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ich gehofft, dass ich Schwester Idje ein wenig für sie ersetzen könnte. Aber Frauke war so anders geworden in dieser kurzen Zeit …«

      »Das ist doch unwichtig, Frau Meta«, polterte Evert Bruns. »Langweilt uns doch nicht mit solchen Plaudereien. Es war sicher ein Dieb, der etwas holen wollte und den Frauke überrascht hat.«

      »Sie war so seltsam bedrückt. Da stimmte etwas nicht mit ihr«, wandte Meta Hallenga ein.

      »Geht, und lasst uns das machen. Das ist nichts für Frauen. Kümmert Euch um Eure anderen Lämmlein besser als um dieses!«, forderte Bruns sie auf.

      Meta Hallenga drehte sich zu ihm um und maß ihn von oben bis unten mit einem durchdringenden Blick, dass Bruns ein wenig mulmig wurde. Dann sagte sie leise und bestimmt: »Jeder gepökelte Schweinskopf hat mehr Verstand als Ihr, Amtmann Bruns. Nur Euer Benehmen ist noch schlechter als Euer Denkvermögen. Wie übel muss es um uns bestellt sein, wenn der Graf Leute wie Euch das Land führen lässt.«

      Evert Bruns stand mit offenem Mund vor ihr und glotzte sie an. Bevor er überhaupt daran denken konnte, ob und wie er darauf passend antworten wollte, fuhr die Vorsteherin fort: »Ich verstehe nichts vom Waffenhandwerk. Aber es wurde nicht der Mörder überrascht, sondern die arme Frauke. Der Mörder hat hier seelenruhig gesessen und gewartet. Ein überraschter Räuber schlägt vielleicht jemanden nieder oder geht mit dem Messer auf ihn los. Aber dieser Schuss wurde gezielt auf etwa zehn Schritte aus einem sicheren Versteck abgegeben.«

      »Da ist vielleicht was dran, also … wenn Ihr meint …«, wollte Bruns einlenken.

      »Ich meine gar nichts!« Meta Hallengas Stimme wurde lauter. »Als ich eintraf, war der Mörder noch da. Ich hörte es rascheln im Gebüsch. Und wenn ich ein Mann gewesen wäre, dann …« Sie hatte Tränen in den Augen und schluckte. »Ich werde jetzt zu den anderen gehen und sie trösten.«

      Mit erhobenem Haupt und kleinen, tippelnden Schritten ging sie davon. Ulfert Fockena sah ihr mit großen Augen hinterher.

      Kapitel 2

      Lübbert Rimberti seufzte behaglich. Allzu bequem war der Reisewagen nicht, aber draußen ritt sein Schreiber mit dem Packpferd und Rimbertis Reitpferd. Rimberti war froh, dass sein Sattel leer und der leere Platz im Reisewagen besetzt war.

      Bei der letzten Rast hatten sie im Gasthof zwei Reisende kennengelernt, Juristenkollegen von Dr. Lübbert Rimberti, und sie hatten ihn und seinen Schreiber freundlich eingeladen, mit ihnen zu reisen. Der Schreiber hatte sich gern bereit erklärt, mit den Pferden vor der Kutsche herzureiten. Schon beim Essen hatte der unaufhörliche Redefluss der beiden ihn sichtlich erschöpft. Aber für Rimberti war das Angebot, eine Wegstrecke zurücklegen zu können, ohne reiten zu müssen, überaus verlockend gewesen.

      Nach dem reichlichen Mittagsmahl waren die beiden eingeschlafen, und Rimberti hatte Zeit, seinen Gedanken nachzugehen, bevor sie wach werden und ihre endlosen Diskussionen fortsetzen würden.

      Schon morgen würde er alte Freunde wiedersehen, und er würde Graf Enno gegenübertreten müssen. Immerhin hatte Graf Enno von Ostfriesland selbst den Kaiser um Rimbertis Vermittlung in einem heiklen Rechtsstreit gebeten.

      Rimberti betrachtete seine beiden Mitreisenden. Magister Gisbert van Woerden war Syndikus einer niederländischen Hafenstadt, und Dr. Nicolas Haykema war Notar. Sie waren unterwegs nach Bremen und machten einen Umweg über Ostfriesland.

      Beiden sah man an Kleidung und Erscheinung an, dass sie wohlhabend waren. Beide waren von kräftiger Statur, aber nicht korpulent. Van Woerden hatte nur noch einen spärlichen Haarkranz auf dem Kopf, dafür schmückte ihn ein dichter, kurz geschnittener weißer Vollbart. Rimberti schätzte ihn auf etwa sechzig Jahre. Seine blauen Augen schauten immer etwas belustigt umher, und er sprach mit einer hellen Stimme, die gar nicht zu einem Mann seiner Statur passen wollte. Haykema war etwas kleiner und mochte ein wenig älter sein. Er hatte volles graues Haar. Er sprach, wenn er die Stimme erhob, immer etwas durch die Nase.

      Lübbert Rimberti hing seinen Gedanken nach, Gedanken an die Ereignisse vor einem Jahr, Gedanken an neue Freunde, die er damals kennengelernt hatte und hoffentlich in den nächsten Tagen wiedersehen würde.

      Haykemas nasale Rede holte ihn aus den Gedanken. Offenbar waren die beiden Reisegefährten in der Zwischenzeit aufgewacht und hatten nach ihrem Nickerchen das Gespräch genau an dem Punkt fortgesetzt, an dem sie vorher eingeschlummert waren.

      »Ihr vertretet da eine absurde Theologie, mein lieber van Woerden. Ihr könnt doch nicht so ein kleines Wörtchen, das in vielen Sprachen nur drei Buchstaben hat, im Lateinischen sogar nur zwei – also so ein Wörtchen könnt Ihr doch nicht zum Angelpunkt Eurer Theologie machen.«

      »Und doch steht es schon im ersten Satz der Bibel und ist nach dem Himmel das zweite, was der Allmächtige geschaffen hat«, versetzte van Woerden mit seiner hellen Stimme.

      »Die Erde«, warf Rimberti ein, der nicht genau wusste, worum es in diesem Gespräch ging, sich aber aus Höflichkeit beteiligen wollte.

      Haykema grunzte bestätigend, aber van Woerden schüttelte den Kopf, wobei er bei jeder Bewegung des Kopfes ein hohes Räuspern vernehmen ließ. »Nein, nein, nein! Hört doch, was da steht: ›In principio creavit Deus caelum et terrem– im Anfang schuf Gott Himmel und Erde‹. Drei Dinge hat er geschaffen: den Himmel, die Erde und die Verbindung zwischen beiden. Das und. Der Schöpfer hat mit seinen Werken diese Werke zugleich in eine Beziehung zueinander gesetzt.«

      Rimberti war verwundert über diese eigenartige Gedankenführung. »Ihr behauptet, das Wörtlein ›und‹ sei ein eigenes Werk des Schöpfers? Ihr wisst doch, dass das Wörtlein ›und‹ im Hebräischen nur aus einem einzigen Buchstaben besteht, aus dem Waw.« Rimberti war überrascht, wie engagiert er diskutierte, obwohl er gar nicht genau wusste, worum es ging.

      Van Woerden erwiderte: »Sagt nicht unser Heiland, dass nicht ein Jota vom Gesetz fallen wird? Und der hebrä­ische Buchstabe Jota ist doch nur halb so groß wie ein Waw, das für das Wörtchen ›und‹ steht. Die Kürze eines Wortes bedeutet doch wohl nicht, dass sein Inhalt unbedeutend sei.«

      Rimberti zog den ledernen Vorhang zur Seite und schaute auf die Landschaft, die an ihnen vorbeiruckelte. Gleich kamen sie an die Stelle, an der im letzten Jahr ein Toter entdeckt worden war. Rimberti zog den Vorhang zu und tat so, als machte er ein Nickerchen.

      Kapitel 3

      Graf Enno II. von Ostfriesland betrachtete das Geldstück, auf das sein Porträt geprägt worden war.

      »Gute Arbeit«, lobte er den Münzmeister. »Nehme Er die erste Münze als Geschenk.« Der Graf gab dem Mann mit einer Geste zu verstehen, dass er nun nicht mehr gebraucht wurde.

      »Nun? Wie gefallen Euch die neuen Münzen?«, fragte er seine in der Norder Residenz am Marktplatz versammelten Berater. Drei der vier Männer nickten stumm. Einer stand ein wenig abseits und blickte zu Boden. »Euer Beifall hält sich ja in Grenzen«, stellte Enno in beleidigtem Ton fest.

      »Euer Vater hat ein Bild unseres Herrn am Kreuz auf seine Münzen prägen lassen«, bemerkte Drost Eggerik Beninga.

      »Steht nicht im Evangelium, dass wir dem Kaiser geben sollen, was des Kaisers ist? Und hat unser Herr dies nicht am Exempel einer Münze gelehrt, auf der das Bild des Kaisers eingeprägt war? Oder glaubt Ihr, dass unser Erlöser Wert darauf gelegt hätte, auf eine ostfriesische Münze geprägt zu werden?«, gab Enno spöttisch zurück.

      »Vermutlich nicht. Es wäre ihm eine Ehre gewesen, Euch den Vortritt zu lassen«, antwortete Beninga.

      »Wie könnt Ihr …«, wollte Enno sich empören, aber Eggerik Beninga unterbrach ihn.

      »Ich bin jederzeit gern bereit, mein Amt jemandem zur Verfügung zu stellen, der Euch nach dem Munde redet, anstatt Euch zu beraten.«

      »Nur frei heraus«, sagte Enno mit bemühter Ruhe. »Ihr wart ein treuer Diener meines seligen Vaters. Es ist gewiss nicht leicht für Euch, Euch auf die neue Zeit einzustellen. Ich bin eben anders als mein Vater.«

      »Ihr

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