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Das schwarze Herz. Armin Öhri
Читать онлайн.Название Das schwarze Herz
Год выпуска 0
isbn 9783839267868
Автор произведения Armin Öhri
Издательство Автор
»Sie haben nicht ganz verstanden«, sagte Julius. »Ich meine sicherlich keine richtige Zwiebel. Sie müssen bildlich denken. Wo finden wir diese Gemüsepflanze, wenn nicht auf Marktständen?«
Nun ging seinen Freunden ein Licht auf.
»Natürlich! Das ist es!«, rief Albrecht aus. »Der Kirchturm der evangelischen St.-Peter-und-Paul-Kirche am Wannsee besitzt ein Zwiebeldach. Dort also wollten sich die beiden Halunken treffen.«
»Exakt! Und die Person, welche die Notiz geschrieben hat, wird uns noch vor Ort in die Fänge gehen.«
»Wie meinst du?«, fragte Albrecht überrascht. »Wir kennen den Zeitpunkt des Treffens nicht.«
»Doch, doch, das tun wir«, sprach Julius, der nun stetig selbstsicherer wurde. »Halte die Notiz gegen das Licht.«
Albrecht tat, wie ihm geheißen, streckte das Papier der flackernden Funzel ihrer Zimmerlampe entgegen und entdeckte ein kleines, aber dennoch gut sichtbares Wasserzeichen.
»Was siehst du?«
»Ich erblicke ein großes T«, gab der Fotograf zur Antwort.
»Sehr gut!«, meinte Julius. »T ist der 20. Buchstabe des Alphabets. Wir werden also unseren mysteriösen Unbekannten um die 20. Stunde in der St.-Peter-und-Paul-Kirche erwarten. Spätestens dann wird sich herausstellen, wer hinter diesen Morden steckt.«
Siebtes Kapitel
Eine Viertelstunde vor acht Uhr abends fanden sich Julius Bentheim und Albrecht Krosick auf Nikolskoe am Wannsee ein. In Steinwurfweite von der Kirche, die nördlich der Königsstraße zwischen der Pfaueninsel und dem Park Klein-Glienicke im Düppeler Forst gelegen war, floss die Untere Havel vorbei.
Gideon Horlitz wartete bereits auf seine zwei Gehilfen und besaß einen etwas ungeduldigen Gesichtsausdruck.
»Da sind Sie ja!«, begrüßte er sie grantig, wobei er einen demonstrativen Blick zur Turmuhr in der blau-weißen Rosette warf. Auch Bentheim sah hoch, doch die Dunkelheit machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Er konnte nicht einmal die Zeiger erkennen. »Gerade rechtzeitig«, fuhr der Kommissar ungerührt fort. »Von unserer Kontaktperson ist noch nichts zu sehen, was auch gut ist. Gehen wir hinein.«
Bentheim und Krosick kamen weder zu Wort noch konnten sie ein freundliches »Guten Abend« von sich geben, so schnell hatte der Kommissar sie begrüßt und förmlich überrumpelt. Er zog sie hinter sich her, und seine schnellen Schritte zielten auf die Kirche hin, die Friedrich Wilhelm III. seiner Tochter zuliebe, der Zarin Alexandra Fjodorowna, nach dem Stil russisch-orthodoxer Gotteshäuser hatte erbauen lassen. Die Wandflächen waren glatt, einzig ein Gesims teilte den kubischen Baukörper in zwei gleich hohe Abschnitte. Der obere Teil war von Arkaden durchbrochen. Ein zierlicher Turm – der einzige Kirchturm des Gebäudes – endete nach russischem Vorbild in einer Zwiebelkuppel.
Noch im Gehen, als sie die fünf Stufen zur Eingangspforte nahmen, offenbarte der Kommissar seine Pläne: »Sie, Julius, setzen sich in eine der hintersten Reihen dieser Holzbänke und beobachten sorgfältig das Geschehen. Sie, Albrecht, machen dasselbe auf der anderen Seite, während ich mich in einen der unbenutzten Beichtstühle begebe, von wo aus ich ebenfalls eine günstige Übersicht genieße. Falls eine verdächtige Person auftaucht, knien Sie einfach nieder und täuschen ein Gebet vor. Alles andere überlassen Sie mir.«
Die Tür krachte hinter ihnen ins Schloss, einen lauten und dumpfen Nachhall hinterlassend. Ein leichtes Gefühl von Unbehagen ergriff Julius. Obgleich er weder fleißiger Kirchgänger noch gläubiger Mensch war, missfiel es ihm, hier, im Hause Gottes, auf Verbrecherjagd zu gehen und die Ruhe dieser ehrwürdigen Einrichtung zu stören. Albrecht, welcher aufrührerischen und revoltierenden Gedankengängen aus Prinzip nie abgeneigt war, blickte ihn verwundert an. Und auch Horlitz, dessen rein logisch und pragmatisch denkender Geist die Existenz höherer Mächte als jener der Naturgesetze stets infrage stellte, solange sie nicht bewiesen waren, musste das Missbehagen in Bentheims Gesicht bemerkt haben.
Sich dem Tatortzeichner zuwendend, raunte er: »Falls Gott existiert, ist es sein Wille, dass wir die Morde an dem Herzog und dem Unbekannten aufdecken, selbst wenn wir dies in seinem Hause tun sollten. Wieso auch nicht? Was spricht dagegen, der Wahrheit Tür und Tor zu öffnen?«
Julius Bentheim seufzte ergeben. Neben dem Eingang stand ein Weihwasserbecken, was ungewöhnlich war für eine evangelische Kirche, aber womöglich etwas mit dem orthodoxen Vorbild zu tun hatte. Bentheim tippte den Finger ins Nass und bekreuzigte sich, bevor er die düstere Halle durchschritt. Die Balkendecke flach, die Emporen schlicht gehalten – alles hier atmete den Hauch des Klassizismus.
Wenige Meter weiter, bei einer der hintersten Reihen, setzte sich Julius nieder, während Albrecht es ihm gleichtat und der Kommissar einen der Beichtstühle aufsuchte. Außer ihnen waren zwei weitere Personen anwesend: eine junge, einnehmend hübsche Frau, die ein schlichtes schwarzes Kleid trug und gerade dabei war, an einem Kerzenständer einige Lichter zu entfachen, sowie ein beleibter Kleriker, der gedankenverloren vorn im Chorraum kniete und zum Altar hin betete. Unter dem Saum seiner Kutte schauten die abgewetzten Sohlen seiner Hanfsandalen hervor.
In einer katholischen Kirche hätte Bentheim pro forma einen Rosenkranz hervorgezogen und ihn mechanisch zwischen den Fingern hin und her wandern lassen. Hier jedoch fehlte dieses Utensil zur perfekten Scharade. Er faltete also lediglich die Hände, ließ den Kopf ein wenig sinken und beobachtete aus den Augenwinkeln heraus den Raum. Offensichtlich war die gesuchte Person noch nicht aufgetaucht.
Nach einiger Zeit erhob sich der beleibte Ordensbruder. Er ordnete den Faltenwurf seiner Kutte und wälzte sich schwer atmend durch den Kirchgang. An den Säulengängen, welche linker und rechter Hand die Emporen hielten, waren ein paar Leuchten angebracht, die alles in dunkles Rot tauchten – ein Teufelsrot, wie Julius meinte, das eine gespenstisch-dämonische Atmosphäre hervorrief.
Er spähte dem Dicken nach, während sich bei der offenen Kniebank auch Albrecht nach ihm umblickte. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Augen, und der Tatortfotograf zuckte fragend mit den Schultern.
Wo blieb der gesuchte Mittelsmann?
Bentheim sah noch einmal in die Richtung der eleganten Dame in Schwarz – offenbar eine Witwe – und ließ dann den Blick gemächlich durch die Kirche schweifen. Falls jemand eintreten sollte, so würde das laute Ächzen der Eingangstür sein Kommen schon ankünden.
Die St.-Peter-und-Paul-Kirche war ein Ort, den man gemeinüblich mit dem Attribut »seltsam« äußerst trefflich beschreiben konnte. Ziel und Nutzung der Kirche waren zwar dieselben wie bei allen anderen Kirchen auch, doch trat sie drastisch aus der Ansammlung von Gotteshäusern hervor. Man konnte sie gar als Panoptikum für einen Kunsthistoriker ansehen. Form und Ausstattung des Bauwerks waren nur schwer in die Kategorien und Epochen der Kirchenarchitektur einzuordnen. Hauptschiff und die beiden Seitenschiffe waren theoretisch gleich hoch. Doch die Emporen, die durch tiefer gelegene Bogen miteinander verbunden waren, ließen zumindest optisch eine Dreiteilung erahnen. Ein riesiges Gewölbe schmückte das Chorhaupt, vor dem links auf vier achtkantigen Pfeilern mit korinthischen Kapitellen eine hölzerne Kanzel stand. Die über dem Altar angebrachten Fensterrosen spendeten zu wenig Licht, als dass es die vorherrschende Dunkelheit durchbrochen hätte.
Julius fragte sich gerade, wie herrlich wohl die Orgel klingen musste, die mit zehn Registern und einem Manual der berühmten Firma Turley gebaut worden war, als sich einige Bänke vor ihm etwas bewegte.
Die Frau war aufgestanden und schritt nun Richtung Ausgang. Langsam kam sie an Bentheim vorbei, und er konnte in ihren Augen eine Träne erblicken, die sie verstohlen wegwischte. Mit zitternden Händen klammerte sie sich an einer beutelartigen Pompadour-Tasche fest. Ihre Brosche, ein in einer silbernen Fassung eingelegtes Obsidian-Herz, das sie über der linken Brust an ihr Kleid geheftet hatte, reflektierte den Kerzenschein.
Armes Geschöpf, dachte Bentheim, als sie so verloren an ihm vorbeiging, um die Kirche zu verlassen. Noch immer trauerte er Filine nach, Edwins Mutter und seine der Schwindsucht erlegene Gattin, und er fühlte mit