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Was für ein Gespenst –«

      »Ich bitte um Verzeihung, Miß Halcombe,« unterbrach sie der Schulmeister ein wenig unruhig – »aber ich glaube, es wäre besser, wenn Sie den Knaben nicht befragen wollten. Die halsstarrige Narrheit seiner Geschichte ist unglaublich, und Sie könnten ihn verleiten, in seiner Dummheit –«

      »In seiner Dummheit – was?« frug Miß Halcombe schnell.

      »In seiner Dummheit Ihre Gefühle zu verletzen,« sagte Mr. Dempster, indem er außerordentlich verwirrt aussah.

      »Wirklich, Mr. Dempster, Sie machen meinen Gefühlen ein großes Compliment, wenn Sie denken; daß sie schwach genug sind, um von diesem kleinen Buben verletzt zu werden!« Sie wandte sich mit einer Miene spöttischer Herausforderung zum kleinen Jacob und begann ihn sofort, ihn auszufragen. »Komm!« sagte sie; »ich beabsichtige, die ganze Geschichte zu erfahren. Du unartiger kleiner Bursch, wann hast Du das Gespenst gesehen?«

      »Gestern Abend, im Schummern,« entgegnete Jacob.

      »O! Du sahst das Gespenst gestern Abend im Zwielichte? Und wie sah es aus?«

      »Es war ganz in Weiß – wie ein G’spinst sein sollte,« antwortete der Geisterseher mit einer Zuversicht, die über seine Jahre war.

      »Und wo war es?«

      »Da drüben, im Kirchhof – wo ein G’spinst hin gehört?«

      »Wie ein ›G’spinst‹ sein sollte – wo ein ›G’spinst‹ hingehört – ei, Du kleiner Narr, Du sprichst ja, als ob Du seit Deiner frühesten Jugend mit den Sitten und Gewohnheiten der Gespenster vertraut gewesen wärst. Jedenfalls weißt Du Deine Geschichte gut auswendig, vermuthlich wirst Du sogar noch im Stande sein, mir zu sagen, wessen Gespenst es war?«

      »Was! – Das kann ich auch,« entgegnete Jacob und nickte mit einer Miene finsteren Triumphes mit dem Kopfe.

      Mr. Dempster hatte schon verschiedene Male zu sprechen versucht, während Miß Halcombe seinen Schüler examinirte und er legte sich jetzt entschlossen genug dazwischen, um gehört zu werden.

      »Verzeihen Sie, Miß Halcombe,« sagte er, »wenn ich zu sagen wage, daß Sie den Knaben durch diese Fragen nur noch bestärken.«

      »Ich will ihn nur noch eins fragen, Mr. Dempster, und dann völlig befriedigt sein. Nun«, fuhr sie, zu dem Knaben gewendet, fort, »wessen Geist war es also?«

      »Der Geist von Mistreß Fairlie,« flüsterte der Knabe.

      Die Wirkung dieser seltsamen Antwort auf Miß Halcombe war der Art, daß sie vollkommen die Besorgniß des Schulmeisters rechtfertigte, mit der er sie zu verhindern gesucht hatte, sie zu hören. Ihr Gesicht wurde purpurroth vor Entrüstung – sie wandte sich mit einer so zornigen Schnelligkeit zum kleinen Jacob, daß er von Neuem in einen Strom von Thränen ausbrach – öffnete die Lippen, wie um mit ihm zu sprechen – dann faßte sie sich – und wandte sich, anstatt zum Knaben, zu dem Lehrer.

      »Es ist unnütz«, sagte sie, »ein Kind wie dieses für das, was es sagt, verantwortlich zu machen. Ich zweifle nicht im Geringsten daran, daß die Idee ihm von Anderen in den Kopf gesetzt worden ist. Falls es in diesem Dorfe Leute gibt, Mr. Dempster, welche die Achtung und Dankbarkeit vergessen haben, welche jede Seele unter ihnen dem Andenken meiner Mutter schuldig ist, so will ich sie herausfinden; und wenn ich irgendwie Einfluß auf Mr. Fairlie habe, so sollen sie es fühlen.«

      »Ich hoffe – gewiß, ich bin überzeugt, Miß Halcombe, daß Sie im Irrthum sind,« sagte der Schulmeister. »Die Sache beginnt und endet mit dieses Burschen Eigensinn und Narrheit. Er sah, oder bildet es sich wenigstens ein, gestern Abend, als er am Kirchhofe vorüber ging, eine Frau in Weiß, und die Gestalt, ob eine wirkliche oder eingebildete, stand neben dem Marmorkreuze, das allen Leuten in Limmeridge als das Monument auf Mrs. Fairlie’s Grabe bekannt ist. Sind nicht diese Umstände hinreichend, um dem Knaben selbst die Antwort einzugeben, die sie natürlicherweise so sehr verletzt hat?«

      Obgleich Miß Halcombe nicht überzeugt zu sein schien, so fühlte sie doch offenbar, daß des Schulmeisters Darstellung der Sache eine zu verständige sei, um sie offen zu bestreiten. Sie antwortete blos, indem sie ihm für seine Aufmerksamkeit dankte und ihm versprach, ihn wieder zu besuchen, sobald ihre Zweifel beseitigt seien. Darauf grüßte sie ihn und verließ das Zimmer.

      Während dieses ganzen seltsamen Auftrittes hatte ich beiseite gestanden, aufmerksam zugehört und dabei meine eigenen Schlüsse gezogen. Sobald wir wieder allein waren, fragte mich Miß Halcombe, ob ich irgend eine Meinung gefaßt über das, was ich gehört habe.

      »Eine sehr entschiedene Meinung,« erwiderte ich. »Des Knaben Geschichte hat, wie ich überzeugt bin, ihre Grundlage in einer Thatsache. Ich gestehe, daß ich sehr gern das Monument auf Mrs. Fairlie’s Grabe sehen und den Boden umher untersuchen möchte.«

      »Sie sollen das Grab sehen.«

      Sie schwieg, nachdem sie dies gesagt, und sann ein wenig nach, während wir weiter gingen. »Das, was sich in der Schulstube ereignet hat,« sagte sie dann, »hat so vollständig meine Aufmerksamkeit von der Briefgeschichte abgezogen, daß ich ein wenig verwirrt bin, wenn ich darauf zurückzukommen versuche. Sollen wir den Gedanken an alle ferneren Nachforschungen aufgeben und warten, bis wir die Sache morgen Mr. Gilmore’s Händen übergeben können?«

      »Durchaus nicht, Miß Halcombe. Was sich im Schulzimmer zugetragen hat, ermuthigt mich, unsere Nachforschungen fortzusetzen.«

      »Warum ermuthigt es Sie?«

      »Weil es einen Verdacht bestärkt, den ich fühlte, als Sie mir den Brief zu lesen gaben.«

      »Sie hatten vermutlich Ihre Gründe, Mr. Hartright, wenn Sie mir diesen Verdacht bis jetzt verhehlten?«

      »Ich fürchtete mich, ihn in mir selbst aufkommen zu lassen. Ich hielt ihn für völlig widersinnig – und mißtraute ihm als dem Erfolge eines Eigensinnes in meiner Phantasie. Aber ich kann dies jetzt nicht mehr. Nicht nur des Knaben Antworten auf Ihre Fragen, sondern auch ein zufälliger Ausdruck, welcher dem Schulmeister entfiel, als er seine Geschichte erklärte, haben mit Gewalt die Idee in meinen Geist zurückgerufen. Kommende Ereignisse mögen diese Idee noch als eine Sinnestäuschung ausweisen, Miß Halcombe; aber ich habe in diesem Augenblicke den festen Glauben, daß das eingebildete Gespenst im Kirchhofe und – der Schreiber des anonymen Briefes eine und dieselbe Person sind.«

      Sie stand stille, erblaßte und sah mir begierig in’s Gesicht.

      »Welche Person?«

      »Der Schulmeister sagte es Ihnen unbewußterweise. Als er von der Gestalt sprach, welche der Knabe im Kirchhofe gesehen hatte, nannte er sie ›eine Frau in Weiß‹«.

      »Doch nicht Anna Catherick –!«

      »Ja, Anna Catherick.«

      Sie legte ihren Arm durch den meinigen und lehnte sich schwer darauf.

      »Ich weiß nicht warum,« sagte sie mit leiser Stimme, »aber es ist etwas in Ihrem Argwohne, das mich zu erschrecken und niederzudrücken scheint. Mir ist –« sie hielt inne und versuchte darüber zu lachen. »Mr. Hartright,« fuhr sie fort, »ich will Ihnen das Grab zeigen und dann in’s Haus zurückkehren. Ich möchte Laura lieber nicht zu lange allein lassen. Ich will lieber zu ihr gehen und bei ihr bleiben.«

      Wir waren ganz nahe bei dem Kirchhofe, als sie dies sagte. Die Kirche, ein trauriges Gebäude von grauem Stein, lag in einem kleinen Thale, so daß sie gegen die rauhen Winde geschützt war, welche rings von der Haide herkamen. Der Begräbnißplatz zog sich von der Seite der Kirche ein wenig den Hügel hinauf. Derselbe war von einer rohen niedrigen Steinmauer umgeben und lag ganz frei da, außer an der Stelle, wo ein kleiner Bach rann und ein Gebüsch von kleinen Bäumen deren schmale Schatten auf das kurze, magere Gras warf. Gerade jenseits des Baches und der Bäume und nicht weit von den drei steinernen Tritten, über die man an verschiedenen Stellen in den Kirchhof stieg, erhob sich das weiße Marmorkreuz, welches Mrs. Fairlie’s Grab von den bescheidenen Monumenten, die es umgaben, unterschied.

      »Ich brauche nicht weiter mit Ihnen zu gehen,« sagte Miß Halcombe, auf das Grab deutend. »Sie werden mich davon

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