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Das Ketzerdorf - In Ketten. Richard Rost
Читать онлайн.Название Das Ketzerdorf - In Ketten
Год выпуска 0
isbn 9783839268902
Автор произведения Richard Rost
Издательство Автор
»Gut gelernt, Raymund!«, lobte ihn der Meister, als er bei seiner Rückkehr alles fehlerfrei aufsagen konnte.
Dem Obergsell, dem nichts zu entgehen schien und der von hinten neugierig zugehört hatte, gefiel es anscheinend überhaupt nicht, wenn jemand anderer als er vom Meister ein Lob bekam. »Mach dich nicht so wichtig, du Hundsfott aus dem Wald, du wirst auch noch auf die Welt kommen, dafür werde ich schon sorgen«, schnauzte er ihn im Vorbeigehen an.
Raymund schluckte. Er fand diese Bemerkung ziemlich unverschämt, wo er doch so stolz auf sich war. Einem Lehrling war allerdings jede Widerrede verboten.
»Der Meister hat ihm zwar das Prügeln der Lehrbuben verboten, aber er hält sich nicht immer dran. Du musst aufpassen, Raymund, vor allem, wenn er nach seinem freien Tag noch nicht ganz nüchtern ist und die Lehrbuben wie wild rumscheucht.« Remigius, einer der Schäfter, hatte die Szene beobachtet. Er gab ihm einige gute Ratschläge, wie er sich vor den Hieben des Obergsells rechtzeitig abducken solle.
Im Hause Benzenauer wurde mittags und abends gekocht. Um die Zwischenmahlzeiten mussten die Gesellen sich selbst kümmern und die schickten ihre Lehrlinge.
An einem Novembermorgen hatte Raymund gerade seinen Wagen vor der Werkstatt abgeladen, da wartete bereits der nächste Auftrag. Immer dieselben Fuhren, seit Wochen! Wenn das nicht bald aufhört mit diesem langweiligen Karrengeschiebe von der Oberstadt in die Unterstadt, raus in die Jakoberstadt und zurück ins Lechviertel! Immerhin kann ich den Jos jeden Abend fragen, was mich brennend interessiert.
»Jetzt kannst du gleich die Brotzeit holen, oben in der Stadtmetzg die Würste und drüben in der Bäckerei das Brot, verstanden? Aber beeil dich, Rotschopf, du hast beim Madringer viel Zeit gelassen, deine Trödelei werd ich dir austreiben«, nörgelte der Obergsell hinterher.
»Jawohl, Obergsell.« Er nickte betont untertänig und freute sich darüber, dass ihm der Spott über seine roten Haare überhaupt nichts mehr ausmachte. Und es kam ihm einer von Karls aufmunternden Sprüchen in den Sinn. Nur einfache Menschen beurteilen andere nach Äußerlichkeiten. Der gute Karl, Raymund lächelte nur. Von dir lasse ich mich nicht unterkriegen, Greisinger!
Im Lechviertel waren zwar viele Handwerksbetriebe in kurzer Reichweite angesiedelt, aber bis zur Stadtmetzg war es ein weiter Weg, sodass es einige Zeit dauerte, bis er den Rundgang beendet hatte.
Als Raymund den Gesellen, die es sich an ihrem Tisch gemütlich gemacht hatten und ungeduldig auf ihre Brotzeit warteten, den Korb auf den Tisch stellte, stand ein großer, stattlicher Mann mit einem riesigen Hut in der Werkstatt. So wie er aussah, musste er ein Patrizier oder ein Abgesandter eines mächtigen Fürsten oder gar Königs sein.
Der Benzenauer kümmerte sich persönlich um den hohen Gast und Raymund spitzte vom untersten Platz des Gesellentisches die Ohren.
»Wir haben seit einiger Zeit das Radschloss durch das Schnapphahnschloss ersetzt, Herr Castranova. Die grundsätzliche Änderung gegenüber dem Radschloss ist, dass jetzt der Hahn das aktive Element wird. Er wird von der Schlagfeder nach vorn geschleudert und trifft mit seinem Feuerstein auf einen Feuerstahl, der über die Pfanne geklappt ist.« Raymund entging nicht, dass der kluge Benzenauer die eigentliche Erfindung für sich behalten hatte.
Der hohe Gast schien sehr an den Neuerungen interessiert. »Um wie viel verkürzt sich denn die Ladezeit gegenüber herkömmlichen Hakenbüchsen2?«, wollte er wissen. Endlich wurde es interessant. Raymund rückte ein Stück näher, um ja nichts zu überhören.
»Das Entscheidende ist nicht die Verkürzung der Ladezeit, sondern die Zuverlässigkeit der Zündung, die dem Schützen die Sicherheit gibt, dass die Kugel tatsächlich fliegt, wenn die Schlagfeder zuschlägt. Das Wild muss getroffen sein, bevor es das Geräusch wahrnehmen kann. Denn jede Fehlzündung bedeutet, dass das Tier aufgeschreckt davonläuft. Zudem ist der Waidmann nicht mehr, wie bisher, mit der ständig brennenden Lunte vom Wetter abhängig«, erklärte der alte Benzenauer.
»Der hohe Herr kommt vom Dogen in Venedig, hab ich mir sagen lassen; dort brauchen sie immer wieder die neuesten Waffen für die Besatzungen ihrer Handelsschiffe im Kampf gegen die Piraten«, erklärte der Obergsell den anderen am Tisch und grinste so breit, dass seine Zahnlücke sichtbar wurde. Er erntete anerkennende Blicke am Tisch, doch der Meister drehte sich mit warnendem Blick zu den Gesellen.
»Sei still, wenn der Meister spricht!« Der Schäfter Remigius war anscheinend der Einzige, der es wagte, dem Obergsell zu widersprechen.
Der Obergsell, das wurde Raymund von Tag zu Tag deutlicher, war der heimliche Herr im Hause. Selbst der Benzenauer kam um seine Meinung nicht herum, vor allem, wenn es um technische Dinge ging.
»Halt du dein Maul, Remigius! Schließlich war ich es, der dieses Schnapphahnschloss entwickelt hat, und frag den Meister, wo wir ohne mich wären!«
»Benehmt euch wenigstens, wenn ein Gast im Haus ist!«, fuhr der Meister dazwischen.
Dem vornehmen Herrn war die Streiterei am Tisch nicht entgangen.
»Eure Waffen sind gefragt und sicherlich ist Eure Schmiede eine der fortschrittlichsten nördlich der Alpen. Dann geht es jetzt nur noch darum, dass die Waffe so dimensioniert wird, dass sie nicht nur vom Infanteristen, sondern auch vom Reiter abgefeuert werden kann.« Raymund begriff sofort, wie listig der große Herr seine Frage gestellt hatte: Weil die Venezianer so eine mächtige berittene Armee haben! Ganz sicher nicht!
»Unsere Waffen sind reich verzierte Prunkwaffen, allein die Hirschhorn-Einlegearbeiten, die wir nur auf Bestellung anfertigen, benötigen dreimal so viel Zeit wie der Rest der Büchse. Sie werden bisher hauptsächlich von Jägern benutzt, denen das Laden der Waffe keine besonderen Schwierigkeiten bereitet, da es in der Einsamkeit des Waldes oder der Stille des Vogelherds geschieht.«
»Da seid Ihr zu bescheiden, Meister Benzenauer! Eure Waffen haben das Zeug, nicht nur bei der Jagd, sondern auch im Kampf auf den Schlachtfeldern eingesetzt zu werden und den Reitern mit ihrer Leichtigkeit und einfachen Handhabung bei jedem Wetter einen großen Vorteil zu verschaffen. Die Treffsicherheit allerdings muss auf hundert Schuh Entfernung garantiert sein. Auf jeglichen anderen Zierrat könnt Ihr getrost verzichten. Ein Reiter benötigt lediglich einen großen Kugelknauf, der ihm ein schnelles Ziehen ermöglicht.«
»Ihr meint also, Herr Castranova, dass ich meinen Betrieb von Prunkwaffen auf Gebrauchswaffen für Kriegsleute umstellen soll?«
»Wir sprechen von einem Volumen von fünfhundert Waffen jährlich. Könnt Ihr das bewerkstelligen, Benzenauer?«, fragte Castranova provokant, aber selbst Raymund wusste, dass diese Zahl aus der Luft gegriffen war.
»Warum geht Ihr nicht nach Suhl, Nürnberg oder München. Da sind sie viel eher auf so große Mengen eingestellt«, warf der Obergsell vorlaut ein, und seine Zahnlücke entließ einen Schwall Spucke über den Tisch.
Der Meister schaute verärgert in seine Richtung.
»Mein Auftraggeber braucht kurze, treffsichere und wetterunabhängige Waffen ohne viel Zierrat. Darüber solltet