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und seine echte Erhebung in den natürlichen Adelsstand zu vollziehen. Eines Tages verschwand das Mädchen. Vielleicht – wenn man einen romanhaften Abschluß dieser romanhaften Geschichte will – kam der Zirkus wieder in die Gegend, und das Mädchen sehnte sich schon nach ihrem Trapez. Denn auch die Akrobatik kann eine Berufung sein.

      Frau Bernheim kehrte zurück. Das Haus belebte sich mäßig. Paul, den das Abenteuer seines Vaters traurig gemacht hatte, weil die erwartete Auszeichnung ausgeblieben war und weil der Rittmeister verschwand, erholte sich später schnell und fand sogar eine Freude an der Tatsache, daß „sein Alter doch ein Kerl” sei.

      Im übrigen bereitete er seine Abreise vor.

      Bald durfte er ein neues Leben beginnen.

      II

      Er bestand – wie vorauszusehen war – das Abitur mit Auszeichnung. Von nun an trug er ein paar neue Anzüge. Die alten Schülerkleider schienen ihm ungesund, wie Gewänder, die man während einer langen, epidemischen Krankheit getragen hat. Die neuen Anzüge waren locker, hell, von unbestimmter Färbung, weich und haarig, leicht und warm. Die Stoffe kamen aus England, dem Land, in das Paul Bernheim gehen wollte.

      Keiner von all den jungen Leuten ging nach England. Ein einziger, der die zage Absicht äußerte, in Paris „perfekt Französisch” zu erlernen, erschien den andern verdächtig. Aber der alte Bernheim hatte einmal in einer Gesellschaft gesagt: „Meinen Sohn schicke ich in die Welt, sobald er das Abitur hat!” Und die Welt war für einen gewissen Kreis von gehobenen Bürgern England.

      Diese Herren ließen schon seit einigen Jahren ihre Anzüge aus England kommen, waren Mitglieder von Flottenvereinen, rühmten die britische Politik und die britische Verfassung, trafen König Eduard den Siebenten oft und wie von ungefähr auf der Marienbader Promenade, machten Geschäfte mit Engländern, tranken Whisky und Grogs, obwohl ihnen Pilsner Bier schmeckte, schlossen sich in Klubs zusammen, obwohl sie sich lieber im Kaffeehaus getroffen hätten, simulierten Schweigsamkeit, obgleich sie beredt von Natur waren, wurden Sammler von verschiedenen nutzlosen Gegenständen, weil sie sich einbildeten, ein wohlgeborener Mann müsse einen „Spleen” haben, trieben Gymnastik in den Morgenstunden, verbrachten den Sommer an den Küsten und auf den Meeren, um eine salzluft– und windgerötete Haut zu bekommen, und erzählten Wunder vom Londoner Nebel, der Londoner Börse, den Londoner Polizisten. Manche gingen so weit, „well” statt ja zu sagen und englische Zeitungen zu abonnieren, die viel zu spät kamen, als daß man aus ihnen noch Neuigkeiten hätte erfahren können. Aber die Abonnenten nahmen Ereignisse, die sie noch nicht auf Englisch gelesen hatten, vorläufig nicht zur Kenntnis. „Warten wir ab!” sagten sie, wenn etwas geschah, „morgen kommt die Zeitung.” Ihre Kinder lernten Englisch wie Deutsch sprechen. Und eine Zeitlang sah es aus, als wüchse eine kleine angelsächsische Nation mitten in der Stadt heran, um sich gelegentlich freiwillig dem britischen Imperium einverleiben zu lassen. Man mußte in dieser Stadt, die einen durchaus kontinentalen Charakter hatte, in der niemals die Spur von einem Nebel zu ahnen war, so essen, trinken, gekleidet sein wie an den meerumrauschten Küsten von England.

      Sobald Paul seine englischen Anzüge ein paar Wochen getragen hatte, erklärte er, einige Jahre in England bleiben zu wollen. Und wahrscheinlich in der Angst, man könnte den Wert eines Studiums und eines Lebens in England leicht unterschätzen, erzählte er: „Die Bedingungen, in ein englisches College zu kommen, sind gar nicht so leicht, wie man sich einbildet. Ein Ausländer muß überhaupt von zwei repräsentativen Engländern empfohlen werden, sonst kommt er im Leben nicht hinein! Und vor allem muß man sich tadellos benehmen können, was bei uns ja leider so selten ist! Ich gehe nach Oxford! Nächste Woche übe ich mich noch im Schwimmen.”

      Es klang, als hätte er die Absicht, das College schwimmend zu erreichen.

      Da nach der Vorstellung, die er sich von den Engländern machte, mit Kunstgeschichte bei ihnen wenig auszurichten war und sie eine sozusagen praktische Veranlagung hatten, beschloß er, Staatswissenschaften zu studieren, Geschichte und Jurisprudenz. Von den Bildern und Malern war keine Rede mehr. Ehe man es sich versah, standen alle wissenschaftlichen Werke, die er brauchte, in seiner Bibliothek. Aus den Prospekten wußte er bereits, wie es in Oxford zugeht. Er erzählte Geschichten aus Oxford, als wäre er von dort hergekommen und nicht erst im Begriff, eben hinzugehen. Merkwürdiger aber noch als die Tatsache, daß er von den Colleges mit der Autorität eines langjährigen Kenners sprach, war das Interesse und die Gläubigkeit der Leute, die ihn fragten. Und nicht nur er, sondern auch sein Vater erzählte von Oxforder Studien, und alle Mitglieder des Klubs, dem der alte Bernheim angehörte, zitierten zu Hause den Stundenplan von Oxford. Und alle heiratsfähigen Mädchen erzählten einander: „Paul geht nach Oxford!” Sie sagten Paul, ebenso wie ihn eine ganze Schicht des Bürgertums nannte. Er war ihr Liebling. Es ist das Schicksal der liebenswürdigen Männer, von fremden Menschen beim Vornamen gerufen zu werden.

      Paul fuhr nach Oxford, an einem schönen Junitag, von einigen jungen Damen zur Bahn begleitet. Seine Eltern hatten schon eine Woche früher die Stadt verlassen, waren in die Sommerferien gefahren, weil Pauls Mutter erklärt hatte: „Ich will nicht zurückbleiben, wenn Paul für so lange Zeit von uns wegfährt! Wenn ich unterwegs bin, fällt es mir leichter.” Paul trug einen seiner Anzüge von unbestimmter Färbung, hielt eine kurze Pfeife im linken Mundwinkel und stand, eine Figur aus einer Modezeitschrift, am Kupeefenster. Während der Zug aus der Halle rollte, warf er mit bewundernswerter Geschicklichkeit den drei schönsten Mädchen je eine Rose zu. Nur eine einzige fiel zu Boden, das Mädchen bückte sich, und als es wieder aufblickte, war Paul bereits außer ihrer Sichtweite. Er war endgültig fort, und die Stadt schien es an diesem stillen Sommerabend zu fühlen. Sie war traurig.

      In gewissen Abständen kam an den und jenen ein Brief von Paul Bernheim. Es waren Musterbriefe. Gentleman-Briefe. Auf dreifach gefaltetem Papier, das an pergamentene Urkunden erinnerte und an dessen linkem oberem Rand in erhabenen Buchstaben Pauls Monogramm in dunkelbläulicher Tönung glänzte, marschierten die breiten Antiqualettern, ein wenig verwöhnt, ein wenig gespreizt, in großen Abständen und mit breiten Rändern. Der Absender nannte sich nie auf dem Umschlag. Ungefähr in der Mitte der Kuverts erhob sich in dunkelbläulichem Siegellack das Monogramm, ein P, das im Bauch des B kunstvoll eingelagert war wie eine Frucht im Mutterleib. In diesen Briefen herrschte meist ein sehr allgemeiner konventioneller Ton. Fachausdrücke aus dem Gebiete des Sports, erschütternd fremde Bezeichnungen für Ruder– und Segelboote wechselten mit vornehmen Familiennamen ab, und kurze, einsilbige Rufnamen der Kameraden, Bob, Tedd und Pitt, waren wie Knallerbsen in die Texte eingestreut.

      Eines Tages ließ er sich in London von einem Konsulararzt in die Armee einreihen. Er bekam einige Jahre Aufschub. Selbstverständlich wurde er der Kavallerie zugeteilt.

      Seine Aufnahme in den Soldatenstand teilte er folgendermaßen mit: „Also, mein Lieber, nun ist es soweit! Kavallerie, hoffe Dragoner. Altem sofort telegraphiert. Zwei Jahre Aufschub, bis dahin reite ich echtes Wildwest. Habe hier Gaul gekauft, Kentucky getauft, leckt mir das Gesicht, hat Charakter wie ein Kater. Arzt war großartig, war auch der schönste Bursche da oben, Kunststück, die andern lauter Handelsangestellte, ein einziger Arbeiter. Armselige Rasse. Dennoch genommen. Als wäre Krieg. Dann zwei Tage London geblieben, rumgetrieben in finstersten Winkeln. Wieder mal Frauen gesehen, nach der langen Klostermoral im College. An den Katecheten gedacht, war doch ein famoser Mann. Lebt er noch? Also, mein Alter, noch ein Jahr, dann bin ich zwei Wochen zu Hause. Muß rasch hinaus, üben zur nächsten Woche. Monströs! Fechtturnier mit Ball anschließend. Habe Tanz fast ganz verlernt, muß neu ran. Du siehst, allerhand zu tun. Gut Glück und Prosit!”

      Er schrieb ähnliche Briefe nach Hause. Es schien, daß er eigentlich gar nichts mitzuteilen hatte und daß seine Korrespondenz nur die unerbittliche Folge eines Stundenplans im College war, in dem das Schreiben an die Lieben daheim ebenso ein Gebot war wie das Fechten und Rudern.

      „Ich möchte nur wissen”, sagte der alte Bernheim im Klub, „wann die Bengel Zeit haben zu lernen! Von der Wissenschaft schreibt er gar nichts.”

      Der Fabrikant Lang, der die „besten Beziehungen” zu England hatte, ließ keinen Zweifel an der Unterrichtsmethode der Colleges zu und meinte, nicht ohne eine gelinde Indignation zu zeigen:

      „Die Engländer werden schon wissen, was sie zu tun haben! Sehen Sie

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