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selbst verhasst und ekelhaft; und eine solche Gleichheitsphantasie ist überhaupt unmöglich und widerwärtig.“

      Jeder, der heutzutage solcherart argumentierte, würde von denen, die ein weltweites Einheits-Volk und eine Welt-Regierung anstreben, resp. von den bezahlten Lügenmäulern und Maulhuren solcher „Globalisten“ als Rechter bezeichnet; gälte Landauer, der Anarchist, mit seiner zuvor zitierten Meinung heute als Rechts-Radikaler, als Rechts-Extremist?

      In der Diktion jener, die in dem ihnen eigenen orwellschen Neusprech von rechts sprechen, wenn sie links meinen, von Freiheit, wenn sie von Unterdrückung reden, von Wahrheit, wenn sie der Lüge den Weg bereiten.

      Minimalstaat, Ultra-Minimalstaat, der Staat im Hegelschen Sinne, Kontrakte, Staatsverträge, Gesellschaftsverträge, theoretische Konstrukte en masse: Allein damit, meine Liebe – so schrieb ich an meine Frau –, ließe sich nicht nur ein Buch füllen, vielmehr würde eine Bibliothek kaum ausreichen, um all die – teils durchaus vernünftigen, teils geradezu abstrusen – Begründungen und Konzepte für oder gegen staatliche Strukturen oder auch für eine Gesellschaft (weitestgehend) ohne Staat zu erfassen.

      Ich jedenfalls habe „den Staat“ nur als gigantischen Unterdrückungs-Apparat kennengelernt. Der den Interessen einiger weniger dient, die seine (Macht-)Strukturen bestimmen und von ihnen profitieren. Der sich als Moloch geriert, welcher jegliche Individualität frisst. Mit Haut und Haar. Der nur ein Ziel hat: die vollständige Unterwerfung des Einzelnen unter die Staats-Doktrin, d.h. unter jene Ideologie, die, aus Herrschaftsinteresse, justament angesagt ist. Und der nur eine Wahl lässt: sich bedingungslos unterzuordnen. Oder aber zugrunde zu gehen.

      Ich kenne nur den Staat, der dem Individuum keinerlei Raum lässt, sich und seine Fähigkeiten, seine kognitiven und emotionalen Möglichkeiten, seine spirituellen und trans-zendenten Potentialitäten zu entfalten.

      Denn er, der Staat, will nicht, dass man ihn trans-zendiert – von einer Metaebene aus wäre er zu erkennen als das, was er tatsächlich ist: sowohl ein System ebenso offensichtlicher wie brutaler Gewalt als auch ein Konstrukt (mehr oder weniger) subtiler Indoktrination; eine unheilige Allianz von Interessen, die nicht dem Wohl der Menschen, sondern dem ihrer (Be-)Herrscher dienen; ein Ungeheuer, das – im dialektischen Spiel der Systeme, welches gleichwohl von denselben resp. den immer gleichen Playern dominiert wird – wahlweise im Namen der (sogenannten) Demokratie oder eines (angeblichen) anderen Gemeinwohls, im Sinne irgendeiner Religion oder im Interesse sonstiger Werte-Chimären die Menschen klein, dumm und unmündig hält.

      Aperçu, heruntergebrochen in einfache Worte: „Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm: Halt du sie dumm, ich halt’ sie arm“, so Reinhard Mey. In der Tat: Sei wachsam.

      Weil er, der Staat, denen, die hinter ihm stehen (heutzutage, neudeutsch, auch Deep-State genannt), ermöglicht, ihre Geschäfte zu betreiben, ihren Vergnügungen nachzugehen, sich die Masse der Menschen als Arbeits-Vieh und, nicht selten, auch als Lust-Objekte zu halten; der Mord an Jeffrey Epstein (resp. sein Abtauchen mit neuer Identität) ist – pars pro toto – nicht einmal die Spitze des Eisbergs.

      Deshalb: Keine Macht für niemand. Nach alter Autonomen- und Anarchisten-Art.

      Mithin: Für viele Anarchisten stand am Anfang der Zorn. Das Aufbegehren. Die Rebellion. Das Streben nach Freiheit.

      Indes: Freiheit wovon? Und: Freiheit wozu?

      Dies dürfte sich schon Spartakus gefragt haben. Ebenso Michael Kohlhaas. Auch Che Guevara. Und Rudi Dutschke.

      Mehr noch: Ist Abwesenheit von Herrschaft schon („die“) Freiheit?

      Zudem: Lehrt uns die Geschichte nicht, dass eine Herrschaft im allgemeinen durch die nächste ersetzt wird – der König ist tot, es lebe der König.

      Und weiterhin: Hass als Reaktion auf Unfreiheit, als Mittel und Zweck zu deren Überwindung ist (nicht selten) destruktiv – wird Freiheit somit (oft, meist gar) aus Hass und Zerstörung geboren?

      In diesem Spannungsfeld von Herrschaft und Unterdrückung einerseits sowie dem Streben nach Befreiung und Freiheit andererseits entstanden Vorstellung und Praxis der An-archie (ἀν-αρχία: ἀρχία, Herrschaft; Alpha privativum als verneinendes Präfix).

      Mit anderen Worten: Theorie und Praxis der Anarchie suchen eine Antwort auf die Frage, wie sich der destruktive Zorn des Aufbegehrens in eine konstruktive, schöpferische Form von Freiheit umsetzten lässt.

      Die, letztere, bunt und widersprüchlich, bizarr und verführerisch die Menschen lockt – seit ihrer, der Menschen, Vertreibung aus dem Paradies. Wie auch immer diese von statten ging. Wie dieses wohl auch ausgesehen hat.

      Ist Anarchie mithin nur ein Traum? Oder doch eine durchaus realisierbare Hoffnung?

      Jedenfalls reichen die Wurzeln der Anarchie in der Geschichte der Menschheit weit zurück; der „moderne Anarchismus“ indes reflektiert die letzten 150/200 Jahre der Neuzeit; er ist ebenso gut dokumentiert wie in breiten Kreisen der Bevölkerung unbekannt.

      Ludwig Börne dürfte der erste (Deutsche) gewesen sein, der sich – auch im politischen Sinn – offen für die Anarchie aussprach (Ludwig Börne: IV. Betrachtungen über den Sinn der Zeitkämpfe, veranlaßt durch die Nouvelles Lettres Provinciales, ou lettres écrites par un provincial à un de ses amis, sur les affairs du temps. Paris, 1825, S. 271. In: Neue allgemeine politische Annalen. Band 20. Cotta´sche Buchhandlung, Stuttgart und Tübingen, 1826):

      „Nicht darauf kommt es an, daß die Macht in dieser oder jener Hand sich befinde: die Macht selbst muß vermindert werden, in welcher Hand sie sich auch befinde. Aber noch kein Herrscher hat die Macht die er besaß, und wenn er sie auch noch so edel gebrauchte, freiwillig schwächen lassen. Die Herrschaft kann nur beschränkt werden, wenn sie Herrenlos, – Freyheit geht nur aus Anarchie hervor. Von dieser Nothwendigkeit der Revolutionen dürfen wir das Gesicht nicht abwenden, weil sie so traurig ist. Wir müssen als Männer der Gefahr fest in das Auge blicken und dürfen nicht zittern vor dem Messer des Wundarztes. Freyheit geht nur aus Anarchie hervor – das ist unsere Meinung, so haben wir die Lehren der Geschichte verstanden.“

      (Nicht nur) in diesem Kontext und Konnex ist es von Nöten, ein wenig Aufklärung zu betreiben. Zur deutschen Geschichte. Zu weiten Teilen derselben. Die, obwohl jüngere und jüngste Vergangenheit betreffend, weithin im Dunkel des Mainstreams verborgen werden. Resp. wird.

      Jedenfalls in den Geschichtsbüchern unserer Kinder nicht vorkommt. Denn dort steht zwar alles Mögliche. Nicht aber die Wahrheit: Das, was uns als – vermeintliche, angebliche – Wahrheit vorgegaukelt wird, ist – immer, ausnahmslos – nichts anderes als die Sichtweise der je Herrschenden. Nicht (einmal) ihre eigene. Sondern die, die sie der Masse suggerieren. Zu eigenem Nutzen und Frommen.

      Warum jedoch sind nicht alle Menschen – außer der Handvoll, die sie, die Masse, beherrscht – Anarchisten? Warum streben so wenige nach Freiheit?

      Sicherlich (auch) deshalb, weil ihnen Visionen fehlen. Eine Vorstellung von dem, was könnte sein, was möglich wär. Nicht weniger. Nicht mehr.

      Zu solch „utopischen“ Vorstellungen (im Sinne des Entwurfs von Potentialitäten) leistet „die Anarchie“, auch und namentlich die im Denken, leistet der „freie Geist“ (wie Nietzsche ihn definiert) einen entscheidenden Beitrag.

      Selbst wenn – nach einem Diktum, das Jack London zugeschrieben wird – gelten mag: „Das Wort Utopie allein genügt zur Verurteilung einer Idee.“

      Wie also muss man sich „den Anarchismus“ vorstellen? Und auch „den Anarchisten“?

      Die Konzeptionen anarchistischer Modelle und diesbezüglich konkrete Umsetzungsversuche sind höchst unterschiedlich: Gewerkschafter wie Unternehmer (mit alternativen, Kapitalismus kritischen Geschäftsmodellen), Materialisten und „Esoteriker“, Gläubige (woran auch immer) und Atheisten, Anhänger bedingungsloser Gewaltfreiheit wie Befürworter von Gewalt (für eine revolutionäre Umwälzung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse), sie

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