Скачать книгу

      1. Kapitel

      1918 Ende September / Fritz Haarmann

      Es war ganz einfach.

      Diesmal habe ich es wirklich besonders geschickt eingefädelt!

      Die beiden waren arglos und ich viel schlauer als sie.

      Erst hatte ich den einen angesprochen, dann schickte der mir auch noch seinen Freund vorbei. Besser hätte es kaum sein können.

      Nicht wie damals, als der blöde kleine Widerling nach Hause gelaufen ist, um seinem Vater zu erzählen, dass ich ihn angesprochen hätte und mit in mein Zimmer nehmen wollte.

      Bloß gut, dass ich die Sache vor Gericht noch klarstellen konnte! Alles nur ein Missverständnis. Der Junge muss da was in den falschen Hals gekriegt haben. Kommt ja gern vor in dem Alter.

      Ins Gefängnis musste ich dennoch! Immer wieder! Nicht so schlimm, wie man meinen könnte. Inzwischen kenne ich mich da gut aus. Und die anderen haben mich auch gleich wiedererkannt. Stammen ja viele aus meinem Viertel. Ist wie in einer Familie, wo man ja den einen oder anderen Verwandten auch mal längere Zeit nicht zu Gesicht bekommt.

      Ehrlich: Diesmal war es so einfach, unglaublich.

      Er kam brav mit, tat, was ich mir von ihm wünschte. Alles.

      War immer willig, gab nie Widerworte. Fragte nicht.

      Natürlich ging es von seiner Seite aus nur um Geld.

      Geht es fast immer, liegt an den schweren Zeiten – ist mir auch gleichgültig.

      Ich zahlte. Und zwar gut. Beschenkte sie auch. Keiner, der bei mir über Nacht bleibt, muss etwa hungrig oder durstig in mein Bett kommen. Frühstück inklusive.

      Er war ja nicht zum ersten Mal mit bei mir, wusste genau, was ich von ihm erwartete. Und auch ihn habe ich bei jedem Besuch gut versorgt. Ist eben so meine Art.

      Und er war schön!

      Alles war wunderbar.

      Bis ich dann plötzlich aufgewacht bin. Wohl, weil sich etwas falsch anfühlte, sonst schlafe ich nämlich immer gut, tief und traumlos.

      Der arme kleine Schatz – tot!

      Blut war nicht zu sehen – aber ich spürte einen metallischen Geschmack in meinem Mund, schwer und widerlich. Als hätte ich mal wieder Nasenbluten gehabt.

      Und der Anblick!

      Seine zarte, bleiche Kehle … schauderhaft.

      Zahneindrücke.

      Zu beiden Seiten des Halses.

      Alles bläulich-violett, wie bei den Lutschflecken.

      Schnell deckte ich ihn zu.

      Doch dann kamen mir Zweifel. Also hob ich die Decke noch einmal an, sah gründlich nach, ob ich mich vielleicht getäuscht habe.

      Nein!

      Mir war auf einen Schlag kotzübel.

      Was konnte ihm nur zugestoßen sein?

      Wie war das nur möglich, ein so junge Kerl, voller Lachen und Lebenslust – ganz plötzlich kalt und leblos? Und der Hals?

      Er hatte wenige Stunden zuvor einen vollkommen gesunden Eindruck gemacht – und doch – es war nicht zu übersehen, gab nicht den geringsten Zweifel, er war tot.

      Ich sprang entgeistert aus dem Bett.

      Von allein war ihm das nicht passiert! Unmöglich! Unvorstellbar!

      Konnte es sein? Ich war schuld? Hatte etwa ich ihn getötet? Ich? Im Rausch, sexueller Gier?

      Ausgeschlossen!

      So etwas war ja noch nie vorgekommen!

      Lautlos hastete ich zur Tür.

      Überprüfte die wahrscheinlichste Variante: Es war jemand hereingekommen, während wir geschlafen hatten! Ganz bestimmt!

      Abgesperrt!

      Von innen. Der Schlüssel im Schloss.

      Mir war schwindelig, ich musste mich an die Wand lehnen. Abwarten, bis die Welt anhalten wollte.

      Wir waren also allein geblieben – die ganze Zeit!

      Ich! Meine Schuld!

      Wie ich es auch hin- und herwendete, es sah so aus, als hätte ich ihn umgebracht.

      Das Unbegreifliche meiner Tat erreichte nur langsam mein Denken, das nichts davon wissen wollte und nicht erinnerte, wie all das geschehen sein sollte. Wie auch?

      Die Stimme meiner Mutter bohrend in meinem Kopf »Fritz, sag mir, wo ist der Junge? Los, sag es mir! Wo ist dein Junge?« Unscharfe Erinnerungen. War es möglich? Dieser ist nicht der Erste?

      Doch, behauptete ich mich gegen die Stimme, so etwas gab es noch nicht.

      Aber wenn ich ehrlich war, konnte ich das nicht mit letzter Sicherheit sagen.

      Mein Körper zitterte, als ich das Leichtgewicht aus dem Bett hob und auf den Boden legte. Tränen rannen über mein Gesicht – nein – die Wahrheit ist, ich weinte bitterlich wie ein geprügeltes Kind.

      Und wusste, dass etwas geschehen musste!

      Hier auf dem Boden zwischen Bett und Tisch konnte er schließlich nicht liegen bleiben. Sein Körper musste verschwinden. Und zwar am besten so, dass er für immer unsichtbar bliebe. Schon bald würde man nach ihm zu suchen beginnen. In dem Alter werden sie häufig noch von den Eltern vermisst, wenn sie nicht zum Abendessen nach Hause kommen.

      Später, wenn sie etwas älter sind, lässt das schnell nach.

      Der arme kleine Kerl.

      In einem Stück war er nicht aus dem Zimmer zu bringen. Das Risiko war viel zu groß, dass es jemandem in der Nachbarschaft auffallen könnte. Viel zu auffällig. Und wenn man mich mit einem toten Kind über der Schulter anträfe, wäre ich schließlich um eine kluge Antwort verlegen.

      Kleinteilig müsste es gehen.

      Wahrscheinlich vier oder fünf Gänge, überschlug ich mit Blick auf den Jungen. Das sollte reichen, um ihn in kleinen Portionen abzuwerfen.

      Ich schluchzte noch immer.

      So ein hübscher Junge!

      Eine Schande!

      Vorsichtig breitete ich meine Decke über ihn und schob ihn so weit unters Bett, wie es nur möglich war. Bei einem flüchtigen Blick über die Einrichtung konnte einem der Leichnam entgehen.

      Dann zog ich mich an. Verließ das Zimmer. Beschloss, zunächst bei meiner Schwester unterzukriechen, Emma Burschel. Bei ihr könnte ich in Ruhe planen, wie ich nun vorgehen würde.

      Schlafen konnte ich nicht mehr in dem Zimmer, über seinem Körper.

      Nein! Ausgeschlossen!

      Denken auch nicht, wenn ich wusste, dass er mir dabei zuhört.

      2. Kapitel

      1924 im Juni

      Theodor Lamm war unzufrieden.

      Mehr als das, wenn er es genau bedachte. Heißer Zorn traf seine Gefühlslage besser.

      Der letzte Sommer in Freiheit, so empfand er es wenigstens, lag nun vor ihm, nur noch ein paar Wochen und er musste den Betrieb seines Vaters übernehmen.

      Gerade jetzt nicht eben eine verlockende Aussicht.

      Nachkriegszeit. Besatzungszeit. Unsicherheiten und Unwägbarkeiten.

      Wer hatte schon genug Geld, um sich neue Möbel schreinern zu lassen? Im Moment kauften die Leute am liebsten gar nichts – und die Dinge des täglichen Bedarfs erstanden sie auf dem Schleichmarkt.

      Theodor seufzte schwer.

      Er war

Скачать книгу