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du Gierschlung!« rief sie einem großen Hahne zu und trieb ihn fort. »Keins läßt er heran – was ich auch hinwerfe, alles will er selbst fressen!«

      Die Morgensonne leuchtete hell herab auf die bunte Geflügelschar und das junge Mädchen. Raiski hatte Zeit gefunden, sie zu betrachten: sie hatte große, dunkelgraue Augen, runde, frische Wangen, dichte, weiße Zähne, zwei hellbraune, um den Kopf gewundene Zöpfe und eine kräftig entwickelte Brust, die in der feinen weißen Bluse prall hervortrat.

      Der Hals war frei, von keinem Tuch oder Kragen bedeckt – er war weiß, nur ganz leicht von der Sonne gebräunt. Bei dem Versuche, den gefräßigen Hahn fortzujagen, war der eine ihrer beiden Zöpfe heruntergeglitten und hing nun über Hals und Rücken herab, doch achtete sie nicht weiter darauf, sondern fuhr fort, den Vögeln das Futter zu streuen.

      Sie lachte, runzelte die Stirn, lachte wieder und blickte so frisch und heiter drein wie der Frühlingsmorgen selbst. Sie achtete sorgfältig darauf, daß nur ja alle ihr Teil abbekamen, und daß die Spatzen und Dohlen nicht zu viel wegstibitzten.

      »Hast du das Gänschen nicht gesehen?« fragte sie das vor ihr stehende Mädchen mit wohlklingender Altstimme.

      »Nein, Fräuleinchen,« sagte das Mädchen. »Man sollte es lieber den Katzen geben. Asimia sagt, es werde doch draufgehen.«

      »Nein, nein, ich will selber nachsehen,« fiel das Fräulein ihr ins Wort. »Asimia hat auch gar kein Mitleid mit dem Tierchen, sie ist imstande, es ihnen lebendig hinzuwerfen.«

      Raiski hatte, selbst unbemerkt, diese ganze Szene – das junge Mädchen, die Geflügelschar, das Bauernmädchen – mit Aufmerksamkeit beobachtet.

      »Ich wußte es ja: ein Idyll!« dachte er. »Das muß mein Cousinchen sein – was für ein liebes Kind! Wie einfach, wie anmutig! Aber welche von beiden ist’s nur—Wjerotschka oder Marsinka?«

      Er wartete nicht, bis sein Wagen in das Hoftor einbog, sondern lief voraus und stand plötzlich vor dem jungen Mädchen.

      »Schwesterchen!« rief er und streckte ihr die Arme entgegen.

      Im Augenblick war alles verschwunden, wie weggezaubert: die Spatzen schwirrten an seiner Nase vorüber aufs Dach, die Tauben flatterten wie blind über seinen Kopf hinweg, die Hühner stoben mit verzweifeltem Gegacker nach allen Seiten auseinander, und der Truthahn blickte verdutzt ringsum und begann auf seine Weise ganz wütend zu schimpfen, wie ein ergrimmter Kommandeur, der mit den Leistungen seiner Truppe nicht zufrieden ist.

      Die Leute auf dem Hofe sahen von ihrer Arbeit auf und starrten Raiski mit offenem Munde an. Er selbst war fast erschrocken und sah auf den leeren Platz, auf dem nur das ausgestreute Futter am Boden lag.

      Aber drinnen, im Hause, ließ sich bereits Lärm und lautes Sprechen, geschäftige Bewegung und Schlüsselklirren vernehmen, und die Stimme der Großtante rief: »Wo ist er? Wo?«

      Sie kommt eilig herbei, ihr Gesicht strahlt, ihre Arme öffnen sich ihm weit. Sie drückt ihn an ihre Brust, und ein Lächeln umgibt wie ein Strahlenkranz ihren Mund.

      Sie ist gealtert, doch dabei immer noch rüstig und gesund: keine krankhaften Flecke, keine entstellenden, dicken Falten, kein matter, kummervoller Blick.

      Man sieht es ihr an, daß sie noch fest im Leben wurzelt, daß sie wohl gekämpft hat, nicht aber vom Leben besiegt worden ist, sondern es selbst zu meistern und mit ihren Kräften wohl hauszuhalten wußte.

      Ihre Stimme hat nicht mehr den hellen Klang wie früher, und sie geht auch am Stocke, doch ist ihr Rücken nicht gebeugt, und sie klagt auch über kein Leiden. Wie früher, trägt sie das Haar kurzgeschoren, ohne Haube, und derselbe von Gesundheit und Güte strahlende Blick adelt ihr Gesicht, ja die ganze Gestalt.

      »Boruschka! Mein Herzensjunge!«

      Dreimal schloß sie ihn in ihre Arme und preßte ihn fest an sich. Die Tränen traten beiden in die Augen. So viel Zärtlichkeit, so viel Liebe und Wärme lag in diesen Umarmungen, in ihrer Stimme, in dieser Freude, die so plötzlich über sie kam und wie heller Sonnenschein sie umleuchtete.

      Fast wie ein Verbrecher kam sich Raiski vor, weil er so lange als heimatloser Junggeselle in der Welt umhergeirrt war und, nach verbotenen Früchten langend, sein Herz getäuscht und seine besten Gefühle vergeudet hatte, während doch hier die Natur selbst ihm ein warmes Nest, herzliche Sympathien und ein schlichtes, reines Glück bereit gehalten hatte.

      Er hätte sich vom Fleck weg in die Großtante verlieben können. Er konnte sich nicht losmachen, küßte sie auf den Mund, auf die Schultern, küßte ihr weißes Haar, ihre Hände. Sie schien ihm jetzt so ganz anders als damals, vor fünfzehn, sechzehn Jahren. Sie hatte zu jener Zeit nicht diese Würde im Antlitz, die er jetzt an ihr sah, dieses Neue, überlegene.

      Er war verwundert darüber und bedachte in diesem Augenblicke nicht, daß er selbst damals noch nicht die geistige Reife besessen hatte, um in einem Menschenantlitz lesen und auf Verstand und Charakter richtig schließen zu können.

      »Wo hast du denn gesteckt? Seit einer Woche schon erwarte ich dich: frag’ nur Marsinka, wir haben bis Mitternacht nicht geschlafen, die Augen habe ich mir ausgeguckt. Marsinka ist so erschrocken, wie sie dich sah, und auch mich hat sie so erschreckt, wie nicht bei Sinnen kam sie hereingelaufen. Marsinka! Wo steckst du? So komm doch her!«

      »Ich bin schuld daran – ich habe sie erschreckt,« sagte Raiski.

      »Und sie lief davon: sehr schlau! Und dabei hat sie mit mir die ganze Woche gewartet, hat sich nicht schlafen gelegt, ist dir entgegengegangen, hat gekocht und gebraten. Wir haben doch alle Tage deine Lieblingsgerichte bereit gehalten! Jeden Morgen kamen wir zusammen, ich, Wassilissa und Jakow, und haben Rat gehalten und uns deiner Gewohnheiten erinnert. Die anderen Leute hier im Hofe sind alle neu, aber diese drei, und Prochor und Marischka, und auch Ulita und Terentij, glaub’ ich, die wissen sich deiner noch zu erinnern. Jedesmal überlegten wir, wie wir dich hier unterbringen sollen, was du essen, wo du schlafen, welchen Wagen du gebrauchen wirst. Am besten wußte noch Jegorka Bescheid, der hat sich noch genau an alles erinnert, darum hab’ ich dir ihn jetzt auch als Kammerdiener beigegeben . . .

      Aber was schwatze ich denn hier: vom Reden wird niemand satt! Wassilissa! Wassilissa! Was sitzen wir denn hier herum? Rasch, deck’ den Tisch, es ist noch lange hin bis Mittag, er wird erst einmal frühstücken. Bring’ Tee, Kaffee, alles bring’ auf den Tisch, auch Vogelmilch!« Sie mußte selbst über ihre Worte lachen. »So – und nun laß dich einmal richtig ansehen!«

      Die Großtante führte ihn ans Licht und musterte ihn eingehend.

      »Wie häßlich du geworden bist!« sagte sie, während sie ihn betrachtete. »Nein, es ist nicht so schlimm: du siehst gut aus! Nur stark gebräunt bist du. Der Schnurrbart steht dir gut. Warum läßt du dir den Vollbart stehen? Du siehst besser aus, wenn du nur den Schnurrbart trägst. Laß dir den Bart abnehmen, Borjuschka, ich hab’ das nicht gern . . .

      Ah, ah! Auch graue Härchen finden sich schon hier und da: woher denn, Väterchen? Alterst ja recht früh!«

      »Nicht das Alter ist’s, Tantchen!«

      »Was denn? Bist du auch gesund?«

      »Ja, es macht sich. Ich kann nicht klagen . . . Aber reden wir von etwas anderem: Sie sind ja, Gott sei Dank, immer noch ebenso . . .«

      »Was – ebenso?«

      »Ebenso schön wie früher! Sie altern gar nicht! Ich habe noch nie eine Dame in Ihren Jahren gesehen, die so schön wäre . . .«

      »Ich danke dir für das Kompliment, mein lieber Neffe! Hab’ schon längst keins mehr zu hören bekommen! Wo soll denn bei mir die Schönheit stecken? Deine kleinen Cousinen – die magst du bewundern! Ich will dir etwas ins Ohr sagen,« flüsterte sie ihm zu – »in der ganzen Umgegend, in der ganzen Stadt gibt’s nicht wieder zwei so hübsche Mädchen! Namentlich die andere, Wjera. . . Höchstens Rastenjka Mamykina kann sich mit ihnen messen – die Tochter des Pächters, weißt du, von der ich dir schrieb!«

      Sie blinzelte listig mit den Augen.

      »Ich erinnere mich nicht mehr, Tantchen . . .«

      »Nun, davon später;

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