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Gardelegen, das Bitterbier aus dem genauso nahen, nur südöstlich von Magdeburg gelegenen Zerbst oder das berühmteste von allen, das Duckstein aus dem westlich gelegenen Königslutter – nicht mehr oder nur noch unter großen Schwierigkeiten in die Stadt hineinfanden.

      Sogar der Wettinische Keuterling, ein mittelprächtiges Gebräu aus dem Herzogtum Magdeburg, wurde, wenn es denn angeboten wurde, lieber getrunken als Knolls beinahe hopfenloses, süß-saures Broyhan-Bier, dessen Rezept er dem erfolgreichen Original aus Hannover nachempfunden hatte. Allein das Wasser der Elbe eignete sich nicht für den Broyhan. Da die Stadt auf Fels gegründet war, gab es keine Brunnen, sodass sie sich mit dem häufig verdreckten Flusswasser begnügen mussten.

      Knoll hatte in Hannover das Bierbrauen gelernt, bei den Nachkommen des legendären Braumeisters Cord Broyhan. Sein eigener Vater hatte ihn mit dem Vornamen des berühmten Vorbilds versehen und taufen lassen. Auch er war erfolgreich in dessen Fußstapfen getreten, hatte das Bierbrauen am Ort der Entdeckung dieses beliebten Bieres gelernt, hatte alle Lehrbücher über die Bierbrauerei studiert, die es überhaupt gab, und schließlich das Brauhaus seines Vaters übernommen.

      Jahrelang hatte er geglaubt, er könne nichts anderes brauen als Broyhan. Und jahrelang hatte sein Magdeburger Brauhaus sich auch erfolgreich mit der auswärtigen Konkurrenz arrangiert, was beileibe nicht leicht gefallen war, da Magdeburg doch geradezu umzingelt war von berühmten Brauereien.

      Das waren noch Zeiten gewesen, als in der überaus fruchtbaren Magdeburger Börde noch genug von dem berühmten Börde-Brauweizen wuchs! Jedes Frühjahr und jeden Herbst wurden große Mengen davon an die gut zahlenden Brauer nach Königslutter und Gardelegen geliefert. Aber auch für die einheimischen Brauer blieb genug übrig, um gutes Bier herstellen zu können. Im Gegengeschäft für den Weizen hatte so manches Fass Duckstein-Bier auf rumpelnden Karren das Magdeburger Stadttor passiert. Diese Köstlichkeit aus Königslutter wurde den Wirten fast aus den Händen gerissen. Ja, wenn er so ein Brauwasser hätte! Das wäre herrlich …

      Die Stadt Gardelegen hatte sich auf andere Weise für die Weizenlieferungen revanchiert. Neben Garley-Bier wurde ebenso der nicht minder berühmte Hopfen exportiert. Auch Knoll hatte jahrelang von der Möglichkeit profitiert, günstig erstklassigen Gardelegener Hopfen zu bekommen, auch wenn der schwach gehopfte Broyhan nur wenig davon benötigte.

      Das Zerbster Bier hatte immer ohne gegenseitigen Handel den Weg in die Stadt gefunden. Magdeburg hatte das Stapelrecht für diesen Abschnitt der Elbe, und so musste jedes Fass Zerbster Bitterbier hier verschifft – und natürlich verzollt werden. Der Zoll war meist in Naturalien entrichtet worden.

      Alle Brauer waren zufrieden gewesen, die Biertrinker der Hansestadt rühmten die Vielfalt der Biere, die hier im Angebot waren. Auch der Magdeburger Broyhan war erheblich besser gewesen als heutzutage. Sogar der Ratsherr Otto von Gericke, einer der bekanntesten Bürger der Stadt, ein Mann, auf dessen militärischem Geschick nun die Hoffnungen vieler Magdeburger ruhten, war regelmäßig und gern zu Gast in Cords Brauhaus gewesen.

      Zu dieser Zeit war besonders ganz Mitteldeutschland durch die, wie eine biblische Heuschreckenplage, über alles herfallenden Söldnerheere bedroht. Sie plünderten, brandschatzten und fraßen ganze Landstriche leer. Aufgrund dieser Verwüstungen, gab es seit zwei Jahren kaum noch Gerste oder Weizen. Und das Wenige von Qualität wurde zum Brotbacken benötigt. Die Brauer bekamen lediglich den Ausputz, das Hühnerfutter. Andere Getreidesorten waren ebenso unerschwinglich geworden. Ein Scheffel Roggen, der 1620 noch zwei Reichstaler gekostet hatte, war mittlerweile nicht mehr unter zwölf Talern zu haben. Diese Taler waren zwar keine reinen Silbertaler mehr, sondern mit Kupfer gestreckt, aber immer noch genauso teuer.

      Der Hopfen war aus dem Magdeburger Broyhan komplett verschwunden. Und seitdem bekannt geworden war, dass der verhasste Generalissimus des papistischen Habsburgerkaisers, Albrecht von Wallenstein, dem Wein abgeschworen hatte und am liebsten das Weizenbier aus seiner eigenen Brauerei trank, wurde Knoll regelmäßig das Opfer von Schimpfkanonaden seiner Kunden. ›Braut endlich mal ein Bier, das zu uns Protestanten passt. Bier mit Weizen drin ist was für Katholiken!‹

      ›Wenn es dem Wallenstein schmeckt, wie könnte es uns dann munden?‹

      Knoll hatte nur eine Antwort parat: ›Wenn der Krieg so weiter geht, dann gibt es bald gar kein Bier mehr, auch keines mehr, über das ihr euch beschweren könnt.‹

      Wieder einmal hatten zu viele der Machthabenden, ganz besonders aber die Kaiser Matthias und Ferdinand aus dem Geschlecht der Habsburger, die alte Diplomatenweisheit ignoriert: ›Krieg ist leicht anzufangen, die Mitte aber schwer und mühsam und der Ausgang ungewiss.‹

      Dieser Krieg befand sich genau in der Mitte, in der schweren und mühsamen Mitte. Und zwischendrin nun die ›Burg der Mägde‹, die eine Jungfrau im Wappen führte. Sie war nämlich erheblich unter Druck geraten. Als ›Unser Herrgotts Kanzlei‹, als ›Heilige Wehrstadt des Protestantismus‹ war Magdeburg die erklärte Hochburg des Widerstandes gegen die vom Kaiser in Wien angeordnete Rekatholisierung und hatte so in der Vergangenheit bereits des Öfteren unter der Reichsacht gestanden. Dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 war eine ungewohnt lange Zeit ohne größeres Kriegstreiben gefolgt. Über fünfzig Jahre lang konnten sich die Bauern wie auch Handel und Handwerk an den Früchten ihrer Arbeit freuen. Magdeburg wurde reich. Durch die gleichzeitige Verbreitung der Reformation sowie dem Erstarken der Gegenreformation war der Friede anfänglich nur ins Wanken geraten und schließlich 1618 vom Kaiser und den Böhmischen Ständen gänzlich beendet worden. Seither herrschte Krieg, der von den Herzögen Wallenstein und Maximilian I. von Bayern zuerst einmal nach Böhmen und in die Kurpfalz getragen worden war.

      Erst fünf Jahre später – der Krieg war längst überall in Deutschland angekommen – stellte der Rat von Magdeburg fest, dass es wohl unmöglich sein würde, sich in Zukunft aus dem Krieg herauszuhalten und begann aufzurüsten. Eine Kriegsanleihe war erhoben worden, dieser Kriegszehnte war von allen Bürgern zu entrichten; er hätte ursprünglich sogar verzinst werden sollen. Es dauerte jedoch noch einmal sechs Jahre, bis die wirtschaftliche Not so sichtbar war, dass der alte Rat abgesetzt wurde. 1630 gab es erste Unterstützung von schwedischen Soldaten, aber seither war Magdeburg ein protestantischer Dorn im katholischen Auge des Kaisers. Vor allem, weil die Stadt mit der Zeit der einzige echte Verbündete des Schweden­königs geworden war.

      Der kaiserliche General Tilly, der nach Wallensteins Entlassung aus des Kaisers Diensten die Führung der Armeen der Katholischen Liga übernommen hatte, hatte sich die Eroberung Magdeburgs, die er, teils zynisch, teils religiös-fanatisch, ›die Verheiratung der Magdeburger Jungfrau mit dem katholischen Kaiser‹ nannte, als oberstes Kriegsziel gesetzt.

      Seit Anfang März 1631 lagerten Tillys Truppen vor Magdeburg, hatten Schanzen gebaut, Laufgräben ausgehoben und ihre eigene Stadt vor der Stadt errichtet. Dennoch war den Bürgern innerhalb der Stadtmauern die meiste Zeit nicht bange gewesen. Denn der schwedische König Gustav Adolf, der unbesiegbare ›Löwe aus Mitternacht‹, war mit Verstärkung unterwegs. Er würde General Tilly auf seine gierigen Pfoten klopfen und wieder vertreiben. Zur Befestigung der Wehranlagen hatten die Bürger sogar Steine aus den Mauern des Bischofspalastes herausgebrochen, sodass dieser langsam zerfiel. Der Bischof residierte längst in Halle.

      Cord Heinrich Knoll, der keine Ahnung hatte, wie falsch er mit seiner Hoffnung auf schwedische Verstärkung lag und der nicht wusste, dass sein Schicksal eigentlich schon besiegelt war, kämpfte mit anderen, banaleren Problemen: Im Moment versuchte er noch mit Resten eines ziemlich dünn geratenen Malzes einen letzten Sud eines ebenso dünnen Broyhans zu brauen, bevor der anbrechende Sommer der Brausaison ein Ende setzen würde. Es war ein ungewöhnlich kaltes, trockenes Frühjahr gewesen, bis vor einigen Tagen der Regen eingesetzt hatte. Nur aufgrund des kühlen Wetters konnte im Mai noch gebraut werden. Normalerweise war damit Ende April Schluss, auch wenn es in Magdeburg nicht gesetzlich geregelt war wie in Bayern, mit dem Namenstag des Heiligen Georg, dem 23. April, aufzuhören. Er trieb seinen Brauerburschen an, das Feuer ordentlich zu schüren. Dass es sich dabei um seinen eigenen Sohn handelte, spielte keine Rolle. »Los, Gisbert, blas’ schon anständig rein in die Glut, auf dass wir eine gute Hitze haben!« Der achtjährige Junge, mit einer langen, gegerbten Lederhose und einem verdreckten Leinenhemd gekleidet, schwitzte und pumpte an dem großen

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