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Sonderlinge. Иван Тургенев
Читать онлайн.Название Sonderlinge
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Иван Тургенев
Жанр Русская классика
Издательство Public Domain
Dies Alles wurde sofort der Kaiserin mitgeteilt: sie erteilte den Befehl, ihn für närrisch zu erklären und ihn unter die Vormundschaft seiner beiden Brüder zu stellen, welche ihn ohne alle Umstände fortbringen und auf dem Laude mit Eisen an den Füßen in einen kleinen Verschlag einsperren ließen. Da sie das Vermögen des Unglücklichen sich aneignen wollten, hüteten sie sich wohl, ihn wieder frei zu lassen, als er wieder vernünftig geworden, sondern hielten ihn selbst da noch gefangen, als er von seiner Narrheit in der That vollständig geheilt war.
Aber ihre Bosheit brachte ihnen keinen Nutzen: Der Fürst L. überlebte sie, und nach mancherlei Wechselfällen kam er unter die Obhut Telegins, mit dem er verwandt war. Er war ein dicker Mann mit vollständig kahlem Kopf, langer dünner Nase und blauen hervorstehenden Augen. Das Sprechen hatte er ganz und gar verlernt, – er murmelte nur noch unartikulierte Laute. Dagegen konnte er geradezu wunderbar die alten russischen Volkslieder singen, mit einer Stimme, die trotz seines hohen Alters noch frisch und hell war – und indem er sang, sprach er jedes Wort mit vollendeter Reinheit aus.
Bon Zeit zu Zeit hatte er Wutanfälle, – und dann war er schrecklich: das Gesicht der Wand zugekehrt, setzte er sich in einen Winkel, und dort verordnete er, – ganz in Schweiß gebadet, der kahle Kopf bis in den Nacken vollständig rot – unter boshaftem Gelächter und heftigem Stampfen eine Züchtigung – wahrscheinlich seinen Brüdern:
»Schlag zu!« brüllte er, halb von Lachen erstickt; »drauflosgepeitscht! Kein Erbarmen! Schlag sie, schlag sie, diese Ungeheuer, diese meine Henker! Sehr gut! Sehr gut!«
Am Tage vor seinem Tode setzte er Telegin sehr in Erstaunen und Schrecken. Ganz bleich aber sehr ruhig trat er zu meinem Onkel ins Zimmer, machte ihm eine tiefe Verbeugung, dankte ihm zunächst für das Obdach und den Beistand, die er ihm gewährt, und bat ihn dann, den Geistlichen holen zu lassen; »denn der Tod ist zu mir gekommen; ich habe ihn gesehen, und ich muß allen verzeihen und meine Seele reinigen.«
»Du hast ihn gesehen?« stotterte Telegin, ganz erstaunt, ihn zum erstenmal einen vollständigen Satz sprechen zu hören. »Wie sah er aus? Hatte er eine Sense? Sprich!«
»Nein,« antwortete der Fürst; »es ist ein kleiner ganz einfacher Greis mit einem Wams; aber er hat nur ein Auge, mitten auf der Stirn, und dieses Auge – man sieht es, daß es ewig ist.«
In der That starb der Fürst am folgenden Tage, bei völlig klarem Verstände und zerknirschten Herzens, nachdem er zuvor alle seine religiösen Pflichten erfüllt und von allen Abschied genommen.
»Auch ich werde so sterben,« sagte Telegin manchmal.
Und wirklich widerfuhr ihm etwas Ähnliches, – doch davon später.
Telegin, sagte ich, unterhielt mit seinen Nachbarn keine Beziehungen; und diese ihrerseits mochten ihn nicht leiden. Sie nannten ihn einen Sonderling, einen stolzen Menschen, einen Spaßvogel, ja sogar einen »Martinisten«1 – natürlich ohne die Bedeutung dieses letztern Wortes zu kennen.
In einem gewissen Sinne hatten die Nachbarn recht: während der siebzig Jahre, die Telegin beinah vollständig auf seinem Gute Suchodol verlebt, hatte er fast niemals etwas mit der Obrigkeit und den Gerichten zu thun gehabt.
»Die Gerichte sind für die Spitzbuben da und das Kommando für die Soldaten«, sagte er: »und ich bin, Gott sei Dank, weder ein Spitzbube noch ein Soldat.«
Ein bißchen Sonderling war er, das läßt sich nicht bestreiten; aber er war durchaus nicht ein Mann von gewöhnlicher Denkungsart.
Niemals habe ich so recht erfahren können, was für politische Ansichten er hatte – wenn ein so moderner Ausdruck auf ihn angewendet werden darf —, aber in seiner Weise war er ein Aristokrat, weit mehr Aristokrat als »Barin«. Gar oft drückte er sein Bedauern darüber aus, daß Gott ihm keinen Sohn, keinen Erben geschenkt, »um die Ehre des Namens zu bewahren, um die Familie fortzupflanzen«. In seinem Kabinette hatte er in goldenem Nahmen einen sehr dichten Stammbaum der Telegins mit einer Menge apfelförmiger Kreise an der Wand hängen.
»Wir Telegins,« pflegte er zu sagen, »sind ein Geschlecht, das seit unvordenklichen Zeiten existirt. Keinem von uns, so zahlreich wir auch sind, hat man jemals in den Vorzimmern sich herumdrücken sehen, keiner hat seine Beine auf den Treppen der Zaren müde gestanden, keiner hat sich durch Ausübung der Gerechtigkeit2 gemästet, keiner hat einen Orden getragen, zu Moskau gebettelt oder zu Petersburg intriguirt; wir sind in unserm Winkel, aus unserm Flecken Land sitzen geblieben, liebten unser Nest und kümmerten uns um die Wirtschaft – ja, mein Junge, um die Wirtschaft! Auch ich that das, obgleich ich bei der Garde gedient habe – aber Gottlob nur kurze Zeit!«
Für die gute alte Zeit hatte Telegin eine besondere Vorliebe:
»Man lebte damals viel freier und angenehmer – ja auf Ehre! Aber seit dem Jahr eintausendachthundert – (warum gerade seit diesem Jahr, hat er nie gesagt) – hat die Soldateska die Oberhand gewonnen. Die Herren Militärs haben sich einen Federbusch aus Hahnenschwänzen auf den Kopf gesetzt, und sie selbst gebärden sich wie Hähne; sie pressen derart ihren Hals, daß sie nur noch unter Röcheln zu sprechen vermögen und die Augen ihnen aus dem Kopfe treten . . . Kommt da eines Tags ein Polizeikorporal zu mir und redet mich mit »Euer Wohlgeboren« an – er hatte sich das ersonnen, um mich in Erstaunen zu setzen! . . . Als ob ich selbst nicht wüßte, daß ich wohl geboren bin! Aber ich antwortete ihm: »Mein hochgeehrter Herr, mache mir zunächst das Vergnügen und nimm dir die Spangen da vom Halse. Denn wenn du das Unglück haben solltest, zu niesen – Herr mein Gott, weißt du, was dir dann passiert? Weißt du's? Du wirst platzen wie eine Granate . . . Und über mich wird's dann hergehen!« . . . Und wie sie trinken, diese Herren Militärs – o, o! Ich lasse ihnen immer schäumenden Krätzer vorsetzen, denn Krätzer oder echter Wein – ihnen ist alles gleich: das fließt nur so durch die Gurgel – wie sollten sie da den Unterschied kennen! Und dann haben sie ein neues Zechmittel erfunden – die Pfeife! So ein Herr Soldat thut dieses Zechmittel unter seinen häßlichen Schnurrbart, in seinen häßlichen Mund; er läßt den Dampf durch die Nase, durch den Mund, ja sogar durch die Ohren herauskommen und dünkt sich einen Helden! Na, selbst meine Schwiegersöhne saugen – obgleich der eine Senator, und der andre so etwas wie Kurator ist – ebenfalls an diesem Ding, dieser Pfeife, und dennoch halten sie sich für vernünftige Menschen!« . . .
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