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zu ihr herum, um ihr bei dem, was er zu sagen hatte, ins Gesicht schauen zu können; dabei runzelte er sichtlich entgeistert seine drahtigen Brauen. „Sie wissen aber schon, dass die Fahrt dorthin zwei Stunden dauert?“

      Lacey blinzelte ebenfalls irritiert, denn sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was ihr der Fahrer mit dieser Frage sagen wollte.

      „Das ist schon okay,“ meinte sie und zuckte dabei mit den Schultern.

      Jetzt wirkte der Taxifahrer noch etwas entgeisterter als zuvor. „Sie kommen aus Amerika, oder? Ich weiß zwar nicht, was ihr dort drüben so für Taxifahrten zahlen müsst, aber hier bei uns kostet eine Fahrt von zwei Stunden eine schöne Stange Geld.“

      Die raue Art des Taxifahrers überraschte Lacey ein wenig, denn zum einen entsprach diese so gar nicht dem Klischee des frechen Londoner Taxifahrers und zum anderen war sie irritiert davon, dass dieser Typ anscheinend glaubte, sie könne sich eine solche Fahrt nicht leisten. Sie fragte sich, ob das wohl daran lag, dass sie eine allein reisende Frau war. Denn bei keiner der längeren Taxifahrten, die sie bisher zusammen mit David unternommen hatte, waren sie je gefragt worden, ob sie diese Fahrt auch bezahlen könnten.

      Deshalb versicherte sie dem Taxifahrer in leicht unterkühltem Ton: „Keine Sorge, ich habe Geld zahlen.“

      Daraufhin drehte sich der Fahrer wieder nach vorne und setzte sein Taxameter in Gang. Dieses meldete sich mit einem Piepsen und dem Aufleuchten eines grünen Pfund-Symbols, das schon wieder nostalgische Gefühle in Lacey auslöste.

      „Ich fahre Sie so lange, wie Ihr Geld reicht“, meinte der Taxifahrer mit dünner Stimme und setzte den Wagen in Bewegung.

      Das ist dann wohl die englische Gastfreundschaft, dachte Lacey bei sich.

*

      Wie von dem Taxifahrer angekündigt kamen sie zwei Stunden später in Wilfordshire an, was Lacey sage und schreibe 250 Pfund kostete. Doch sobald Lacey aus dem Wagen gestiegen war und die herrlich frische Meeresbrise eingeatmete gerieten die hohe Taxirechnung und der unfreundliche Taxifahrer  sofort in Vergessenheit. Sogar die Luft hier roch noch genau so, wie sie es in Erinnerung gehabt hatte.

      Lacey hatte sich schon immer darüber gewundert, wie viel Gerüche und unser Geschmackssinn zu unserem Erinnerungsvermögen beitrugen, und tat das auch jetzt wieder. Die nach Salz riechende Luft hatte sie sofort in einen ihr seit dem Verschwinden ihres Vaters abhanden gekommenen Zustand einer sorglosen Leichtigkeit versetzt. Dieses Gefühl von Leichtigkeit war so stark, dass es sie ganz zittrig machte. Mit einem Schlag fielen die ganzen Ängste, die ihre Familie ihr wegen dieser ungeplanten Reise eingeimpft hatte, von ihr ab. Das hier war genau das, was Lacey jetzt brauchte.

      Sie ging die Hauptstraße entlang. Hier gab es keinen leichten Regen wie zuvor am Londoner Flughafen, sondern einen Sonnenuntergang, dessen letzte Strahlen die Umgebung in ein goldenes Licht tauchten und auf diese Weise fast magisch erscheinen ließen. Alles war genauso, wie Lacey es in Erinnerung hatte: da gab es die zwei sich gegenüber liegenden Reihen alter Steinhäuschen, die direkt auf dem Kopfsteinpflaster des Ortes erbaut worden waren und deren große, noch im alten Stil erhaltenen Erkerfenster zur Straßenseite hinausgingen. Und auch die Lädchen einschließlich ihrer Schaufenster sahen noch genauso aus wie früher. Sie hatten sogar noch alle ihre ursprünglichen Holzschilder, die über den Ladentüren im Wind hin und her schwangen. Jeder dieser Läden war einzigartig, ganz gleich, ob es dort nun Kinderbekleidung, Kurzwaren, Gebäck oder Kaffee zu kaufen gab. Und dann war da noch ein altmodischer Süßwarenladen, in dem man die Wahl zwischen vielen farbenfrohen  Süßigkeiten hatte, die alle jeweils nur einen Penny kosteten.

      Es war April und deshalb war die Stadt überall mit Girlanden für das bevorstehende Osterfest mit bunten Wimpeln geschmückt worden. Und die Sitzgelegenheiten vor den Pubs und Bistros der Stadt waren von Leuten bevölkert, die ihren Abend mit einem Bierchen oder einem schönen Essen ausklingen ließen. Die Laune war gut, es wurde geplaudert und gelacht.

      Angesichts dieses entspannten Moments, in dem Lacey endlich eine lang ersehnte Ruhe empfand, griff sie zu ihrem Smartphone und hielt das fröhliche Treiben in einem Schnappschuss fest. Da auf dem Foto auch der silbern glitzernde Ozean sowie der vom Sonnenuntergang in verschiedene Rosatöne versetzte Himmel zu sehen war, hätte dieses auch gut als Postkarte durchgehen können. Deshalb lud sie das Bild hoch, um es mit der vor einiger Zeit von Naomi unter der Bezeichnung Doyle Girlz gegründeten Gruppe  – das heißt ihrer Familie zu teilen.

      Es ist alles noch so, wie ich es in Erinnerung hatte, schrieb sie unter das tolle Bild.

      Einen Augenblick später zeigte das Gerät Lacey mit einem leisen „Pling“ an, dass sie eine SMS bekommen hatte. Es war eine Nachricht von Naomi.

      Sieht ganz so aus, als wärst du zufällig in der Diagon Alley gelandet, Schwesterherz.

      Lacey seufzte. Diese Antwort von ihrer kleinen Schwester war genauso sarkastisch ausgefallen wie sie erwartet hatte.  Denn natürlich konnte sich Naomi nicht einfach mit ihr freuen oder stolz auf sie sein, weil sie auf dem besten Weg war, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen.

      Hast du das mit Photoshop bearbeitet? fragte ihre Mutter einen Augenblick später.

      Lacey rollte mit den Augen und steckte ihr Smartphone wieder weg. Sie nahm sich vor, sich von niemandem die Laune verderben zu lassen und atmete tief ein, um sich wieder ein wenig zu beruhigen. Dabei war sie ein weiteres Mal erstaunt über den Unterschied zwischen der wunderbar frischen Luft hier und der verschmutzten Luft, die sie noch heute Morgen in New York eingeatmet hatte.

      Sie ging weiter die Straße hinab, wobei ihre Absätze auf dem Kopfsteinpflaster ein klapperndes Geräusch machten.

      Ganz oben auf ihrer To-do-Liste stand, ein Hotelzimmer für die ihr selbst noch unbekannte Zeit ihres Aufenthalts hier zu finden. Also blieb sie vor dem ersten B&B, das auf ihrem Weg lag, stehen. Es hieß „The Shire“, doch leider war es, wie auf einem in einem seiner Fenster stehenden Schild zu lesen war, „belegt“. Aber das machte ihr nichts aus. Denn die Hauptstraße war lang und wenn Lacey sich recht erinnerte, dann lagen noch einige andere Pensionen, bei denen sie ihr Glück versuchen konnte, vor ihr.

      Das nächste B&B – es hieß „Laurel’s“ – war ganz in Zuckerwatte-Pink gehalten, aber ebenfalls „ausgebucht“. Nur, dass die Erkenntnis, dass sie auch hier nicht unterkommen würde, anders als beim ersten „belegten“ B&B, bei Lacey inzwischen schon eine Art leichter Panik auslöste.

      Sie kämpfte die Panik nieder und sagte sich tapfer, dass diese nur daher kam, dass ihre Familie ihr ihren Trip hierher so madig gemacht hatte. Sie musste keine Angst haben. Denn sie würde ganz sicher bald ein Zimmer finden.

      Sie ging weiter. Das zwischen einem Juwelier und einem Buchladen gelegene Seaside Hotel war „ausgebucht“ und auch das nächste nach einem Laden für Campingbedarf und einem Schönheitssalon auf ihrem Weg Carol‘s B’n’B war belegt. Und das ging immer so weiter bis Lacey schließlich am Ende der Straße angekommen war.

      Jetzt wurde Lacey langsam wirklich panisch. Wie hatte sie nur so dumm sein können hierher zu kommen, ohne auch nur die allerwichtigsten Vorbereitungen für ihren Aufenthalt zu treffen? Alles Mögliche zu organisieren war das A & O in ihrem Beruf gewesen und jetzt stand sie da und hatte nichts, aber auch gar nichts, für ihren eigenen Urlaub vorbereitet! Sie hatte so gut wie nichts dabei und noch nicht einmal ein Zimmer. Hieß das jetzt, dass sie die Straße wieder hochgehen, weitere zweihundert  Pfund für ein Taxi zurück nach Heathrow ausgeben und den nächsten Flug nach Hause nehmen musste? Kein Wunder, dass David sie bei ihrer Scheidung auf Unterhalt verklagt hatte, denn anscheinend konnte sie überhaupt nicht mit Geld umgehen!

      Lacey drehte sich um und betrachte niedergeschlagen den sich vor ihren Augen auftuenden Rückweg, ganz so, als wäre es möglich, allein durch ihr hilfloses Herumschauen ein weiteres B&B herbeizaubern, das ihr bisher entgangen war. Erst durch dieses ängstliche Herumschauen bemerkte Lacey, dass das letzte Haus am Ende der Straße, vor dem sie sich gerade befand, tatsächlich ein Gasthaus war. Es hieß „The Coach House“.

      Obwohl Lacey sich ziemlich blöd dabei vorkam, sammelte sie sich und klärte ihre Stimme. Dann betrat sie das Gasthaus, das mit seinen großen Holztischen, der als Speisekarte dienenden Schiefertafel

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