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Verrat am Freund des Vaters, damit auch an diesem Vater selbst, Verrat an der Freundschaft zwischen den Familien Ponto und Albrecht, einer Freundschaft, die Susannes Horror-Trio überhaupt erst die Privatsphäre der Pontos zugänglich gemacht hat.

      Susanne verrät den besten Freund des Vaters an die Mörder der Roten Armee Fraktion (RAF), um mit dem entführten Jürgen Ponto die Freilassung der in Stuttgart-Stammheim inhaftierten RAF-Mitglieder um Andreas Baader und Gudrun Ensslin zu erpressen. Dass Ponto dabei zu Tode kommt, ist wohl nicht geplant, wird aber als Möglichkeit auch nicht ausgeschlossen. Während der Vorbereitung der Entführung absolviert Susanne einen zweitägigen Intensivkurs in Solidarität, von RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock – dem Fahrer des Fluchtautos nach der Tat in Oberursel – später »Gehirnwäsche« genannt, und muss dabei wahrscheinlich immer wieder weinen. Sie selbst sagt allerdings in den Vernehmungen, sie sei durchaus nicht von der Gruppe »erpresst« worden, sie habe den Verrat letztlich begangen, »um etwas für die Gefangenen zu tun«.1

      Der Gruppenzwang und das Einverständnis mit dem revolutionären Programm der RAF haben Susanne Albrecht dazu gebracht, einen an sich verruchten Verrat gutzuheißen und sogar selbst durchzuführen – das Bekennerschreiben ist von ihr unterzeichnet. Wäre sie aus diesem Kontext ausgestiegen, hätten die RAF-Banditen sie als Verräterin eingestuft und womöglich hingerichtet. Einmal in diese extreme Konstellation geraten, blieb Susanne nichts anderes mehr übrig, als eine Verräterin zu werden – entweder an ihrer natürlichen Familie oder an der gewählten Terror-Familie. Diese Ausweglosigkeit fügt dem eigentlichen Verbrechen – der Täuschung und der Mitwirkung an der Tötung Jürgen Pontos – eine Note hinzu, die man »tragisch« nennen möchte, wäre man sicher, damit nicht einer Täter-Romantik zu huldigen. Sie darf den für den Rest ihres Lebens traumatisierten Familien Ponto und Albrecht nicht zugemutet werden. Auf den verständlichen Vorwurf der Täter-Romantik lief der Haupteinwand der Witwe Ponto – und einiger Kinder anderer Opferfamilien – gegen den an sich durchaus eindrucksvollen Film »Der Baader Meinhof Komplex« (2008) hinaus, einen vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen geförderten Film, den Bernd Eichinger mit dem Regisseur Uli Edel nach dem gleichlautenden Buch von Stefan Aust produziert hat.

      Wie Susanne Albrecht Jürgen Ponto den tödlichen Kugeln ihrer Mittäter zuführt, ist ein besonders krasses Verratsexempel. Nur so lässt sich verstehen, wieso zwei andere mit dieser Geschichte verknotete Verratsmotive kaum beachtet wurden. Susanne Albrecht lebte in der DDR unter dem falschen Namen einer in Madrid geborenen »Ingrid Jäger«, und sie hat als solche den Vater ihres 1985 geborenen Sohnes, einen Physiker, geheiratet. Dieser Vater erfuhr erst 1990, am Ende der DDR, die wahre Identität seiner Frau. Auch die jahrelange Täuschung ihres Mannes, inszeniert mit Hilfe der DDR-Staatssicherheit (»Stasi«), war gewiss keine Lappalie. Sie war ein sehr persönlicher Verrat an den Gefühlen eines Menschen; und an dem Vertrauen, das er ihr geschenkt hatte.

      Das zweite Verratsmotiv in diesem Zusammenhang betrifft die Familie von Ignes Ponto. Jürgen Pontos Frau ist die Nichte von Helmuth James Graf von Moltke, dem 1945 durch die NS-Scharfrichter hingerichteten Begründer jenes »Kreisauer Kreises«, der durch seinen hartnäckigen Widerstand gegen die NS-Diktatur berühmt geworden ist. Bedenkt man den antifaschistischen Anspruch der RAF, so erscheint die Tötung eines Menschen ausgerechnet aus diesem Familien-Umfeld als besonders makabrer Fehlgriff – als später Verrat am guten Geist jener Deutschen, die den Nazis Widerstand geleistet haben. Ein Hinweis darauf, dass die vermeintlich antifaschistische RAF keine Scheu hatte, selbst faschistisch zu werden.

      Dies wird durch ihre Konspiration mit antijüdischen palästinensischen Terror-Gruppen plausibel; auch zum Beispiel durch jenen unerhörten Selektions-Vorgang, der sich im Juli des Jahres 1976 ereignete: Deutsche und palästinensische Terroristen hatten unter der Führung von zwei mit der RAF sympathisierenden Gründungsmitgliedern der dezentral organisierten »Revolutionären Zellen« (RZ), Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann, eine mit 253 Passagieren besetzte Maschine der Air France, die von Tel Aviv nach Paris fliegen sollte, während des Fluges gekapert und zur Landung im ugandischen Entebbe gezwungen. Mit der Entführung sollten 53 politische Gefangene, die in deutschen, israelischen, schweizerischen und französischen Gefängnissen saßen, freigepresst werden, darunter der in Deutschland als lustiger Anarchist verharmloste Fritz Teufel. Kurz bevor der israelische Geheimdienst dieser einwöchigen Entführung ein tollkühnes Ende bereiten konnte, hatten die Entführer die meisten nichtjüdischen Passagiere von den jüdischen getrennt und nach Paris ausfliegen lassen, um allein mit den 77 israelischen Geiseln für spektakulären Druck zu sorgen – was wohl vor allem den Mit-Entführern von einer palästinensischen »Volksfront«-Gruppe wichtig war. Als eine der jüdischen Geiseln Böse den entblößten Arm mit der eingravierten Nummer des KZ-Häftlings hinstreckt, antwortet der Chef der Aktion, er sei kein Nazi, sondern ein »Idealist«. In der Nacht zum 4. Juli 1976 gelang es den aus 4000 Kilometer Entfernung unbemerkt mit einem Flugzeug angereisten israelischen Elitesoldaten, die Geiseln zu befreien und auszufliegen – gegen den Widerstand ugandischer Soldaten. Alle sieben Geiselnehmer wurden dabei getötet. Der ugandische Diktator Idi Amin ließ später mehrere hundert Kenianer, die in Uganda lebten, ermorden. Er behauptete, Kenia, das Verräter-Land, habe den Israelis geholfen, und übte Rache in dieser Manier archaischer Sippenhaft.

      1975 wurde bei der martialischen RAF-Aktion gegen die deutsche Botschaft in Stockholm der Militär-Attaché Andreas von Mirbach ermordet. Wer die fünf Schüsse in Kopf, Rücken, Becken und Beine des Mannes abgefeuert und ihn dann mit dem Kopf voran eine Treppe hinuntergestoßen hat – eine regelrechte Abschlachtung –, ist bis heute ungeklärt. Sein Sohn verglich in einer TV-Gesprächsrunde des Senders »Phönix« (am 10. 7. 2016) das penetrante Schweigen der meisten RAF-Täter auch nach ihren Entlassungen aus der Haft mit der Verstocktheit ehemaliger NS-Schergen nach 1945. Auch deren offenkundige Unfähigkeit, öffentlich zu bereuen, stellte er in diesen Zusammenhang. Eine Folge dieses Schweigens im Stil der mafiösen Omertà – wer das Schweigen bricht, wird als Verräter getötet – oder in der Art einer dumpfen Nazi-Kumpanei: Zumindest bis Ende 2016 konnte die Täterschaft etlicher »Hinrichtungen« der RAF nicht zureichend geklärt werden. Darunter sind außer der Ermordung von Mirbachs die Morde an Generalbundesanwalt Siegfried Buback (1977), am Siemens-Manager Kurt Beckurts und dessen Fahrer (1986), an dem Ministerialdirektor Gerold von Braunmühl (1986), am Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen (1989) und am Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder (1991 – von Fachleuten »aller Wahrscheinlichkeit« der RAF zugeschrieben). Diese serielle Blutspur mitten durch die deutsche Elite macht uns noch Jahrzehnte später fassungslos. Was wir gern vergessen: Manche der an den Taten Beteiligten oder auch nur Mitwisser leben noch, aber sie ducken sich weg – zum Beispiel Christian Klar. Nicht einmal ob die zweite »Generation« der RAF mit der jüngsten, der dritten, die wohl Rohwedder auf dem Gewissen hat, Wissen austauschte, ist jemals offengelegt worden. Mindestens die Familienangehörigen der Opfer haben einen moralischen Anspruch darauf, dass dieses schaurige Schweigen gebrochen wird. Die meisten Beteiligten scheuen sich offensichtlich, das Verweigern von Aussagen, das sie einst einander geschworen haben, zu beenden und so aus der Sicht der Tätergruppe als Verräter dazustehen. Daraus ist für sie längst so etwas wie eine zweite Schuld geworden. Sie zeigt, dass sich diese Täter und Mitwisser immer noch der Bandenmoral der RAF verpflichtet fühlen und dass das hier oft ins Spiel gebrachte Rechtsgut der Resozialisierung gescheitert ist, bevor es überhaupt greifen konnte. Dass diese Schweige-Schuld selten thematisiert wird, bisher nicht geahndet wurde und wohl auch nie geahndet werden wird, ist ein bleibendes Skandalon der RAF-Geschichte.

      Der Verrat an Jürgen Ponto war der erste Akt im dramatischsten Herbst der bundesrepublikanischen Geschichte, jenem sprichwörtlich gewordenen »Deutschen Herbst«, der in der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer, dem Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Industrie, im September und Oktober 1977 gipfelte. Es war das furchtbare Ende eines weiteren RAF-Versuchs, die Gefangenen in Stuttgart-Stammheim freizupressen. Die im dortigen Hochsicherheitstrakt einsitzende Kerntruppe hatte über Kassiber von ihren Mitstreitern draußen eine Befreiungsaktion eingefordert: »Wenn ihr es nicht schafft, uns herauszuholen, dann nehmen wir unser Schicksal selbst in die Hand«2 – womit wohl entweder eine Geiselnahme im Gefängnis (dort gab es ja Waffen) oder ein spektakulärer Gruppen-Selbstmord gemeint war. Letzteres hätte Brigitte Mohnhaupt und ihren Kampfgefährten draußen sozusagen das Gütesiegel RAF genommen, hätte sie in den Augen der Polit-Gemeinde

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