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Form noch am ehesten auf Wohlwollen stießen. Anders stand es jedoch mit den Evangelien. Deren Sprache wurde als simpel und kunstlos empfunden, ihr Sujet war zudem abstoßend, handelten sie doch ausschließlich von gewöhnlichen Menschen, ja sogar von Minderwertigen und Geächteten, wie Fischern, Zöllnern und Huren, die – gesellschaftlich provokant – auch noch erhöht und als Maßstab vorgestellt wurden.

      Die Verbreitung der christlichen Lehre konnte deshalb nur über die Aneignung und Nutzung bekannter Regeln der Textbehandlung und der Stilistik, die dann eben auch für die Vermittlung biblischer Inhalte genutzt wurden, geschehen, also über die Nutzbarmachung der antiken Rhetorik für die christliche Verkündigung. Dafür setzten im 4. Jahrhundert die hochgebildeten Theologen und Rhetoriker Ambrosius von Mailand und Augustinus von Hippo (Letzterer in: De doctrina christiana) Maßstäbe. In einer Doppelstrategie mussten zum einen die Verkünder der göttlichen Wahrheit, also die Kleriker, rhetorisch geschult werden (so Ambrosius in: De officiis ministrorum), zum andern musste sich die christliche Rhetorik von der paganen Rhetorik abgrenzen und ihre Überlegenheit beweisen. Predigt und Rhetorik gingen so eine Verbindung ein, die sich durch gegenseitige Abhängigkeit auszeichnete, ja geradezu zu einer Symbiose von Homiletik/ Predigtkunst und Rhetorik/Redekunst führte, wobei die Rhetorik rein funktional verstanden wird. Sie ist Instrument der Verkündigung, allerdings nach Auffassung der beiden Kirchenväter ein unverzichtbares.

       Rhetorik ist … ein basales Verfahren, um das Wort Gottes…zu erklären, zu verbreiten und zu schützen.

       (Sophia Vallbracht, S.182)

      5. Befreiung und Gerechtigkeit

      5.1 Der Exodusgott

       Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.

       (Ex 20,2)

      Die Moses-Statue von Michelangelo (1475-1564) in San Pietro in Vincoli ist neben seiner Pietà die vielleicht größte Attraktion Roms. Sie verweist in ihrer dramatischen Strenge auf den unerbittlichen, ja gewalttätigen Moses. Nach links gewandt, stützt Moses seine rechte Hand auf die Gesetzestafeln, mit seiner Linken fasst er sich in den langen Bart. Michelangelo stellt ihn unmittelbar nach seinem Abstieg vom Berg Sinai dar, als er die Israeliten beim Tanz um das Goldene Kalb vorfindet (Ex 32,1-4), worauf er erzürnt die Ermordung der Abtrünnigen befiehlt (32,27).

      Aber wie kommt Moses zu seinen Hörnern? Wohl auf Grund eines Übersetzungsfehlers. In der Vulgata des Hieronymus hieß es, Moses sei, als er vom Berg herabstieg, cornutus, also gehörnt, gewesen. Das entsprechende hebräische Wort, das dieser Übersetzung zugrunde liegt, wurde auf Grund der im Hebräischen fehlenden Vokale wohl falsch ausgesprochen, sein Inhalt – auf Moses bezogen – dadurch verfälscht wiedergegeben. Aus dem strahlenbekränzten Moses (lat. coronatus) wurde der mit Hörnern versehene. Trotz diverser Richtigstellungen durch kirchliche Autoritäten, u.a. durch Thomas von Aquin, hielt sich die falsche Darstellung in der Kunst weiterhin. Plastische Irrtümer haben wohl generell die Tendenz, sich zu verfestigen!

      Die Entstehung von Michelangelos Moses hat eine lange Geschichte. 1505 bekam der gerade mal dreißigjährige Künstler vom 1503 gewählten Papst Julius II. den Auftrag, für ihn ein Grabmal zu konzipieren, zunächst vorgesehen für die Aufstellung in der Peterskirche, die gerade im Entstehen war. Realisiert wurde das Projekt schließlich 40 Jahre später, lange nach Julius´ Tod im Jahr 1513, als abgespecktes Programm in der Kirche S. Pietro in Vincoli, an der Julius als Kardinal Giuliano della Rovere gewirkt hatte. Aufgrund der langen Entstehungszeit, der Reduktion des Projekts und der Mitwirkung vieler Künstler weist das Grabmal kein kohärentes ikonographisches Programm auf. Es entsprach in seiner Realisierung auch nicht mehr Michelangelos Intention. Nach seiner Konzeption hätte Moses, da auf Untersicht gearbeitet, seinen Platz freistehend und auf einer oberen Plattform in einer Figurennische finden sollen. Michelangelo beschrieb daher das endgültige Figurenensemble enttäuscht als opera risecata, als abgeschnittenes Werk.

      Die Marmoranlage ist zweigeschossig. Im oberen Geschoss befindet sich Maria mit dem Kind in der Mitte, darunter der Sarkophag mit der Liegefigur Julius´ II., rechts und links je eine Figur, eine Sybille und ein Prophet.

      Nur die drei Statuen im Untergeschoss sind Michelangelos Werk, Rahel zur Linken von Moses stellt allegorisch die vita contemplativa dar, Lea zu seiner Rechten die vita activa. Die zentrale Figur jedoch ist und bleibt Moses in der Mitte. Michelangelo hat sie wahrscheinlich schon 1515 fertiggestellt. Sie unterscheidet sich deshalb in ihrer Ausführung deutlich von den beiden Frauengestalten. Neben der Pietà in der Peterskirche, von Michelangelo zwanzigjährig geschaffen, stellt sie sein zweites Meisterwerk im Stil der Hochrenaissance dar. In ihrer heroischen Monumentalität und Expressivität zieht die Mosesgestalt jeden Betrachter in den Bann, und sie hat im Laufe der Jahrhunderte zu vielfältigen Deutungen den Anlass gegeben und Künstler immer wieder zur Auseinandersetzung mit dem Sujet und seiner Darstellung herausgefordert.

      Abb. 1: Hans Joachim Madaus, Hommage à Michelangelo

       Das Antlitz von hoher Schönheit ist das eines wahrhaft heiligen und ehrfurchtgebietenden Fürsten; bei seiner Betrachtung meint man, er werde nach einem Schleier verlangen, um sein Angesicht zu verhüllen – so viel Licht und Glanz strahlt es aus, so treulich ist die Herrlichkeit dargestellt, die Gott den Zügen des Propheten verliehen hatte…, kurz, alle Teile sind so herrlich vollendet, dass man Moses nun mehr denn je den Liebling Gottes nennen kann, da er ihm vor allen anderen durch die Hand des großen Michelangelo den Leib zur Auferstehung hat bereiten wollen.

       (Giorgio Vasari, S.503)

      Die Stifterfigur Moses, heute fast einhellig als historische Figur betrachtet, fasziniert außer Theologen und Ägyptologen, die sozusagen berufsbedingt mit Moses zu tun haben, die unterschiedlichsten Menschen, Psychoanalytiker (Siegmund Freund), Künstler und Schriftsteller, ja sogar Musiker.

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      Abb.2: Hans Joachim Madaus, Partitura Ricardi, Illustration zu Rossinis Oper: Moses in Ägypten, Mischtechnik, 1994

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      Abb.3: Hans Joachim Madaus, Partitura Ricardi, Illustration zu Rossinis Oper: Moses in Ägypten, Mischtechnik, 1994

      Gioacchino Rossinis große dreiaktige Oper Mosé in Egitto – Moses in Ägypten, die Rossini 1818 für die Passionszeit komponierte, wird zwar nicht allzu häufig aufgeführt, vor nicht so langer Zeit beispielsweise 2009 bei den Salzburger Festspielen und 2018 in Bregenz am Bodensee, aber zumindest die große Liebesarie von Elcia und Osiride (mi manca la vocemir versagt die Stimme) und das große Gebet der Israeliten vor dem Durchzug durch das Rote Meer am Ende des dritten Aktes (Dal tu stellato soglio, Signor, ti volgi a noi – Von deinem Sternenthron, o Herr, wende dich zu uns) sind jedem Opernfreund bekannt. Das Gebet aus dem Finale des Moses wurde zusammen mit dem Gefangenenchor der Hebräer (Va pensiero, sull´ali dorate – Flieg, Gedanke, auf goldenen Schwingen) aus Verdis Nabucco sogar zur Befreiungshymne Italiens. Vor allem die Chöre dieser Oper sind, wie die großen Romanciers des französischen Realismus und Bewunderer Verdis, Stendhal (der französische Konsul Henri Beyle, der sich als Autor nach Winckelmanns Geburtsort, der Hansestadt Stendal, Stendhal nannte) und Honoré de Balzac rühmen, von erhabener Heiligkeit und preisen sinnfällig und emotionsgeladen die Macht Jahwes. Sie erinnern allerdings – thematisch logisch – eher an ein Oratorium als an eine Oper; nicht von ungefähr wird in der Kritik deshalb immer wieder auf Haydns Schöpfung oder Mozarts Requiem verwiesen. Die Nähe zur katholischen

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