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gerichtet sein müßten. Das humane und hochherzige Streben seiner Majestät des Kaisers, meines erhabenen Herrn, ist ganz dieser Aufgabe gewidmet. In der Überzeugung, daß dieses erhabene Endziel den wesentlichsten Interessen und den berechtigten Wünschen aller Mächte entspricht, glaubt die Kaiserliche Regierung, daß der gegenwärtige Augenblick äußerst günstig sei, auf dem Wege internationaler Beratung die wirksamsten Mittel zu suchen, um allen Völkern die Wohltaten wahre und dauernden Friedens zu sichern, und vor allem der fortgeschrittenen Entwicklung der gegenwärtigen Rüstungen ein Ziel zu setzen. Im Verlauf der letzten zwanzig Jahre hat der Wunsch nach einer allgemeinen Beruhigung in dem Empfinden der zivilisierten Nationen besonders festen Fuß gefaßt. Die Erhaltung des Friedens ist als Endziel der internationalen Politik aufgestellt worden. Im Namen des Friedens haben große Staaten mächtige Bündnisse miteinander geschlossen. Um den Frieden besser zu wahren, haben sie in bisher unbekanntem Grade ihre Militärmacht entwickelt und fahren fort, sie zu verstärken, ohne vor irgendeinem Opfer zurückzuschrecken. Alle ihre Bemühungen haben gleichwohl noch nicht das segensreiche Ergebnis der ersehnten Friedensstiftung zeitigen können. Da die finanziellen Lasten eine steigende Richtung verfolgen und die Volkswohlfahrt an ihrer Wurzel treffen, so werden die geistigen und physischen Kräfte der Völker, die Arbeit und das Kapitel zum großen Teil von ihrer natürlichen Bestimmung abgelenkt und in unproduktiver Weise aufgezehrt. Hunderte von Millionen werden aufgewendet, um furchtbare Zerstörungsmaschinen zu beschaffen, die bis heute als das letzte Wort der Wissenschaft betrachtet werden und schon morgen dazu verurteilt sind, jeden Wert zu verlieren infolge irgendeiner neuen Entdeckung auf diesem Gebiet. Die nationale Kultur, der wirtschaftliche Fortschritt, die Erzeugung von Werten sehen sich in ihrer Entwicklung gelähmt und irregeführt. Daher entsprechen in dem Maße, wie die Rüstungen einer jeden Macht anwachsen, diese immer weniger und weniger dem Zweck, den sich die betreffende Regierung gesetzt hat. Die wirtschaftlichen Krisen sind zum großen Teil hervorgerufen durch das System der Rüstungen bis aufs äußerste, und die ständige Gefahr, welche in dieser Kriegsstoffsammlung ruht, hat die Armee unserer Tage zu einer drückenden Last gemacht, welche die Völker mehr und mehr nur mit Mühe tragen können.

      Es ist deshalb klar, daß, wenn diese Lage sich noch weiter so hinzieht, sie zwangsläufig zu eben der Katastrophe führen würde, welche man zu vermeiden wünscht, und deren Schrecken jeden Menschen schon beim bloßen Gedanken schaudern machen. Diesen unaufhörlichen Rüstungen ein Ziel zu setzen und die Mittel zu suchen, dem Unheil vorzubeugen, das die ganze Welt bedroht, das ist die höchste Pflicht, welche sich heutzutage allen Staaten aufzwingt.

      Durchdrungen von diesem Gefühl hat Seine Majestät geruht, mir zu befehlen, daß ich allen Regierungen, deren Vertreter am kaiserlichen Hofe akkreditiert sind, den Zusammentritt einer Konferenz vorschlage, welche sich mit diesen ernsthaften Fragen zu beschäftigen hätte. Diese Konferenz würde mit Gottes Hilfe ein günstiges Vorzeichen des kommenden Jahrhunderts sein. Sie würde in einem mächtigen Bunde die Bestrebungen aller Staaten vereinigen, welche aufrichtig darum bemüht sind, den großen Gedanken des Weltfriedens triumphieren zu lassen über alle Elemente des Unfriedens und der Zwietracht. Sie würde zugleich ihr Zusammengehen besiegeln durch eine solidarische Weihe der Prinzipien des Rechts und der Gerechtigkeit, auf denen die Sicherheit der Staaten und die Wohlfahrt der Völker beruhen.«

      QUELLE: Ernst Reibstein: Völkerrecht. Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis, Band II: Die letzten zweihundert Jahre; © Alber Verlag in der Verlag Herder GmbH, Freiburg i. Br. 1958

       Stefan Zweig kommt am 28. November 1881 in Wien als Sohn des Textilindustriellen Moritz Zweig und seiner aus einer jüdischen Bankiersfamilie stammenden Frau Ida geb. Brettauer zur Welt. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Wien studiert er Germanistik und Romanistik. Unter dem Einfluss Hugo von Hofmannsthals schreibt er früh Gedichte (»Silberne Saiten«, 1901). Seine ersten Novellen erscheinen 1904. Werke wie »Brennendes Geheimnis« (1911), »Amok« (1922) »Sternstunden der Menschheit« (1927) sowie seine großen Biographien von Joseph Fouché (1929), Maria Stuart (1935) und Magellan (1938) u. a. machen ihn weltberühmt.

      Viele Studien- und Vortragsreisen führen ihn nicht nur in die westeuropäischen Länder, sondern auch nach Indien, Nord- und Mittelamerika, die Sowjetunion und Südamerika. 1941 wandert er nach Petrópolis (Brasilien) aus, wo er sich am 22. Februar 1942 zusammen mit seiner zweiten Frau Charlotte das Leben nimmt. In seinem Nachlass finden sich verschiedene Werke, so auch seine Erinnerungen eines Europäers »Die Welt von Gestern«.

       STEFAN ZWEIG

       DIE WELT VON GESTERN

       VORWORT

      Ich habe meiner Person niemals soviel Wichtigkeit beigemessen, daß es mich verlockt hätte, anderen die Geschichte meines Lebens zu erzählen. Viel mußte sich ereignen, unendlich viel mehr, als sonst einer einzelnen Generation an Geschehnissen, Katastrophen und Prüfungen zugeteilt ist, ehe ich den Mut fand, ein Buch zu beginnen, das mein Ich zur Hauptperson hat oder – besser gesagt – zum Mittelpunkt. Nichts liegt mir ferner, als mich damit voranzustellen, es sei denn im Sinne des Erklärers bei einem Lichtbildervortrag; die Zeit gibt die Bilder, ich spreche nur die Worte dazu, und es wird eigentlich nicht so sehr mein Schicksal sein, das ich erzähle, sondern das einer ganzen Generation – unserer einmaligen Generation, die wie kaum eine im Laufe der Geschichte mit Schicksal beladen war.

      Jeder von uns, auch der Kleinste und Geringste, ist in seiner innersten Existenz aufgewühlt worden von den fast pausenlosen vulkanischen Erschütterungen unserer europäischen Erde; und ich weiß mir inmitten der Unzähligen keinen anderen Vorrang zuzusprechen als den einen: als Österreicher, als Jude, als Schriftsteller, als Humanist und Pazifist jeweils just dort gestanden zu sein, wo diese Erdstöße am heftigsten sich auswirkten. Sie haben mir dreimal Haus und Existenz umgeworfen, mich von jedem Einstigen und Vergangenen gelöst und mit ihrer dramatischen Vehemenz ins Leere geschleudert, in das mir schon wohlbekannte »Ich weiß nicht wohin«. Aber ich beklagte das nicht; gerade der Heimatlose wird in einem neuen Sinne frei, und nur der mit nichts mehr Verbundene braucht auf nichts mehr Rücksicht zu nehmen. So hoffe ich wenigstens eine Hauptbedingung jeder rechtschaffenen Zeitdarstellung erfüllen zu können: Aufrichtigkeit und Unbefangenheit.

      Denn losgelöst von allen Wurzeln und selbst von der Erde, die diese Wurzeln nährte, – das bin ich wahrhaftig wie selten einer in den Zeiten. Ich bin 1881 in einem großen und mächtigen Kaiserreiche geboren, in der Monarchie der Habsburger, aber man suche sie nicht auf der Karte: sie ist weggewaschen ohne Spur. Ich bin aufgewachsen in Wien, der zweitausendjährigen übernationalen Metropole, und habe sie wie ein Verbrecher verlassen müssen, ehe sie degradiert wurde zu einer deutschen Provinzstadt. Mein literarisches Werk ist in der Sprache, in der ich es geschrieben, zu Asche gebrannt worden, in eben demselben Lande, wo meine Bücher Millionen Leser sich zu Freunden gemacht. So gehöre ich nirgends mehr hin, überall Fremder und bestenfalls Gast; auch die eigentliche Heimat, die mein Herz sich erwählt, Europa, ist mir verloren, seit es sich zum zweitenmal selbstmörderisch zerfleischt im Bruderkriege.

      Wider meinen Willen bin ich Zeuge geworden der furchtbarsten Niederlage der Vernunft und des wildesten Triumphes der Brutalität innerhalb der Chronik der Zeiten; nie – ich verzeichne dies keineswegs mit Stolz, sondern mit Beschämung – hat eine Generation einen solchen moralischen Rückfall aus solcher geistigen Höhe erlitten wie die unsere. In dem einen kleinen Intervall, seit mir der Bart zu sprossen begann und seit er zu ergrauen beginnt, in diesem einen halben Jahrhundert hat sich mehr ereignet an radikalen Verwandlungen und Veränderungen als sonst in zehn Menschengeschlechtern, und jeder von uns fühlt: zu vieles fast! So verschieden ist mein Heute von jedem meiner Gestern, meine Aufstiege und meine Abstürze, daß mich manchmal dünkt ich hätte nicht bloß eine, sondern mehrere, völlig voneinander verschiedene Existenzen gelebt.

      Denn es geschieht mir oft, daß, wenn ich achtlos erwähne: Mein Leben, ich mich unwillkürlich frage:

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