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gibt. Die Polizei hat nichts, aber auch gar nichts vorzuweisen. Die Geschichte ist so dubios, dass schon das Gerücht umgeht, bei den Bullen selbst gebe es eine lecke Stelle, denn dieses Pärchen ist bis jetzt durch jede Ringfahndung geschlüpft. Vorgestern hat es hier wieder zugeschlagen, ein anderes Mal waren sie im Mannheimer beziehungsweise Heidelberger Raum zugange oder in irgendeinem Nest in der Pfalz. Die Kripo hatte sogar schon mehrere Sendeplätze bei Tätern auf der Spur, die nichts brachten. Tausende Fahndungsplakate. Und eine acht Mann starke Ermittlungsgruppe – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! – kriegt nichts auf die Reihe!“

      Er atmete tief ein.

      „Das wäre ja noch akzeptabel, wenn die Täter besonders raffiniert oder brutal vorgingen. Aber nichts! Die tragen nicht einmal Sturmhauben, sondern lächerliche Perücken, Brillen und Mützen! Die beiden treten zwar mit Pistolen auf, geben sich aber trotzdem äußerst höflich. Gelegentlich verschicken sie sogar Entschuldigungsschreiben an die geschädigten Banken. Ist das nicht dreist? Dafür bekommen sie auch noch den Ehrentitel ›Gentlemen-Räuber‹ verliehen. Gibt es sowas?“

      Wiebke faszinierte die Wortgewalt des Ressortchefs, der

      innehielt. Erwartete er Beifall?

      „Um es kurz zu machen, Frau Wiebke: Ich möchte, dass wir Druck machen in dieser Sache, die ganze Raubserie nochmal unter die Lupe nehmen, nach Schwachstellen suchen, dieser sogenannten Ermittlungsgruppe auf die Finger schauen. Es geht nicht an, dass die Leute insgeheim schon Sympathien für dieses seltsam höfliche Gangsterpaar hegen und über die Polizei spotten.“ Sein Blick ruhte auf ihr. „Es ist Ihr Job, Frau Wiebke, dieses Blatt zu wenden!“ Wieder hatte er sich versprochen. Schroeder schlug mit beiden Handflächen auf die Schreibtischplatte und sah sie herausfordernd an.

      Einen Moment herrschte Stille. Wiebke wollte gerade zu einer Antwort anheben, da schnitt ihr Schroeder das Wort ab: „Fast hätte ich es vergessen: Haben Sie ein paar Arbeitsproben dabei?“

      Ihr wurde heiß. Die Glut kroch ihr über die Brust zum Hals bis zu den Haarwurzeln. Sie spürte den kalten Schweiß, der ihr Gesicht benetzte, ihre Nackenhaare anfeuchtete. Sie war in doppelter Hinsicht schockiert, von Schroeders Begehren und dieser befremdlichen Hitzeattacke. Mechanisch griff sie nach ihrer Handtasche, die an der Stuhllehne baumelte, und ließ wieder von ihr ab.

      „Tut mir leid ...“ Ihre Stimme hing in der Luft, sie rang nach Worten. Da winkte Schroeder fahrig ab: „Ist jetzt auch nicht so wichtig, leiern Sie umgehend Ihre Recherche an. Knöpfen Sie sich den Ermittlungschef vor. Ich brauche Ergebnisse! Unser Archiv ist im Keller, besorgen Sie sich Material.“

      Sie suchte den richtigen Tonfall und antwortete hölzern: „Ja, dann melde ich mich, sobald ein Interviewtermin feststeht.“ Dabei streckte sie Schroeder mechanisch die Hand entgegen. „Danke“.

      Sie verließ das Verlagsgebäude mit einem Bündel alter Berichte. Kaum war sie außer Sichtweite des Pförtners, steckte sie sich eine Zigarette an.

      Sechs Tage waren seit jenem Tag, an dem Schroeder sie beauftragt hatte, vergangen. Seitdem wartete sie auf einen Terminvorschlag des Pressesprechers im Polizeipräsidium. Wiebke hatte inzwischen keine Zweifel mehr: Herr Schmittke ließ sie zappeln. Schon der Umstand, dass sie ihre Interviewanfrage schriftlich einreichen musste, war aus ihrer Sicht reine Hinhaltetaktik. Obendrein die Bitte, eine Kopie ihres Presseausweises mitzusenden, Schikane. Schließlich ging es nicht um einen akkreditierungspflichtigen Termin in einem Bundesgericht. Permanent vertröstete er sie mit dem Hinweis, der Chef der Ermittlungsgruppe sei schwer greifbar. Und täglich erreichte sie Schroeders stereotype, ungeduldige Anfrage, wann sie nun liefern könne.

      Wieder wählte sie die Nummer des Polizeisprechers. Einmal mehr versuchte er abzuwiegeln. Er habe immer noch keine Rückmeldung vom Leiter der Ermittlungsgruppe erhalten. Es täte ihm leid.

      „Dann tut’s mir auch leid“, konterte Wiebke kurzentschlossen, „denn ich werde die Story nun ohne Stellungnahme des Ermittlungschefs schreiben. Mutmaßungen lassen sich da kaum vermeiden.“

      Schmittke beschwichtigte. „So eilig kann es doch nicht sein.“

      „Morgen ist Abgabe“, drückte sie aufs Tempo.

      „Frau Wolant, es nützt doch nichts, wenn Sie Druck machen“, ereiferte sich Schmittke.

      Wiebke wartete schweigend ab.

      „Ich werde sehen, was ich machen kann.“ Seine junge Stimme klang verunsichert. Keine fünf Minuten später klingelte ihr

      Telefon. Der Ermittlungschef stehe ihr am nächsten Morgen zur Verfügung, lautete seine „gute Nachricht“.

      Irgendwie hatte sie ihn sich anders vorgestellt. Dennoch, sein Äußeres passte zu seiner Stimme. Sie schätzte ihn auf Mitte 30. Könnte dein Sohn sein, dachte Wiebke, als er ihr sportlich lässig in der Eingangshalle des Präsidiums entgegenkam. Er trug einen modischen blauen Anzug mit Krawatte, sein frecher Haarschnitt war sorgfältig mit Gel in Form gezupft. Der psychologische Effekt ihres Alters und wohl auch ihrer Größe blieb nicht aus. Fast schüchtern bat ein wesentlich kleinerer Schmittke darum, ihm zu folgen. Ohne sich auch nur einmal zu vergewissern, ob sie Schritt halten konnte, eilte er durch die alte Sandsteinburg, deren Stilmix Wiebke auch im Schnelldurchgang wieder beeindruckte. Ein Sakralbau des späten Historismus, wie aus der Zeit gefallen. Nichts hatte sich verändert, seitdem sie hier ein- und ausgegangen war. Vielleicht der Dresscode, denn niemals war Wiebke ein derart gestylter Pressereferent unter diesem Dach begegnet.

      Kriminalhauptkommissar Erol Stabhäuser wartete bereits am Konferenztisch eines spärlich eingerichteten Besprechungszimmers. Ein Bär mit graumeliertem, fast drahtartigem, kurzem Haar im verwaschenen Polohemd. Er bat Wiebke, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Schmittke setzte sich neben den Kommissar. An der Seite des Riesen schrumpfte er zu einem Zwerg.

      „Sie möchten also die ganze Raubserie der Gentlemen-Räuber in einem Artikel aufarbeiten“, konstatierte Stabhäuser emotionslos und fixierte Wiebke über seine tiefgesetzte, randlose Lesebrille.

      „Da benötigen Sie aber eine ganze Zeitungsseite“, kicherte Schmittke und sah auf seinen Stahlchronometer.

      „In der Tat möchten wir den Fallkomplex als solchen einmal beleuchten“, bestätigte Wiebke, ohne darauf einzugehen.

      „Wir haben eine Liste aller Überfälle für Sie vorbereitet“, tat Schmittke wichtig und schob ihr drei dicht beschriebene Din-A4-Seiten über die graue Tischplatte, „und hier“, er zog eine CD-Rom aus seiner Sakkotasche, „Täterfotos und Phantombilder.“

      „Vielen Dank.“ Wiebke überflog die chronologisch aufgestellte Liste. Überfall eins bis 20 im Zeitraum 1995 bis 2010 ...

      „Also, Frau Wolant, ich denke, dass ich bei der weiteren Aufarbeitung nicht mehr benötigt werde“, verabschiedete sich Schmittke und raunte Stabhäuser zu: „Wir sehen uns in der Kantine.“

      Während Wiebke die übrigen Seiten flüchtig querlas, zupfte Stabhäuser an einer Metallecke des dicken, schwarzen Ordners, der vor ihm lag. Klack, klack, klack ...

      „Wieso ist die Raubserie eigentlich nicht beim Landeskriminalamt angesiedelt?“, fragte sie unvermittelt. „Der Aktionsradius der Täter ist doch eindeutig überregional. Weite Teile Nordbadens, der Süd- und Vorderpfalz sind betroffen.“

      „Da müssen Sie schon das LKA fragen“, antwortete Stabhäuser ungerührt.

      Die Frage, ob die Raubserie schon immer von der Karlsruher Kripo bearbeitet worden sei, verneinte er. „Mal ermittelten auch die Kollegen in Heidelberg oder in Mannheim und Ludwigshafen. Seit 2008 haben wir den Fall wieder auf dem Tisch.“

      „Wie hoch ist denn die bisherige Gesamtschadenssumme? Die offiziellen Zahlen scheinen wenig realistisch zu sein. Auch beim letzten Überfall war nur von einigen Tausend Euro die Rede.“

      Stabhäuser schaute verdutzt. „Ich kann Ihnen keine anderen Zahlen nennen.“

      „Können oder wollen Sie keine anderen Zahlen nennen?“

      „Können wir es dabei

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