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Die Pfaffenhure. Alice Frontzek
Читать онлайн.Название Die Pfaffenhure
Год выпуска 0
isbn 9783839269060
Автор произведения Alice Frontzek
Издательство Автор
Martin griff in seine Westentasche und zog eine Münze heraus. Alexis ebenso.
Martin schaute sich nach den Mädchen um. Sie waren im Begriff zu gehen. Aber nun drehte sich die Hübschere zu ihm um, lächelte ihn verlegen an und winkte unauffällig auf Hüfthöhe. Martin winkte genauso zurück und zwinkerte ihr zu.
Der Aufsicht führende Magister nahm das Geld und ging zur Fleisch- und Brotbank, kaufte ein paar leckere Sachen, und zusammen liefen sie gut gelaunt und einträchtig zurück in die Burse in den Speiseraum, wo sie gemeinsam aßen und tranken. Drei Bursalen holten ihre Instrumente und spielten Musik. Immer wieder legten ihre Bursengenossen beiden freundschaftlich die Arme um die Schultern und prosteten ihnen zu.
Martin erhob sich und lallte – denn so viel Bier war er nicht gewohnt: »Ich denke, das war nur der Anfang aller Depositionen, die uns allen ein ganzes Leben hindurch nicht erspart bleiben – nur ein Vorspiel dessen, was uns in Ausbildung, Ehe und Beruf bevorsteht. Wir danken für die Aufnahme.«
Der Bursenrektor nickte anerkennend. Der junge Martinus hatte die Lektion verstanden. Alle klatschten und stießen auf die klugen Worte an. Das Studium konnte beginnen.
Lange saßen sie beisammen. Bier und Wein machten sie redselig, und so lernten sie die anderen Bursalen schnell kennen und freundeten sich an. Martin wusste nun, dass man hier trinkfest sein musste, denn die älteren Studenten unterhielten sich lebhaft über ihre lustigen Zusammenkünfte in der Vergangenheit und stießen an, auf die, die noch kommen würden.
Am 23. April begannen die ersten Vorlesungen und Disputationen. Die Vorlesungen hielten entweder ordentliche Lehrstuhlinhaber oder Bakkalare sowie junge Magister, und sie wurden durch Übungen und Wiederholungen ergänzt. In den Disputationen wurde eine Frage in Rede und Gegenrede behandelt und gelöst. Anfangs war Martin zurückhaltend, aber als er merkte, dass er in Rhetorik den anderen in nichts nachstand, beteiligte er sich eifrig. Besonders mochte er die Quodlibet-Disputationen, in denen alles Mögliche zum Gegenstand der Diskussion gemacht werden konnte. Vor allem die Werke des Aristoteles wurden vorausgesetzt. Martin plante zum frühestmöglichen Zeitpunkt, nämlich anderthalb Jahre nach Aufnahme des Studiums, sein Bakkalariatsexamen abzulegen. Es war also keine Zeit zu verlieren.
Die Studien der Philosophie, die Urmutter der Sieben Künste, waren anspruchsvoll. Sein Professor war Bartholomäus Arnoldi. Er kam aus dem Ort Usingen, weshalb ihn die Kollegen auch Usingensis nannten. Er liebte Aristoteles, die Logik und den Nominalismus. Martin merkte sofort, dass er von diesen Themen noch wenig verstand. Es galt, die wichtigsten Philosophen und ihre Überlegungen kennenzulernen – Zeit, die Bibliothek aufzusuchen.
Beim ersten Rundgang hatten sie bereits kurz durch die Tür hineingucken können. Nun trat Martin ein und war überwältigt von der Menge der Bücher, den hohen dunklen Holzregalen mit den Tritten und fest arretierten Schiebeleitern davor, von den vielen Stehpulten und Lesetischen. Er schätzte die Zahl der Bücher auf über tausend Bände.
Der Bibliothekar sprach ihn an. »Ihr seid Bakkalar?«
»Noch nicht«, antwortete Martin. »Ich will es werden.«
»Nun, wenn Ihr etwas entleihen wollt, müsst Ihr Euch eines Magisters bedienen. Nur er darf sich eigenhändig mit Namen und Titel des empfangenen Buches, ferner Tag, Stunde und Ort, in das Registrum schreiben. Ich rate Euch, Euch schnell zu kümmern, denn immer zu Beginn der Semester werden die entliehenen Bücher zurückgegeben und sind dann auch sehr schnell wieder weg.«
Martin bedankte sich für den Hinweis, schaute sich noch ein wenig um und verließ dann die Bibliothek. Bald kam er jedoch mit einem Magister wieder und entlieh sich Johannes Baptista Mantuanus, danach die römischen Dichter Ovid und Vergil.
Alljährlich am Markustag, dem 25. April, fand eine Prozession von Erfurt nach der am Roten Berg gelegenen Markuskapelle statt. Dort waren einhundertfünfzig Jahre zuvor viele Pesttote beerdigt worden. Alle, die für diese Kapelle spendeten, anderweitige Werke der Frömmigkeit verrichteten sowie zur Kapelle pilgerten, um zu beten oder den dortigen Friedhof unter dem Gebet von fünf Vaterunsern und fünf Ave-Maria zu umschreiten, erhielten vierzig Tage Ablass.
Ganz Erfurt, so schien es, versammelte sich frühmorgens um neun Uhr auf dem Platz vor den Graden. Von der Außenkanzel an den Domstufen erinnerte der Priester die Menschenmenge an den Anlass und erzählte die Begebenheit, als am 21. März 1349 das Michaelisviertel brannte.
»Die Pest erreichte Erfurt erst ein Jahr später. Doch glaubte man, die Juden hätten das Wasser und die Brunnen vergiftet. Schließlich musste es eine Ursache für die Seuche geben. Juden schienen gegen die Krankheit gefeit. Immer wieder sehen wir, dass sie sich doch seltener anstecken. Nun, eine Gruppe um einen damaligen Ratsherrn, Hugo Lange, Stifter des goldenen Gemäldes der Kreuzigung unseres Herrn Jesus in der Ratskirche, nahm sich der Sache an und vertrieb die jüdische Gemeinde aus Erfurt. Aus Angst, sich den Erfurtern zu stellen, steckten sie ihre Häuser in Brand, die doch zum Teil gar nicht ihr Eigentum waren. So brannte es im Speicherviertel und beim Collegium Amplonianum. Doch das Ende der jüdischen Gemeinde kam zu spät. Der schwarze Tod fand seine Opfer auch in unserer Stadt. Deshalb gedenken wir ihrer an diesem Tag.«
Der Priester segnete die Prozession, und dann setzte sich der Pulk in Bewegung: die Geistlichen vorneweg, gefolgt von den Ratsherren und Patriziern, unter ihnen und dahinter Professoren der Universität, denen sich die Studenten anschlossen. Dann folgte ohne bestimmte Ordnung, so schien es, das restliche Volk.
Martin lief neben seinen Zimmergenossen. Immer wieder schauten sie interessiert nach hinten. Sie waren neugierig auf die jungen Erfurter und Erfurterinnen. Plötzlich erblickte Alexis die beiden »Mädchen von der Lehmannsbrücke«, wie Martin und er sie in ihren Gesprächen nannten. Die hatten sie schon entdeckt, und die Hübschere bedeutete ihm nun, dass Martin sich umdrehen solle.
»Sieh mal hinter dich!«, stieß Alexis seinen Freund mit dem Ellenbogen in die Seite.
Martin tat, wie ihm geheißen, und winkte überrascht, als er die beiden Schönheiten erblickte.
Der Weg zur Kapelle dauerte über eine Stunde, in der die jungen Männer und die Mädchen immer wieder Blicke und Gesten austauschten. Am Ziel angekommen, fasste sich Martin schließlich ein Herz und ging auf seine neue Bekanntschaft zu.
»Guten Tag, ich bin Martin. Schön, dass wir uns wiedersehen! Darf ich dich nach deinem Namen fragen?«
Das hübsche Mädchen senkte verlegen die Augen, aber es war ihm anzusehen, dass es sich über Martins Aufmerksamkeit freute. »Ich heiße Anna«, sagte sie schließlich und hob erwartungsvoll den Blick.
»Anna. Ein schöner Name!« Martin lächelte ihr aufmunternd zu. »Danke wegen letztens«, sagte er dann. »Magst du mir deine Stadt zeigen? Morgen oder am Wochenende?« Er bemerkte, dass Alexis ihm hektisch Zeichen machte, zu ihm zurückzukehren. »Ich muss mich wieder einreihen.« Er sah Anna entschuldigend an. »Also – werden wir uns sehen?«
»Ja, gerne«, gab sie eilig zurück. »Am Samstag. Elf Uhr am Brunnen vorm Rathaus!« Sie strahlte.
»Bring deine Freundin mit. Alexis kommt auch«, rief er ihr bereits im Weggehen zu.
Seinen Freunden zeigte er unauffällig, aber triumphierend den erhobenen Daumen, als er sich wieder zu ihnen stellte.
Sie beteten gemeinsam vor der Figur des heiligen Markus und gingen dann die erforderlichen fünf Runden. Nach Abschluss der Zeremonie sprach der Priester erneut seinen Segen und auf dem Rückweg spielten Spielleute einen freudigen Marsch.
Die Studenten unterhielten sich über die Pest und was sie davon gehört und gesehen hatten. »Alle zehn Jahre fast sucht sie uns heim. Sechzig, manchmal bis zu neunzig Prozent aller Menschen sterben an ihr. Die, die rechtzeitig fliehen und wissen, wohin, sind klug«, sagte Alexis.
»Klug oder feige? Darf ein Christ sich davonstehlen, anstatt den Kranken zu helfen?«, warf Crotus ein.
»Die Angst sollte uns eher antreiben, für unsere Seelen zu sorgen, als die Flucht zu ergreifen. Die Pest erinnert uns daran, dass die Welt