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schrecklicher Argwohn, daß die beiden Fremden in der Chaise die beiden Männer sein möchten, die ich damals hinter der Mauer versteckt gesehen hatte, drängte sich mir auf. Ich sagte nichts weiter, bis wir bei dem Hause angelangt waren. Alles war ruhig; das einzige Zeichen von etwas Ungewöhnlichem waren die deutlichen Radspuren auf dem Rasen vor dem Hause in Browndown. Der Wirth war der erste, der diese Wagenspuren bemerkte. »Der Wagen muß vor dem Hause gehalten haben, Herr Pfarrer,« sagte er zu dem Ehrwürdigen Finch gewandt. Dieser schien wieder seine Sprache verloren zu haben; Alles was er hervorzubringen vermochte, als wir uns der Thür des einsam und öde daliegenden Hauses näherten, waren die mit äußerster Anstrengung gesprochenen Worte: »Bitte, lassen Sie uns vorsichtig sein!«

      Der Wirth langte zuerst an der Thür an; ich folgte ihm, während der Pfarrer in einer kleinen Entfernung die Arrièregarde bildete und auf seine Deckung durch die hinter ihm liegenden Hügel bedacht war. Gootheridge klopfte laut an die Thür und rief: »Herr Dubourg!« Es erfolgte keine Antwort; es herrschte eine schreckliche Stille; ich vermochte die Ungewißheit nicht länger zu ertragen, schob den Wirth bei Seite und er faßte den Griff der unverschlossenen Thür.

      »Lassen Sie mich vorangehen« Madame,« sagte Gootheridge; und dieses Mal schob er mich bei Seite. Ich folgte ihm auf dem Fuße; wir traten ins Haus und riefen wieder. Abermals erfolgte keine Antwort; wir blickten in das kleine Wohnzimmer, welches an der einen, und in das Eßzimmer, welches an der andern Seite des Vorplatzes lag, beide waren leer. Wir gingen weiter nach der Rückseite des Hauses, wo das Zimmer lag, welches Oscar seine Werkstätte nannte; als wir in dieselbe eintreten wollten, zeigte es sich, daß die Thür verschlossen war. Wir klopften an und riefen wieder, aber es blieb unheimlich still. Ich steckte meinen Finger in das Schlüsselloch; der Schlüssel steckte nicht darin. Ich knieete, nieder und guckte durch dass Schlüsselloch. Aber kaum hatte ich das gethan, als ich auch schon in wildem Entsetzen wieder aufsprang.

      »Erbrechen Sie die Thür!« schrie ich. »Ich habe feine Hand auf dem Fußboden liegen gesehen!«

      Der Wirth war wie der Pfarrer nur ein kleiner Mann, und die Thür war, wie Alles in Browndown, von der plumpsten und schwerfälligsten Construction. Ohne geeignetes Werkzeug würden wir alle drei zu schwach gewesen sein, die Thür zu erbrechen. In dieser schwierigen Lage erwies sich der Ehrwürdige Finch zum ersten und einzigen Male nützlich.

      »Warten Sie, meine Freunde!« sagte er, »wenn die Pforte zum Hintergarten offen ist, können wir durch das Fenster ins Zimmer gelangen.«

      Weder der Wirth, noch ich hatten an das Fenster gedacht. Wir eilten um das Haus herum an die Rückseite und sahen, daß die Spuren der Wagenräder die selbe Richtung verfolgten. Die Pforte in der Gartenmauer stand weit offen. Wir durchschritten den kleinen Garten und konnten durch das bis auf den Boden reichende Fenster der Werkstätte, wie es der Pfarrer vorausgesagt hatte, in dieselbe gelangen; so betraten wir das Zimmer.

      Da lag der arme unglückliche Oscar, bewußtlos in einer Lache seines eigenen Bluts. Allem Anscheine nach hatte ihn ein Schlag auf der linken Seite des Kopfes auf der Stelle zu Boden geworfen. Ob die Wunde nicht nur die Kopfhaut, sondern auch den Schädel verletzt habe, war ich nicht im Stande zu beurtheilen. Ich hatte mir im Dienste der heiligen Sache der Freiheit an der Seite meines edlen Pratolungo einige Erfahrungen in der Behandlung von Kranken gesammelt; kaltes Wasser, Essig und Leinen zum Verbinden, nach denen ich verlangte, fanden sich im Hause. Gootheridge fand den Thürschlüssel in einer Ecke des Zimmers liegend; er schaffte mir Wasser und Essig, während ich die Treppe hinauf in Oscar’s Schlafzimmer lief und mir einige von seinen Handtüchern holte. Nach wenigen Minuten hatte ich eine kalte Compresse auf die Wunde gelegt und wusch Oscar’s Gesicht mit Essig und Wasser. Er war noch immer bewußtlos, – doch er lebte. Der Ehrwürdige Finch, der nicht die geringste Hilfe leistete, hielt es für seine Pflicht, Oscar den Puls zu fühlen. Er that es mit einer Miene, als ob das unter den obwaltenden Umständen die einzige verdienstliche Handlung sei, die er vornehmen könne und als ob niemand außer ihm den Puls fühlen könne. »Ein wahres Glück,« sagte er, indem er die langsamen schwachen Schläge am Handgelenk des armen Oscar zählte, »ein wahres Glück, daß ich zu Hause war. Was hätten Sie wohl ohne mich anfangen wollen?«

      Was uns jetzt zunächst oblag, war natürlich zum Arzt zu schicken und uns Leute zu verschaffen, die uns behilflich sein könnten, Oscar die Treppe hinan in sein Bett zu tragen. Gootheridge erklärte sich bereit, sich ein Pferd zu verschaffen und den Doktor zu holen. Wir verabredeten, daß er mir seine Frau und deren Bruder, um mir beim Hinauftragen Oscar’s zu helfen, schicken solle. Nachdem wir diese Verabredung getroffen hatten, blieb uns nur noch das eine zu thun, uns von der lästigen Gegenwart des Ehrwürdigen Finch zu befreien. Jetzt wo die Anwesenheit verdächtiger Individuen im Hause nicht mehr zu fürchten war, ertönte die gewaltige Stimme des kleinen Mannes wieder ununterbrochen, wie eine in der Nachbarschaft arbeitende Dampfmaschine. Ich hatte wieder eine Eingebung. Auf dem Boden sitzend und Oscar’s Kopf in meinem Schoße haltend, gab ich meinem ehrwürdigen Begleiter etwas zu thun. »Sehen Sie sich doch einmal im Zimmer um,« sagte ich, »ob die Kiste mit den Gold und Silberplatten hier ist?«

      »Fassen Sie sich, Madame Pratolungo,« sagte er, »keine nervöse aufgeregte Vielgeschäftigkeit, wenn ich bitten darf; ich habe mich der Sache angenommen und es versteht sich von selbst, daß ich auch nach der Kiste sehen werde.«

      »Gewiß!« stimmte ich bei. »Ich zweier auch nicht, daß die Kiste fort sein wird!«

      Diese Erwidernng veranlaßte ihn, sofort geschäftig im Zimmer hin und her zu laufen. Von der Kiste war keine Spur zu finden! Damit war mir jeder Zweifel benommen; die beiden Spitzbuben, die wir damals an die Mauer gelehnt gefunden, hatten meine schlimmsten Befürchtungen in entsetzlicher Weise gerecht fertigt.

      Als Frau Gootheridge und ihr Bruder eintrafen, trugen wir Oscar auf sein Zimmer; wir legten ihn aufs Bett, nachdem wir ihm seine Cravatte abgenommen und das Fenster geöffnet hatten, so daß die frische Luft ungehindert über ihn wegstreichen konnte. Er gab noch kein Zeichen des wiederkehrenden Bewußtseins von sich, aber sein Puls fuhr fort, wenn auch schwach zu schlagen.

      Sein Zustand schien sich nicht zu verschlimmern. Auf die Ankunft des Arztes durften wir vor Ablauf einer Stunde nicht hoffen; ich fand es daher nothwendig, sofort nach dem Pfarrhause zurückzukehren und Lucilla mit aller nöthigen Vorsicht die traurige Wahrheit mitzutheilen, denn es stand zu befürchten, daß sie sonst, nachdem sich die Nachricht im Dorfe verbreitet haben würde, die Sache aus die denkbar ungeeignetste Weise durch einen der Dienstboten erfahren möchte. Zu meiner größten Genugthuung bat mich Herr Finch, als ich mich erhob um fortzugehen, zu entschuldigen, wenn er mich nicht begleite. Es war ihm aufgegangen, daß ihm als Pfarrer die Pflicht obliege, den Behörden sofort von dem in Browndown begangenen Verbrechen Anzeige zu machen. Er ging zu dem nächstwohnenden Friedensrichter und ich kehrte nach dem Pfarrhause zurück und ließ Oscar unter der Obhut von Frau Gootheridge und ihrem Bruder. Herrn Finch’s letzte Worte beim Abschiede erinnerten mich noch einmal daran, daß wir unter den obwaltenden traurigen Umständen wenigstens für Eines dankbar sein mußten.

      »Ein wahres Glück, Madame Pratolungo, daß ich zu Hause war; was hätten Sie wohl ohne mich angefangen!«

       Fünfzehntes Kapitel.

      Ereignisse am Krankenbette

      Ich bin, wie man sich gütigst erinnern wolle, meinem ganzen Wesen nach Französin und daher immer bestrebt mir soviel wie möglich trübe Eindrücke fern zu halten. Aus diesem Grunde kann ich mich wirklich nicht entschließen, zu schildern, was zwischen meiner blinden Lucilla und mir vorging, als ich unser hübsches Wohnzimmer betrat. Es rührte mich damals zu Thränen und es würde mich und vielleicht auch den Leser wieder zu Thränen rühren, wenn ich berichten wollte, was das zarte junge Wesen litt, als ich ihr die traurige Nachricht mittheilte. Ich will es nicht in Abrede stellen; ich habe eine unüberwindliche Abneigung gegen Thränen Sie greifen die Nase an und meine Nase ist das Beste an meinem Gesichte. Laßt uns, meine schönen Freundinnen unsere Augen dazu gebrauchen, Eroberungen zu machen, nicht aber zum Weinen.

      Es genüge, daß, als ich nach Browndown zurückkehrte, Lucilla mich begleitete. Es war das erste Mal, daß ich an Lucilla eine Regung von Eifersucht auf uns Glückliche, die wir sehen konnten, beobachtete. Kaum hatte sie Oscars Zimmer betreten, als sie darauf bestand,

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