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spielten »Milonguero viejo« von Carlos Di Sarli und obwohl es noch früh am Abend war, füllte sich die Bar mit Hotelgästen. Die Damen posierten in geschlitzten Kleidern mit hochhackigen Schuhen, die Herren glänzten in schwarzen Anzügen mit weißen Rüschenhemden. Das Tropical war zu einem bevorzugten Treffpunkt der eingefleischten Tangotänzer geworden. Zwischen der Bühne und einer Gruppe von kleinen runden Tischen, an denen jeweils vier Stühle standen, gab es eine Tanzfläche, groß genug, dass vier oder fünf Paare eng umschlungen tanzen konnten. Duncan liebte dieses Etablissement, das für ihn, je länger er in Brasilien lebte, zu einer Art zweitem Wohnzimmer geworden war. Luiz Diaz, der Pianist, und auch Alberto Accina, der Sänger und Bandoneonspieler, setzten sich oft nach ihren Auftritten an seinen Tisch und tranken einen letzten Whiskey mit ihm, bevor sie ihre Instrumente einpackten und in der Morgendämmerung nach Hause gingen. Auf den Tischen standen Kerzen und unter den Decken hingen verstaubte Kristalllüster, die den Raum in ein schummriges Licht tauchten.

      Als Hanna Reitsch in ihrem Hosenanzug die Bar betrat, stockten für einen kurzen Moment die Gespräche und es schien, dass die Tänzer für einen Takt lang in ihrer eng umschlungenen Position verharrten. Kaltenbrunner betrat kurz nach Hanna das Tropical und blickte sich mit finsterer Miene suchend um. Als er Duncan und Hanna an einem der Tische in der Nähe der Tanzfläche entdeckte, ging er mit schnellen Schritten auf die beiden zu.

      Er setzte sich ungefragt, schnipste mit den Fingern und bestellte einen Kaffee und einen Cognac, als der Kellner herbeigeeilt kam.

      »Für mich dasselbe«, sagte Hanna Reitsch und blickte Duncan erwartungsvoll an.

      »So, dann sind Sie also schon lange hier und kennen sich mit der Thermik aus«, begann sie und lächelte.

      »Wie verdient ein Engländer hier eigentlich sein Geld?«, warf Kaltenbrunner ein. Es klang so, als sei er auf Streit aus.

      »Oh, … ich … ähem … beziehe nur das Gehalt eines kleinen Angestellten«, erwiderte Duncan bescheiden und lächelte dabei Hanna zu. War das ein plumper Versuch abzuklären, ob er bestechlich war, wollte er ihn aus der Reserve locken?

      »Können Sie mir verraten, wie das Ganze morgen abläuft …«, versuchte Hanna, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.

      »Ich habe uns die Winde für 10 Uhr reserviert. Das Gerät ist auf einem alten Dodge Pick-up montiert und wird von Major Fontanelle nur an besonders gute Kunden vermietet. Das ist unser selbst ernannter Platzwart, der ein Auge auf alles hält, was nicht niet- und nagelfest ist. Sie haben ihn ja bereits kennen gelernt«, versuchte Duncan zu scherzen.

      »Wie kommt das, dass Ihnen Ihre Arbeit Zeit lässt, mit uns in die Lüfte zu steigen?«, ließ Kaltenbrunner nicht locker.

      »Ich bin mit meinem Chef, dem Handelsattaché Sir Donovan übereingekommen, dass ich mir den Tag ein wenig selber einteilen kann. Ich bin dann abends länger im Büro«, entgegnete Duncan und ärgerte sich über sich selbst, dass er begonnen hatte, sein kleines Freizeitvergnügen zu rechtfertigen.

      »Und was heißt das?«

      »Ach Josef, du bist so langweilig. Kommen Sie Duncan, lassen Sie uns tanzen«, sagte Hanna, stand auf und schritt zur Tanzfläche, ehe er sich wehren konnte.

      »Wo haben Sie Tango tanzen gelernt?«, fragte er sie, als sie mit ihm alleine auf der Tanzfläche stand.

      »Beim Tanztee«, grinste sie, »meine Freundinnen von der Kolonialen Frauenschule in Rendsburg haben heimlich Tangoplatten gehört. Wenn die jungen Offiziere mit den feschen Uniformen kamen, haben wir ihnen die ersten Tanzschritte beigebracht«, lachte sie.

      »Das hört sich ja sehr deutsch an, ›Koloniale Frauenschule‹«, erwiderte Duncan skeptisch. Seine Hand tastete nach Dingen, die ihn eigentlich nichts angingen.

      »Ist es auch, ich bin froh, dass ich da nicht mehr hin muss«, sagte sie, nahm ihn bei der Hand und vollführte eine perfekte Halbdrehung im Takt der Musik. Duncan nahm das Angebot an. Rasch legte er eine Hand auf ihre zierliche Hüfte, bevor sie sich wehren konnte. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Kaltenbrunner aufstand und Richtung Toilette marschierte.

      »Günstige Gelegenheit«, hauchte sie ihm ins Ohr und ließ danach ihre Zunge um sein Ohrläppchen kreisen. Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn von der Tanzfläche. Duncan war verwirrt und gleichzeitig wie elektrisiert. So etwas hatte er noch nie erlebt. Bisher war er über einen flüchtigen Kuss am Ende einer Tanzstunde noch nicht hinausgekommen.

      »Peter, ich habe ein Attentat auf dich vor«, grinste sie und zwinkerte ihm zu. Sie eilte in Richtung Ausgang und winkte ihm, ihr zu folgen. War das in Deutschland inzwischen üblich und sprach man so mit den Männern in der ominösen Frauenschule, dachte er irritiert, bevor er ihr mit schnellen Schritten folgte. War das die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte, um zu erfahren, welchen Auftrag diese Segelflieger in Brasilien zu erfüllen hatten?

      Als sie das Foyer des Hotels erreicht hatten, blickte sich Hanna hastig um. Sie eilte zu einer Treppe, die nach oben führte und bedeutete ihm, ihr zu folgen. Immer noch ratlos, lief er ihr hinterher. Als sie den fünften Stock erreicht hatten, eilte sie den Flur entlang bis zu einer Tür, die einen Spalt weit geöffnet war. Sie hastete hinein, drehte sich um und zwinkerte ihm zu.

      »Komm schon«, lachte sie, nahm ihn bei der Hand und begann ihn wild zu küssen.

      Duncan ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Dann traf ihn ein Schlag am Hinterkopf, der ihn zu Boden warf. Er verspürte einen rasenden Schmerz, bevor er in Ohnmacht fiel.

      Kaltenbrunner öffnete die Tür zum Badezimmer, blieb stehen, die Türklinke in der Hand, und lauschte. Niemand da. Das fahle Licht einer einzigen Glühbirne tauchte den gekachelten Raum in ein schummriges Halbdunkel. Er trat an das Waschbecken und öffnete den Wasserhahn. Schnell wusch er sein Gesicht und rieb es mit einem Uniformärmel trocken. Mit zitternden Händen fahndete er nach seinem Lithiumcarbonat und wurde fündig. Er entkorkte das Fläschchen, und schüttete sich eine Messerspitze des weißen Pulvers auf seinen Handrücken, den er genüsslich ableckte. Die Wirkung setzte sofort ein, er spürte, dass er ruhiger wurde und die Welt nicht mehr wie durch einen Nebel wahrnahm. Die Geräusche waren nun nicht mehr nur ein fernes Meeresrauschen und endlich breitete sich auch der Schmerz aus, den er sich erhofft hatte, als er sah, dass Hanna mit diesem Engländer tanzte. Er war jetzt nicht mehr die gut geölte Maschine, sondern für ein paar Stunden wieder ein Mensch, der die Welt durch ein Vergrößerungsglas wahrnahm, bereit zu neuen Taten.

      Duncan musste einige Stunden so gelegen haben. Als er aus der Bewusstlosigkeit erwachte, drang das trübe Licht eines regenverhangenen Morgenhimmels durch die kleine Dachluke, die sich über seinem brummenden Schädel befand. Er schüttelte sich und sofort wurde ihm speiübel. Er schloss die Augen und wartete ein paar Sekunden, bevor er sich traute, sie wieder zu öffnen. Mühsam setzte er sich auf und fuhr sich mit seiner rechten Hand über den Hinterkopf. Er spürte eine Beule in der Größe eines Hühnereis. Dann stemmte er sich hoch und öffnete die Tür der Dachkammer. Vorsichtig lugte er nach rechts und links. Trotz seiner Schmerzen musste er lächeln. Er stellte sich vor, dass er der heimliche Liebhaber der Hausherrin sei, der Angst hatte, in flagranti ertappt zu werden.

      Niemand nahm Notiz von ihm, als er das Tropical durch den Hintereingang verließ. Er hatte einen Brummschädel wie nach einer durchzechten Nacht. Während er sich an den Hausmauern entlangtastete, wurde ihm immer wieder schwarz vor Augen. Was war er doch für ein dummer Esel, dass er glaubte, dass ihn Hanna verführen wollte, als sie ihn in die Dachkammer lockte. Wer hatte ihn dann niedergeschlagen, und was noch viel wichtiger war, warum? Vielleicht Kaltenbrunner, der eifersüchtig war und selber ein Auge auf das Mädchen geworfen hatte? War das so üblich in Nazideutschland, dass man den Nebenbuhler zusammenschlug, dort, wo man sich bei KdF-Ausflügen traf und nach einem romantischen Abendessen am Lagerfeuer mit dem feschen blonden Offizier anbändelte, um mit ihm rassereine Kinder zu zeugen? Noch vor wenigen Tagen hatte er mit Harry, dem Wetterfrosch vom Flughafen, darüber diskutiert, als er ihm einen Artikel aus der »Times« vorgelesen hatte, der von einem Reporter verfasst worden war, der diese seltsamen Riten bei seinem Aufenthalt in Berlin erforscht hatte. Nach außen hin gab sich das Reich moralisch rein wie eine Jungfrau, aber im Inneren brodelte und gärte es. Er

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