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Читать онлайн.Eine zweite im Jahre 1836 erschienene Novelle »Die Ohrfeige« ist wegen ihres merkwürdigen Schicksals einigermaßen interessant. Während sie bei der Kritik starken Beifall fand (vgl. z. B. »Blätter für Literatur und bildende Kunst« [Beilage zur »Abendzeitung«] 1836. Nr. 38; »Literarische und kritische Blätter der Börsenhalle«, 1836, Nr. 1236), wurde von dem Buche kaum ein Exemplar abgesetzt; erst als B. S. Berendsohn das Werk dem »Magazin für Buchhandel« abkaufte und es (gegen Schiffs Willen) unter einem neuen Titel:»Linchen oder Erziehungsresultate« 1841 neuerdings erscheinen ließ, eroberte es sich das Publikum. Dem Verfasser schwebte die Idee vor, die Pädagogik seiner Zeit zu ironisieren. Leider ist dieser zweifellos glückliche Gedanke wenig durchgeführt. Nur ein einleitender Brief, in dem sich Schiff über Erziehungsfragen ernst ausspricht, kann interessieren, die Fabel läßt völlig kalt. Schiff schildert einen jungen Menschen, Heinrich Wolters, der immer gehofmeistert wird, niemals aufhört, ein Kind zu sein und alles über sich ergehen lassen muß. bis ihn endlich die Ohrfeige seines Erziehers zum Manne macht. Dieses Thema hätte eine konsequente ironische Behandlung sehr gut vertragen, wie etwa Kurz-Bernardon und Hensler im »Dreißigjährigen A-B-C-Schützen« mit demselben Sujet verfuhren. Schiff schwankt aber in der Verfolgung seines Zieles beständig hin und her zwischen Ernst und Satire, wodurch sich niemals ein einheitlicher Eindruck ergibt.– –
Nur ein Jahr litt es Schiff in Hamburg. 1837 und 1838 lebte er zuerst bei Verwandten in Ostfriesland, später in Emden. Namentlich der ostfriesische Aufenthalt ist für seine Entwicklung von der weitestreichenden Bedeutung. Hier fand er nämlich innerlich einigermaßen den Weg zum Judentum zurück, das er äußerlich bisher nicht aufgegeben hatte. Wagenseils merkwürdiges Buch »Die Kunst, hebräisch lesen zu lernen«, das er in Aurich bei einem Bankier aufstöberte, ergriff ihn so, daß er sich darin vertiefte und nun der Gedanke in ihm reifte, die Sagen der Juden zu sammeln und herauszugeben. Schon anfangs 1837 taucht in einem von Eduard Maria Oettinger in Hamburg herausgegebenen »Argus« (Nr. 1) die Nachricht auf, daß »der von dem Häringschen ›Freimütigen‹ längst totgesagte Dr. Schiff in Emden einen jüdischen Gil Blas vollende, der im nächsten Jahre bei Hoffmann und Campe erscheinen werde«. Vorläufig bestand indessen nur der Plan zu einem derartigen Werke, die Ausführung ließ noch auf sich warten, wahrscheinlich deshalb, weil Schiff mit seinen katholisierenden Neigungen noch nicht fertig war. Zu dieser Vermutung berechtigt die Tatsache, daß er 1838 sein vielleicht reifstes und echtestes romantisches Werk erscheinen ließ, die Märchennovelle »GevatterTod« (1838 bei Hoffmann und Campe). Goedeke hat »Gevatter Tod« Schiffs bestes Werk genannt, ein Urteil, dem man nicht zur Gänze beipflichten kann. Dieser »Gevatter Tod« verwebt eine Fülle alter Märchenmotive in von Schiff neu erfundene. Doch sind die ersteren weitaus besser und vor allem glaubhafter und künstlerischer. Schon der Doppeltitel «Märchen-Novelle« ist eigentlich ein Unding, weil sich märchenhafte Züge mit novellistischen nur sehr schwer vereinbaren lassen. So leidet denn Schiffs Komposition an den stärksten innerlichen Gebrechen, zumal sein unseliger Hang, Binnenerzählungen zu schaffen, hier am ärgsten ausartet. Immer wieder schiebt er eine Erzählung in eine andere und diese beiden in eine dritte. Eine Übersicht, ein Auseinanderhalten der Figuren der einzelnen Erzahlungen ist dadurch kaum möglich.
Mit einem ergreifenden Bilde setzt die Geschichte ein: Der Tod bei der Taufe eines Kindes. Dieses Märchenmotiv aus den Grimmschen »Kinder- und Hausmärchen« hat Schiff glücklich abgeändert. Weniger gelang ihm dies bei der Verwendung eines alten Sagenmotivs: Die Erscheinung des ewigen Juden ist verfehlt, zumal sie nicht im Zusammenhang mit dem Ganzen steht und mit diesem nur sehr lose verknüpft ist. Die gespenstische Figur der Ahnfrau ist eine schlechte Kopie der Grillparzerschen. Am unheilvollsten für das Werk ist freilich, daß Schiff sich krampfhaft bemüht, Tiecks novellistische Manier nachzubilden, womit er völlig in die Irre geht. Er führt einen kräftigen, leidenschaftlichen Ritter vor. der aber am Ende der Märchen-Novelle (ebenso wie die Helden in Tiecks Novellen der Dreißigerjahre) seine Kraft und Leidenschaft verliert und ganz in Weichlichkeit versinkt. Schiffs gefühlvoller Humor, der sonst so durchschlagende Wirkung übt, ist hier zu unpoetischer Ironie herabgesunken, die alles zerstört, was schön und heilig ist. Rühmenswert ist nur die eingelegte Lyrik, vor allem das prächtige Schmiedelied [* Vgl. auch das ablehnende Referat in den »Literarischen und kritischen Blättern der Börsenhalle«. 1838, Nr. 1593] .
Dieses schwer entwirrbare Werk hat Schiff immer als sein bestes angesehen. Zweimal hat er es Umarbeitungen unterzogen, wobei er sich bemühte, straffer zu konzentrieren und zu motivieren. Aber die überreiche Handlung widerstrebte namentlich den gewaltsamen Verkürzungen: die Verwicklung wurde in den Bearbeitungen noch unÜbersichtlicher, und die einzelnen seineren Details des Kolorits und der Charakteristik gingen völlig verloren. Weder »Die beiden Königstöchter« (im »Almanach für Frauen auf das Jahr 1851«) noch »Regina oder das Haus Todtenstein« (Altona. 1858) – wie »Gevatter Tod« umbenannt wurde – bedeuten in irgendeiner Hinsicht Verbesserungen der ursprünglichen Märchen-Novelle, an der Schiffs Herz im stärksten Maße gehängt zu haben scheint, der es sich nicht verdrießen ließ, zur Korrektur jedes einzelnen Vogens aus Ostfriesland nach Leipzig zu kommen, um dann wieder nach Hause zurückzukehren. So erzählt in der »Europa« (1866. Nr.7) ein anonymer Intimus Schiffs, der dort auch andere belangreiche Angaben über Schiffs Schrullenhaftigkeit und musikalische Begeisterung macht.
»Vor etwa zwanzig Jahren war Schiff eine Leipziger Merkwürdigkeit, die man sich zeigte, und von der man sich erzählte. Mit einem Freunde, dem ›Neffen Tiecks‹, repräsentierte er alles, was in Leipzig vom Nachwuchs der Romantiker noch übrig war. Beide waren Originale und Schiff das größte. Ein Kreisler des wirklichen Lebens, führte er den Geigenbogen noch besser als die Feder und war, solange seine Lebenssonne dem Zenith nahe stand, weil öfter Musiker als Dichter. Kenner, die ihn gehört haben, bezeichnen sein Geigenspiel als ein merkwürdiges, genial wildes, doch war nicht zu spielen, sondern ein Orchester zu leiten, seine Leidenschaft. Große Orchester konnte man ihm nicht übergeben, da er voll von Schrullen steckte und über Mode und Anstand Ideen hatte, die sich z. N. dadurch verrieten, daß er, zur Begleitung von Damen auf einem Spaziergange eingeladen, nach Hause eilte, um Toilette zu machen, und in Wasserstiefeln wieder erschien. Es waren das dieselben historischen Wasserstiefel, in denen er, so oft ein Korrekturbogen seines ›Gevatter Tod‹ fertig war, von Ostfriesland nach Leipzig lief, die Korrektur las und nach Ostfriesland zurücklief. Um seine Leidenschaft befriedigen zu können, leitete er die Musik kleiner Gesellschaften, bis schlimme Erfahrungen ihm das Pult des Dirigenten verleideten, worauf er die schriftstellerische Tätigkeit vorwalten ließ.«
Dieser Enthusiasmus für die Musik erfüllte Schiff während seines ganzen Lebens. Er entwickelte schon früh starke Begabung und spielte verschiedene Instrumente, fast leidenschllftlich die Bratsche, die er an Stelle der Violine zu Ehren bringen wollte. Hermann Landau (vgl. dessen »Neuer Deutscher Hausschatz«, 4. Auflage, Seite 1121 ff.) erzählt. Schiff sei der festen Meinung gewesen, die Bratsche mache jede Geige tot, wenn sie nur richtig gehandhabt werde. Er ging sogar damit um, eine eigens besaitete Bratsche zu erfinden, um darauf Konzerte zu geben. Tatsächlich trat er, da die Schriftstellerei ihm kaum den notdürftigsten Unterhalt gewährte, im Aktientheater zu St. Pauli als Bratschenspieler auf. Das machte ihn in Hamburg unmöglich, und er entschloß sich nun, neuerdings nach Leipzig zu übersiedeln, wo er von 1839 an weilte. Hier redigierte er sehr kurze Zeit gemeinsam mit