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Eßzimmer bereits Alle versammelt waren. Valentine Michailowna war gegen ihn sehr freundlich; in ihrem Morgenkleide erschien sie ihm geradezu als ein bildschönes Weib. Das Antlitz Mariannen’s drückte die gewöhnliche in sich gekehrte Strenge aus. – Genau um zehn Uhr gab Neshdanow seine erste Stunde im Beisein von Valentine Michailowna: sie erkundigte sich zuerst, ob sie nicht vielleicht störe und verhielt sich die ganze Zeit über sehr bescheiden und zurückhaltend. Es erwies sich, daß Kolja ein sehr aufgeweckter Knabe war; nach dem ersten unvermeidlichen und unbehaglichen Umhertasten nahm die Stunde einen glücklichen Verlauf. Valentine Michailowna schien mit Neshdanow überaus zufrieden und begann sogar mehrmals mit ihm zu sprechen. – Er blieb steif . . . doch nicht allzusehr. Valentine Michailowna war auch bei der zweiten, der russischen Geschichts-Stunde zugegen. Lächelnd erklärte sie, daß sie in dieser Beziehung nicht weniger eines Lehrers bedürfe, als ihr Kolja – und verhielt sich ebenso zurückhaltend und bescheiden wie während der ersten Stunde. Von drei bis fünf Uhr saß Neshdanow in seinem Zimmer, schrieb an die Freunde in St. Petersburg, und fühlte sich ziemlich behaglich: die Langeweile war verschwunden, auch das Unbehagen; die erregten Nerven kamen allmählich zur Ruhe. Sie wurden während des Mittags von Neuem in Spannung versetzt, obgleich Kallomeyzew abwesend war und auch die freundlich entgegenkommende Haltung des Hausherrn unveränderlich dieselbe blieb; aber dies Entgegenkommen eben ärgerte Neshdanow. – Dazu kam noch, daß seine Nachbarin, das alte Fräulein Anna Sacharowna, ihm offenbar feindselig gesinnt war und ein böses Gesicht machte; Marianne aber von ihrem Ernst nicht lassen wollte, und daß selbst Kolja ihn schon etwas ungenirt mit den Füßen stieß. Ssipjagin schien auch nicht recht bei Laune zu sein. Er war mit dem Leiter seiner Papierfabrik unzufrieden, einem Deutschen, den er für schweres Geld engagirt hatte. Er begann auf alle Deutschen überhaupt zu schmähen, erklärte, daß er bis zu einem gewissen Grade Slavophile sei, wenn auch kein Fanatiker, wies auf einen jungen Russen, einen gewissen Ssolomin hin, der, wie es hieß, der Fabrik eines benachbarten Kaufmanns in ausgezeichneter Weise vorstehen solle und äußerte den Wunsch, die Bekanntschaft dieses Ssolomin zu machen. Am Abend erschien Kallomeyzew, dessen Gut nur zehn Werst von »Arshanoje« – so hieß Ssipjagins Dorf – entfernt war. Dann erschien noch ein Friedens-Vermittler, einer von jenen Gutsbesitzern, die Lermontow in zwei bekannten Versen treffend charakterisirt hat:

      Im Halstuch verborgen, im Frack ellenlang . .

      Mit Schnauzbart, Diskantstimm’ und unsicherem Blick . . .

      Es kam noch ein anderer Nachbar mit gedrücktem Ausdruck in dem zahnlosen Gesicht, der jedoch sehr gut gekleidet war; endlich auch der Kreisarzt, ein sehr schlechter Arzt, der aber mit gelehrten Ausdrücken um sich zu werfen liebte: er versicherte zum Beispiel, daß er Kukolnik – Puschkin vorziehe, weil in Kukolnik viel »Protoplasma« anhalten sei. Man setzte sich an den Kartentisch – Neshdanow begab sich auf sein Zimmer – und las und schrieb bis lange nach Mitternacht.

      Am folgenden Tages, am 9. Mai, wurde Kolja’s Namenstag gefeiert. Die »Herrschaft« begab sich mit dem ganzen Hausstand in drei offenen Kaleschen mit Dienern hinten auf dem Tritt zur Messe in die Kirche, obgleich es nur ein viertel Werst bis dahin war. Alles ging höchst prächtig und feierlich zu. Ssipjagin hatte sich ein Ordensband umgelegt, Valentine Michailowna ein wunderschönes, in Paris verfertigtes Kleid von der Farbe blaß-blauer Syringen angezogen. Während der Messe las sie aus einem in karmoisin-rothen Sammet gebundenen Gebetbüchlein; durch dieses Büchlein lenkte sie den Unwillen der älteren Besucher der Kirche auf sich, so daß Einer unter denselben sich nicht enthalten konnte, seinen Nachbar zu fragen: »Was thut sie denn da, verzeih’ mir Gott die Sünde, hext sie, oder was?« – Der die Kirche erfüllende Blumenduft vermischte sich mit dem scharfen Geruch der neuen, geschwefelten Kittel, der getheerten Stiefel und Schuhe, und über allen diesen Dünsten schwebte noch der beklemmende Duft des Weihrauchs. Küster und Meßner sangen beide mit besonderem Eifer. Unter Beihilfe der Fabrikarbeiter, die sich zu ihnen gesellt, ließen sie es sich sogar entfallen, ein förmliches Concert zu geben! Es kam ein Augenblick, wo es allen Anwesenden . . . ganz bang zu Muthe wurde. Der Tenor, ein Fabrikarbeiter Namens Klim, der sich bereits im höchsten Stadium der Schwindsucht befand, begann plötzlich ganz allein, ohne jede Unterstützung, allerlei musikalische Figuren in Dur und Moll und auch in chromatischer Folge auszuführen – sie waren schrecklich, diese Töne – wenn ihm die Stimme versagt hätte, wäre es gleich mit dem ganzen Concert zu Ende gewesen. . . Aber die Sache lief doch noch . . . so ziemlich ab. Vater Cyprian, ein Priester von höchst würdevollem Aussehen, mit Nabédrennik3 und Kamiláwka,4 aus einem Heft eine sehr erbauliche Predigt ab; leider hatte der eifrige Geistliche es jedoch für nöthig gehalten, einige ganz wunderliche Namen assyrischer Könige anzuführen, deren Aussprache ihm große Schwierigkeiten bereitete und ihn – obgleich er dabei eine gewisse Gelehrsamkeit allerdings entwickelte – weidlich schwitzen machte! Neshdanow, der schon lange in keiner Kirche gewesen, hatte sich in eine Ecke zu den Weibern zurückgezogen. Diese schienen ihn, sich eifrig bekreuzend, tief verneigend und den Kleinen ehrbar die Nase abwischend, kaum zu beachten, dafür aber schauten die Bauermädchen in ihren neuen Kleidern, mit den Perlenschnüren um die Stirn und die Bauernknaben in ihren Hemden mit den verzierten Schulterstücken und rothen Achselzwickeln den neuen Kirchengänger um so neugieriger an – . . . Auch Neshdanow sah sie an – und allerlei Gedanken gingen ihm durch den Kopf-

      Nach dem Gottesdienste, der sehr lange dauerte – der Gottesdienst am Tage des heiligen Nikolaus des Wunderthäters ist bekanntlich einer der längsten der orthodoxen Kirche – begab sich die ganze Geistlichkeit, von Ssipjagin aufgefordert, in das herrschaftliche Haus, worauf ihr nach einigen, dem Tage angemessenen Ceremonien und nach Besprengung der Zimmer mit heiligem Weihwasser, ein mit Allem im Ueberfluß versehenes Frühstück vorgesetzt wurde. Während desselben wurden die üblichen, wohlmeinenden und ehrbaren, aber ein wenig ermüdenden Reden gewechselt. Obgleich Ssipjagin und Frau niemals um diese Zeit zu frühstücken pflegten, so nahmen sie doch von Diesem und Jenem der Speisen und nippten auch ein wenig vom Wein, Ssipjagin gab sogar eine komische Anekdote zum Besten, die in Anbetracht seines rothen Bandes und seiner Würde einen höchst effectvollen Eindruck machte und in Vater Cyprian sogar ein aus Dankbarkeit und Staunen gemischtes Gefühl hervorrief. Um nicht zurückzubleiben – um zu zeigen, daß auch er bei Gelegenheit etwas Wissenswürdiges mittheilen könne – erzählte Vater Coprian seine Unterhaltung mit dem Erzbischof, als derselbe, seine Eparchie bereisend, alle Geistlichen in die Stadt in’s Kloster berief. – Er ist ein gestrenger, sehr gestrenger Herr, – versicherte Vater Cyprian; – zuerst erkundigte er sich nach der Gemeinde, nach den Zuständen . . . dann ging er zum Examen über. . . So wandte er sich auch an mich: Wann feierst Du dein Kirchweihfest? – Am Tage der Verklärung Christi, antwortete ich. – Kennst Du auch den Lobgesang dieses Tages? – Wie sollte ich ihn nicht kennen! – Laß hören! – Nun, ich fange also zu singen an; »Sintemal Du Christe, unser Heiland auf dem Berge verkläret bist. . . « Halt! Was bedeutet das Wort: Verklärung, und was versteht man darunter? – Ich sage also ganz einfach: Christus wollte seinen Jüngern von seiner Herrlichkeit Zeugniß geben! – Gut, sagte er; da hast Du ein kleines Heiligenbild zum Andenken. – Ich falle ihm zu Füßen: ich danke Dir, Oberhirt! . . . Und so ging ich, nicht mit leeren Magen, von dannen!

      – Ich habe die Ehre Se. Eminenz persönlich zu kennen, – bemerkte Ssipjagin mit einer gewissen Wichtigkeit. – Ein höchst würdiger Seelenhirt!

      – Höchst würdig! – bestätigte Vater Cyprian. – Er sollte nur den Pröbsten weniger trauen. . .

      Valentine Michailowna that der Volksschule Erwähnung und wies dabei auf Marianne, als auf die zukünftige Lehrerin, hin; der Diakon – ihm war die Oberaufsicht über die Schule anvertraut – ein Mann von athletischer Körperbildung mit bang herabwallendem Haar, das entfernt an den schön gestrichenen Schweif eines Orlow’schen Renners erinnerte, wollte seine Billigung aussprechen, platzte aber, der Macht seiner Kehle uneingedenk, so laut heraus, daß er selbst zusammenfuhr und auch die Anderen erschreckte. – Bald darauf entfernten sich die Geistlichen.

      Kolja war in seinem neuen Jäckchen mit den goldenen Knöpfen der Held des Tages; man machte ihm Geschenke, gratulirte ihm, küßte ihm die Hände sowohl an der vorderen als an der hinteren Hausthür: Fabrikarbeiter, Knechte, alte Frauen, Mädchen und Bauern; die Letzten drängten

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<p>3</p>

Ein länglich-viereckiges, an der Hüfte herabhängendes Stück Goldstoff mit einem Kreuz in der Mitte.

<p>4</p>

Eine emporstehende Kopfbebeckung von violettem Sammet für Weltgeistliche, von schwarzem – für Klostergeistliche.