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Achtung?« fuhr er mit erzwungener Höflichkeit fort. Er fing an, eine dumpfe Erregung in sich zu fühlen. Seine aristokratische Natur konnte Bazaroffs ungeniertes Auftreten nicht ertragen. Dieser Chirurgensohn zeigte nicht nur keine Spur von Verlegenheit, sondern antwortete ihm auch schroff und keineswegs verbindlich, und der Ton seiner Stimme hatte etwas Grobes, das an Insolenz streifte.

      »Die Gelehrten dieses Landes sind verdienstvolle Burschen,« sagte Bazaroff.

      »Jawohl, jawohl. Wahrscheinlich haben Sie von den russischen Gelehrten keinen so schmeichelhaften Begriff?«

      »Wohl möglich.«

      »Eine solche Unparteilichkeit macht Ihnen viel Ehre,« fuhr Paul fort und richtete sich mit etwas aufgeworfenem Kopf empor. »Übrigens hat uns Arkad Nikolajewitsch schon gesagt, daß Sie ja in Sachen der Wissenschaft gar keine Autorität anerkennen. Wie verträgt sich das mit der Ansicht, die Sie soeben aussprechen? Ist das wirklich wahr, daß Sie keine Autorität anerkennen?«

      »Warum sollte ichs tun? Und an was müßte ich glauben? Beweist man mir eine vernünftige Sache, bin ich damit einverstanden, und alles ist gesagt.«

      »Demnach sagen die Deutschen immer nur vernünftige Dinge?« murmelte Paul Petrowitsch, und sein Gesicht nahm einen solchen Ausdruck von Gleichgültigkeit und Unempfindlichkeit an, daß man hätte glauben können, er habe sich in eine irdischen Gemütsbewegungen ganz unzugängliche Sphäre erhoben.

      »Nicht immer,« erwiderte Bazaroff mit verhaltenem Gähnen, wie wenn er zu verstehen geben wollte, daß ihm dieser müßige Streit lästig werde.

      Paul betrachtete Arkad mit einem Ausdruck, der zu sagen schien: Man muß zugeben, daß dein Freund nicht gerade höflich ist.

      »Was mich anbelangt,« fuhr er mit lauter Stimme und nicht ohne einige Anstrengung fort, »ich gestehe in Demut, daß ich die Herren Deutschen nicht sehr liebe. Ich verstehe darunter die echten Deutschen und nicht die Deutschrussen. Übrigens weiß man auch, was an diesen ist. Ja, die Deutschen in Deutschland sind nicht mein Geschmack. Vormals waren sie noch erträglich; sie hatten bekannte Namen: Schiller, Goethe zum Beispiel. Mein Bruder hat für diese Schriftsteller eine ganz besondere Verehrung, jetzt aber gewahre ich unter ihnen nur Chemiker und Materialisten.«

      »Ein guter Chemiker ist zwanzigmal nützlicher als der beste Poet,« sagte Bazaroff.

      »Wirklich?« erwiderte Paul und hob die Augenbrauen, wie wenn er soeben erwachte; »die Kunst scheint also für Sie eine gänzlich wertlose Sache?«

      »Die Kunst, Geld zu gewinnen und die Hühneraugen gründlich zu vertreiben,« rief Bazaroff mit verächtlichem Lächeln.

      »Vortrefflich! Wie Sie zu scherzen geruhen! Das kommt auf eine vollständige Negation heraus. Gut! Immerhin, Sie glauben also nicht an die Wissenschaft?«

      »Ich habe schon die Ehre gehabt, Ihnen zu sagen, daß ich an gar nichts glaube. Was verstehen Sie unter dem Wort Wissenschaft im generellen Sinn? Es gibt Wissenschaften, wie es Handwerke, wie es Professionen gibt. Eine Wissenschaft in dem Sinn, den Sie dem Wort beilegen, gibt es nicht.«

      »Das ist ganz gut. Sie verneinen wohl ebenso alle anderen Prinzipien, auf welchen unsere soziale Ordnung ruht?«

      »Ist das etwa ein – politisches Verhör?« fragte Bazaroff.

      Paul erblaßte ein wenig. Kirsanoff hielt es an der Zeit, sich in die Unterhaltung zu mischen.

      »Wir wollen über all das später des längern sprechen, mein lieber Eugen Wassiliewitsch; Sie werden uns dann alle Ihre Ansichten auseinandersetzen und wir Ihnen dagegen die unsrigen mitteilen. Was mich anbelangt, so freut es mich zu hören, daß Sie sich mit den Naturwissenschaften beschäftigen. Man hat mir gesagt, daß in der letzten Zeit Liebig erstaunliche Entdeckungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Behandlung des Bodens gemacht habe. Da können Sie mir in meinen agronomischen Arbeiten zu Hilfe kommen und trefflichen Rat geben.«

      »Mit Vergnügen, Nikolaus Petrowitsch; allein lassen wir Liebig beiseite. Ehe man ein Buch öffnet, muß man lesen können, und wir kennen noch nicht einmal das Abc …«

      »Nun, du bist doch ein wahrhafter Nihilist,« dachte Kirsanoff. – »Wie dem auch sei,« erwiderte er, »so werden Sie mir erlauben, mich vorkommendenfalls an Sie zu wenden. Aber, lieber Bruder, ist es nicht Zeit, sich mit dem Verwalter zu besprechen?«

      Paul erhob sich.

      »Ja,« sagte er, ohne seine Rede an einen der Anwesenden zu richten, »es ist ein Unglück, vier oder fünf Jahre nacheinander auf dem Lande zu wohnen, fern von allen großen Geistern. Man wird allmählich ein wahrer Dummkopf. Man gibt sich alle Mühe, das, was man gelernt hat, nicht zu vergessen; allein, pah! eines schönen Morgens wird man gewahr, daß das lauter Läpperei war, nichts als müßiges Zeug, womit sich heutzutage kein verständiger Mensch mehr beschäftigt, man wird belehrt, daß man ein Faselhans ist. Was tun? Es scheint, daß die Jugend entschieden klüger ist als wir Alten.«

      Paul drehte sich langsam auf dem Absatz um und entfernte sich mit gemessenen Schritten. Sein Bruder folgte ihm.

      »Ist er immer von dieser Stärke?« fragte Bazaroff kalt, als kaum die Türe geschlossen war.

      »Hör, Eugen,« erwiderte sein Freund, »du bist zu schroff gegen ihn gewesen, du hast ihn verletzt.«

      »Wirklich? Man hätte sie wohl schonen sollen, diese Maulwurfsaristokraten! Aber all das ist nichts als Eigenliebe, Gewohnheiten des ehemaligen Löwen, Geckentum. Warum hat er seine Rolle in Petersburg nicht fortgespielt, da er sich dazu berufen fühlte? Übrigens: Gott segne ihn! Ich habe eine ziemlich seltene Spezies von dyticus marginatus gefunden, ich will sie dir zeigen.«

      »Ich habe dir versprochen, seine Geschichte zu erzählen,« sagte Arkad.

      »Wessen Geschichte, des dyticus?«

      »Geh mit deinen Scherzen, die Geschichte meines Onkels. Du wirst sehen, daß er nicht der Mann ist, für den du ihn hältst. Anstatt ihn lächerlich zu machen, solltest du ihn vielmehr bedauern.«

      »Möglich! Aber warum bist du so vernarrt in ihn?«

      »Man muß gerecht sein, Eugen.«

      »Ich wüßte nicht warum.«

      »Genug! hör zu …«

      Arkad schickte sich an, seinem Freunde die Geschichte seines Oheims zu erzählen. Der Leser findet sie in dem folgenden Kapitel.

      Siebentes Kapitel

      Paul Petrowitsch Kirsanoff hatte seine erste Kindheit mit seinem Bruder Nikolaus unter dem väterlichen Dache zugebracht; dann war er in das Pagenkorps eingetreten. Auffallend schön, selbstgefällig, ein wenig spöttisch und von koketter Reizbarkeit (was damals in der Mode war), gefiel er natürlich allgemein. Kaum Offizier geworden, trat er in die große Welt. Überall empfing man ihn mit offenen Armen, er ließ sichs wohl sein, mißbrauchte sein Glück und beging tausend Torheiten, allein das schadete ihm nichts. Die Frauen waren in ihn vernarrt, die Männer behandelten ihn als einen Gecken und beneideten ihn doch im stillen. Er lebte, wie schon erwähnt, mit seinem Bruder zusammen und hatte ihn sehr lieb, obschon dieser ihm in nichts glich. Nikolaus Petrowitsch hinkte ein wenig; auch er hatte ein angenehmes, aber ernstes Gesicht, sanfte, verschleierte Augen und spärliches Haar; er war träg, las aber gern und floh die große Welt. Paul brachte die Abende nie zu Hause zu; er hatte sich den wohlverdienten Ruf der Kühnheit und Gewandtheit erworben (er zuerst hatte unter den jungen Leuten von Stand gymnastische Übungen in Mode gebracht), seine Lektüre jedoch beschränkte sich im ganzen auf fünf oder sechs Broschüren von Chateaubriand. Mit achtundzwanzig Jahren Hauptmann geworden, stand ihm eine glänzende Laufbahn offen, als sich plötzlich alles änderte.

      Man erinnert sich in Petersburg noch der Fürstin R. In der Periode, von der wir reden, erschien sie von Zeit zu Zeit in der Residenz. Ihr Gemahl war ein Mann von guter Erziehung, aber ein wenig beschränkt, und sie hatten keine Kinder. Die Fürstin ging plötzlich für lange Zeit auf Reisen, kehrte unerwartet nach Rußland zurück und führte sich in allem höchst befremdend auf. Sie galt für leichtfertig und kokett; allen Vergnügungen gab sie sich mit Leidenschaft hin, tanzte bis zum Umsinken, scherzte und lachte mit den jungen

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