, Vers 20) Die alten Sagen der Juden bemühen an diesem heiklen Punkt nicht den diffusen Begriff der »Gehilfin«, sondern sie teilen unverhohlen mit, dass Adam seinen Sexualtrieb an Säugetier-Weibchen zu befriedigen sucht: Er war »zuerst zu allen Tieren eingegangen […]; sein Gemüt wurde jedoch nicht eher ruhig, als bis er Eva fand und zu ihr einging.« (Die Sagen der Juden, S. 67) Mit »eingehen« ist in der Luther’schen Übersetzung ›koitieren‹ gemeint. Adam, so erzählt die Sage weiter, hatte nach seinen unbefriedigenden Versuchen in Sodomie gegenüber Gott zu murren begonnen: »O Herr der Welt! Alle Geschöpfe, die du in deiner Welt schufst, sind zu Paaren erschaffen worden; nur ich habe kein zweites Wesen, das zu mir gehörte.« (Die Sagen der Juden, S. 67)

      Und endlich hat es auch Gott kapiert: Adam braucht eine Frau. Gottes eigene narzisstische Verliebtheit in sein menschliches Ebenbild hatte in ihm einen blinden Fleck erzeugt, ein psychisches Skotom (von griechisch skotos = Dunkelheit), wie die Psychoanalyse das zu nennen pflegt. »Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.« (Genesis, Kap. 2, Vers 18) Und weil Adams Frau in jeder Hinsicht zu Adam passen soll, wird Gott sie ihm anpassen. Eva ist die an den Mann angepasste Frau. Sie ist die Frau, die von Adam kommt. So soll gewährleistet sein, dass sie auch bei ihm bleibt. Zu diesem Zweck entnimmt Gott dem Adam eine Rippe und baut daraus Eva: eine Art von Ableger-Frau.

      Über Adams erste Frau, also jene der ersten Menschenerschaffung, schweigt sich die Bibel aus; es ist, als wäre sie nie erschaffen worden. Ihr Name wird an keiner Stelle erwähnt. Dennoch wissen

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