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Die Schlucht. Иван Гончаров
Читать онлайн.Название Die Schlucht
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Иван Гончаров
Жанр Русская классика
Издательство Public Domain
Das Porträt aber ist ihr so ähnlich, wie nur ein Wassertropfen dem anderen. Ganz genau so ist sie dort auf seiner Leinwand, wie alle sie sehen und kennen: unerschütterlich ruhig und strahlend. Dieselbe Harmonie in den Zügen, die hohe, weiße Stirn, der offene, unschuldige, mädchenhafte Blick, der stolze Nacken und die voll entwickelte, wie in ruhigem Schlafe atmende Brust.
Sie ist’s, wie sie leibt und lebt – und er ist unzufrieden, quält sich ab und windet sich in künstlerischen Zweifeln! Er hat in seinem Modell den Funken des Lebens geweckt, hat das Feuer ins Dunkel getragen, die Anzeichen eines neuen Gefühls, Erregung und Unruhe sind in ihrem Wesen sichtbar geworden – und von alledem weist sein Porträt nicht eine Spur auf.
»Warum kommt nur Kirilow nicht, um sich mein Bild anzusehen?« fragte er sich. »Er hat es mir doch versprochen! Vielleicht würde er mir einen Fingerzeig geben, wie ich es machen soll, um die Göttin in ein Weib zu verwandeln!«
Und wiederum begann er sinnend vor sich hinzuschauen, mit der Palette auf dem Daumen, den Kopf gesenkt und im Gesicht das qualvolle Bemühen, endlich jenem Geheimnis beizukommen, wie er gerade jene Sophie, die seinem Geiste jetzt vorschwebt, auf die Leinwand bannen solle.
Er rief sich ihre Erregung ins Gedächtnis zurück, er hörte das Flehen ihrer Stimme, sie allein zu lassen und fortzugehen; er sah sie, wie sie ihren Stolz zu Hilfe rufen wollte und es doch nicht vermochte, wie sie ihm ihre Hand entziehen wollte und sie ihm doch nicht entzog, wie sie so gar nicht ihrer selbst Herr werden konnte . . . Wie verschieden war diese Sophie von dem Porträt da auf der Staffelei!
Er sah, daß er die Zweifel des Hamlet in ihrer Brust geweckt hatte. Er hatte diese Zweifel in ihrem Blick gelesen: »Lebe ich denn auch wirklich so, wie ich leben sollte? Bringe ich nicht irgend etwas Lebendiges, Menschliches diesem toten Stolze meines Geschlechts und meines Kreises, diesen äußeren Schicklichkeitsregeln zum Opfer? Es ist ja wahr, daß ich zuweilen mich langweile mit den Tanten, mit Papa und mit Catherine . . . nur Cousin Raiski . . .«
Sein Herz begann zu klopfen, wenn er so im Geiste sich selbst als den Gegenstand ihrer Träume sah.
Er sah nicht mehr das Porträt, sondern etwas ganz anderes: seine Augen waren wie bei einem Mondsüchtigen weit geöffnet, starr, ohne zu blinzeln, sahen sie irgendwohin und erblickten dort die wirkliche, lebendige Sophie, wie sie allein in ihrem Zimmer saß und von ihm träumte, in Nachdenken versunken, ohne zu merken, wo sie sitzt; oder wie sie ziellos durchs Zimmer schreitet, dann plötzlich, wie von einem neuen Gedankenblitz erleuchtet, stehen bleibt, aufs Fenster zuschreitet, die Portiere öffnet und den neugierigen Blick auf die Straße richtet, in das wogende Getümmel der Gestalten und Köpfe, wie sie aufmerksam hinausspäht in diesen Menschenstrudel, ohne Scheu vor dem Lärm da draußen, ohne Widerwillen gegen die große Menge, als sei sie ein Teil von ihr geworden, als begriffe sie, wohin jener Mensch dort so hastig eilt, in Angst, daß er zu spät kommen könnte; sie scheint bereits zu wissen, daß es ein armer Beamter ist, der für drei-, vierhundert Rubel jährlich zwei Drittel seines Lebens, sein Blut, sein Hirn, seine Nerven verkauft.
Sie fühlt Mitleid mit dem Bauer dort, der den Sack auf seinem Rücken kaum zu schleppen vermag. Sie errät, daß jene Frau da in dem Bündel, das sie trägt, ihr letztes Stück, ihren Mantel, zum Pfandleiher trägt, um die Miete bezahlen zu können. Jede einzelne Gestalt dort draußen, ob Mann oder Frau, verfolgt diese neue Sophie mit nachdenklichem, mitleidvollem Blicke.
Lange schaut sie hinaus auf dieses Leben, das sie nun ganz zu begreifen scheint, nur ungern verläßt sie das Fenster und vergißt, den Vorhang herabzulassen. Sie nimmt ein Buch, schlägt es an der ersten besten Stelle auf, liest jedoch nicht, sondern vertieft sich wieder in stilles Nachdenken darüber, wie die Menschen dort draußen leben.
Ihre Schönheit bekommt einen sinnigen Ausdruck, die Augen blicken nicht mehr so sorglos und klar, sondern gedankenvoll und tief. Es liegt in ihnen etwas wie bange Sorge um jene »anderen«, die dort in Kummer und Not, von Arbeit und Elend erdrückt, durch die Straßen eilen.
Sie empfindet plötzlich, daß sie nicht gelebt hat, sondern nur gewachsen ist, in einer kühlen, frostigen Temperatur. Sie empfindet eine Begier nach diesem Leben, nach seinen lebendigen Sympathien, seinen Kümmernissen und Mühen – vor allem aber nach den Sympathien.
Das Buch fällt aus ihren Händen auf den Fußboden. Sophie gibt sich nicht die Mühe, es aufzuheben; sie nimmt zerstreut eine Blume aus der Vase, sie achtet nicht darauf, daß die übrigen Blumen in Unordnung geraten und einige sogar aus der Vase fallen.
Sie riecht an der Blume, zupft sinnend, in stiller Zerstreutheit, die Blütenblätter mit den Lippen heraus, geht dann leise, halb unbewußt, zum Flügel, setzt sich achtlos von der Seite auf das Taburett, greift mit der einen Hand ein paar schwermütige Akkorde und sinnt und sinnt . . .
Dann flüstert sie leise, wie vergeistert, einen Namen und erbebt – ängstlich schaut sie sich um, bedeckt das Gesicht mit den Händen und verbleibt in dieser Haltung.
Niemand ist im Zimmer; nur ein Sonnenstrahl stiehlt sich durch das Fenster, an dem der Vorhang zurückgeschlagen ist, spielt in den Spiegeln an der Wand und bricht sich in farbigen Tönen an dem geschliffenen Kristall. Auf dem Fußboden liegt unbeachtet das offene Buch, neben den abgezupften Blütenblättern . . .
Er ergriff den Pinsel, schaute lange mit weitgeöffneten, heißhungrigen Augen auf jene Sophie, die er in diesem Augenblick im Kopfe hatte, mischte sorgfältig, mit einem stillen Lächeln, die Farben auf der Palette, schickte sich mehrmals an, die Leinwand zu berühren, hielt jedoch immer wieder unentschlossen inne, fuhr dann endlich mit dem Pinsel über die Augen und übertuschte sie ein wenig, daß die Lider etwas mehr geöffnet schienen. Ihr Blick wurde dadurch weiter, doch war er immer noch zu ruhig.
Ganz leise, fast mechanisch, zog er noch einmal den Pinsel über die Augen hin: sie wurden lebendiger, sprechender, blieben jedoch kalt. Eine ganze Weile arbeitete er an den Augen herum, mischte wieder nachdenklich die Farben, fügte noch einen neuen Zug hinzu, setzte einen Punkt in jedes Auge, wie es damals der Lehrer in der Schule bei seiner Zeichnung getan, und brachte schließlich noch einen einzigen kleinen Zug, über den er sich selbst nicht Rechenschaft gab, in das eine Auge . . . Und plötzlich stockte ihm selbst der Atem: ein Funke blitzte ihm aus dem Bilde entgegen . . .
Er trat zurück, sah hin und ward starr vor Verblüffung: eine lichte Garbe von Strahlen fiel aus den Augen gerade auf ihn, doch war der Ausdruck des Gesichtes noch zu streng. Halb unbewußt, wie von ungefähr, veränderte er ganz wenig die Linie der Lippen, führte einen leichten Pinselstrich über die Oberlippe, milderte da und dort einen Schatten, trat wieder zurück und sah hin.
»Sie ist es, sie ist es!« rief er, und sein Atem stockte fast.
»Das ist Sophie, wie sie jetzt ist, die wirkliche, wahre Sophie!«
Er hörte Schritte in seinem Rücken und wandte sich um: Ajanow war soeben eingetreten.
»Iwan Iwanytsch!« rief Raiski ganz erregt – »wie froh bin ich, daß du gekommen bist! Sieh doch – da, ist sie’s oder nicht? So sprich doch!«
»Wart’ laß mal sehen!«
Iwan Iwanytsch betrachtete eine ganze Weile das Bild.
Voll Ungeduld wartete Raiski.
»Wer ist das?« fragte Ajanow phlegmatisch.
Raiski sah ihn ganz verdutzt an.
»Hast du Sophie nicht erkannt?« fragte er und konnte sich kaum fassen vor Erstaunen.
»Wie, Sophie Nikolajewna? Ist’s möglich?« sprach Ajanow und sah dabei mit weitgeöffneten Augen auf das Porträt.