Скачать книгу

angetan haben könnte?«

      Renate Tjarksen spielte mit dem Feuerzeug. »Wenn Sie mich so fragen, weiß ich gar nicht, was ich antworten soll. Mein Mann hatte viele Gegner. Er war ein knallharter Geschäftsmann. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Konkurrent ihn umgebracht hätte. Er war hart, aber fair.«

      »Und einer von seinen Angestellten?«

      Renate Tjarksen schüttelte den Kopf. »Er war als Chef nicht immer einfach, er hat von seinen Leuten viel verlangt. Aber er hat gute Arbeit auch gut bezahlt.«

      »Bitte denken Sie noch einmal darüber nach, ob es irgendwelche Anrufe oder Briefe gab. Ist etwas Außergewöhnliches passiert? Hat er sich irgendwie bedroht gefühlt? Hatte er Angst?«

      »Tammo und Angst? Angst kannte der nicht. Der ist immer auf alles losgegangen. Der ist keinem Streit aus dem Weg gegangen, dieser Sturkopf.« Renate Tjarksen konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie betupfte ihre Augen mit einem Taschentuch, um die Wimperntusche nicht zu verschmieren. »Ich glaube, ich möchte jetzt einen Moment allein sein. Ich rufe Sie an, wenn mir noch etwas einfällt.«

      Roolfs nickte. Er gab ihr seine Karte und dachte darüber nach, wie oft er diesen Satz in all seinen Dienstjahren schon gehört hatte.

      Licht

      Gerrit Roolfs tastete sich im dunklen Flur die Treppe hoch und ging auf eine Tür zu, unter der ein Streifen Helligkeit durchschimmerte. Er stolperte. Die Tür wurde geöffnet.

      »Machen Sie sich doch Licht, Herr Hauptkommissar.« Klaus Tjarksen drückte einen Wandschalter. »Sie kommen ja noch zu Fall.« Er machte eine einladende Handbewegung, und Gerrit Roolfs trat ein.

      Der Raum war eine Mischung aus Jugendzimmer und Seniorenappartement, die Möbel in Eiche rustikal gehalten, über dem Sofa das unvermeidliche Stickbild vom pfeiferauchenden Seemann im Ölzeug mit Kappe. In der Schrankwand waren Gläser, Sammeltassen und die ebenfalls unvermeidlichen noch eingeschweißten Pflichtexemplare aus dem Bücherklub versammelt.

      Auf dem Schreibtisch stand ein riesiger Computermonitor, und ein Bücherregal war vollgestopft mit DVDs und Computerspielen. An den fast zwei Quadratmeter großen Fernseher war eine Playstation angeschlossen, wie Gerrit Roolfs sie von seinen beiden Neffen kannte. Die Tür an der gegenüberliegenden Wand schien ins Schlafzimmer zu führen. Diesen Raum hätte Gerrit Roolfs gern inspiziert.

      »Sie leben noch bei Ihren Eltern?«

      »Ja, ich habe keine eigene Familie. Hier ist es ja viel praktischer, und das Geld kann ich sparen. Nehmen Sie doch Platz, Herr Hauptkommissar.«

      Roolfs setzte sich. »Haben Sie noch Geschwister?«

      »Ja, einen Bruder, Heiko. Der ist ein paar Jahre jünger als ich. Aber der will nichts mehr von uns wissen. Der kommt schon seit über zehn Jahren nicht mehr. Ich bin mal gespannt, ob der sich bei Vaters Beerdigung überhaupt blicken lässt. Am besten, man ruft ihn gar nicht erst an.«

      »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das doch täten«, sagte Roolfs bedächtig. »Sicher muss ich in den kommenden Tagen auch mit ihm einmal reden.«

      »Da gibt es nichts zu reden, Herr Roolfs«, erregte sich Tjarksen. »Der schießt doch nur quer. Das hat er immer schon gemacht. Wir könnten eine so harmonische Familie sein …!«

      Familienharmonie

      »Und was hat die Familienharmonie gestört?«, fragte Roolfs.

      »Ach, Heiko hatte immer Streit mit Papa. Unser Vater ist kein einfacher Mann, aber er hat nur das Beste für alle gewollt. ›Halt dich doch still‹, hat Mutti immer zu Heiko gesagt. Aber er musste dauernd gegen Papa aneseln. Und dann, Weihnachten vor zehn Jahren, da ist Papa die Hand ausgerutscht und er hat Heiko eine gescheuert und ihn rausgeschmissen. Das war vielleicht auch nicht ganz richtig, aber der Heiko hat immer provoziert, der wollte immer mit Papa diskutieren!«

      »Wie alt war Ihr Bruder, als das passierte?«, bohrte Gerrit Roolfs weiter.

      »Fünfundzwanzig. Er hatte gerade sein erstes Examen als Lehrer gemacht. Aber das hat ja jetzt mit der Sache nichts zu tun, oder? Verdächtigen Sie Heiko?«

      »Ich verdächtige noch niemanden. Aber alle Einzelheiten sind hilfreich, damit ich mir ein Bild von Ihrem Vater machen kann.«

      »Da haben Sie mich ja gut ausgehorcht, Herr Hauptkommissar.« Klaus Tjarksen lächelte.

      »Tja, das ist nun mal mein Beruf. Das habe ich gelernt«, antwortete Gerrit Roolfs trocken. »Und was machen Sie beruflich?«

      »Ich habe BWL studiert. In Oldenburg. Dort arbeite ich für zwei Tage in der Woche bei einem Wirtschaftsförderungs-Projekt mit. Bisher hatte ich ja Zeit dazu, weil mein Vater noch viel in unserer Firma gemacht hat. Das wird sich nun wohl ändern.«

      Klaus Tjarksen zögerte einen Moment. »Aber dass Sie mir daraus kein Mordmotiv machen! Vater wollte sich in zwei oder drei Jahren sowieso zur Ruhe setzen. Und seine Hilfe hätte ich noch dringend gebraucht.«

      »Und wer hilft Ihnen jetzt?«

      »Wolfgang Hinrichsen, unser Prokurist. Aber der scheidet auch als Täter aus. Der arbeitet schon so viele Jahre bei uns, der gehört richtig mit zur Familie.«

      »Meinen Sie, dass der Hinweis auf die Verbundenheit mit Ihrer Familie ihn entlastet?«

      »Mein Vater hatte viele Gegner. Er hat ein paar kleine Geschäfte kaputtgemacht. Und er hat sich mit dem Fürsten angelegt, und mit der Gewerkschaft. Und zuletzt wegen dieser Weihnachtssache auch noch mit der Kirche. Aber ich will nichts gesagt haben.«

      »Wurde Ihr Vater bedroht?«, fragte Roolfs. »Hatte er jemals das Gefühl, in Gefahr zu sein? Bekam er Briefe oder Anrufe, vor denen er sich fürchtete? Haben Sie davon mal etwas mitbekommen?«

      »Nee, davon habe ich nie etwas bemerkt. Vater redete auch nicht über so etwas.«

      »Was war Ihr Vater eigentlich für ein Mensch?«

      Klaus Tjarksen sah Roolfs mit großen Augen an und antwortete erst nach einem Moment des Schweigens. »Also, er war irgendwie ganz normal.«

Montag, 2. Dezember

      Rührung

      »Wieso lebt einer mit vierzig Jahren noch bei Mama und Papa? Kann mir das einer von euch erklären?« Gerrit klopfte mit seinem Teelöffel auf die Tischkante.

      Lothar Uphoff und Habbo Janssen schauten ihn erstaunt an und rührten in ihren Teetassen.

      In aller Ruhe trank Janssen seine Tasse aus. Dann antwortete er gutmütig: »Wenn er noch keine eigene Familie hat, warum soll er …«

      »Ja ja«, unterbrach ihn Roolfs, »ich weiß, was du sagen willst. Warum soll er dann Geld für ein Haus ausgeben, in dem er einsam auf dem Stuhl sitzt und traurig aus dem Fenster guckt? Aber irgendwie ist das doch nicht ganz normal, oder? Was meinst du, Lothar?«

      »Irgendwie komisch ist es schon«, räumte Uphoff ein.

      »Aber so selten ist das doch gar nicht«, protestierte Habbo Janssen zaghaft. »Der Sohn meiner Schwester wohnt mit einunddreißig Jahren auch noch zu Hause, und in unserem Bekanntenkreis …«

      »Habbo!«, unterbrach ihn Roolfs. »Das ist wie bei der Bausparkassenwerbung. ›Ich wohne oben bei Mutti.‹ Da kann ich nur sagen: ›Wie uncool‹!«

      »Ich kenne den Werbespot auch«, erwiderte Habbo Janssen beleidigt. »Ich will dir mal was sagen: So uncool ist der Thomas in der Fernsehwerbung doch gar nicht. Der sieht noch sehr jugendlich aus, während sein ehemaliger Mitkonfirmand mit seinem Superhaus mindestens zehn Jahre älter wirkt, vor allem in so einem komischen Cordanzug.«

      Genervt ging Kriminaldirektor Uphoff dazwischen: »Fakt ist: Tammo Tjarksen wurde in den frühen Morgenstunden erschossen und dann erhängt. Das hat die Obduktion klar ergeben. Die Gerichtsmedizin hat vorhin angerufen, der Bericht wird uns gleich gefaxt. Die genaue Uhrzeit haben wir nicht, aber es

Скачать книгу