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weiß nicht, wie es mit der Wahrheit bestellt ist, aber sie zu hören ist freilich Vielen schmerzlich, brummte Pigassow und zog sich mürrisch zurück.

      Rudin jedoch begann von dein Selbstgefühl zu reden und sprach sehr verständig. Er bewies, daß der Mensch ohne Selbstgefühl nichts bedeute, daß Selbstgefühl »Archimedes’s Hebel« sei, durch welchen der Erdball aus seiner Stellung gehoben werden könne; doch verdiene in der That nur Derjenige »Mensch« genannt zu werden, der sein Selbstgefühl zu bändigen wisse, wie der Reiter sein Roß, der seine Persönlichkeit dem Wohle Alter zum Opfer bringe . . .

      – Selbstsucht, so beschloß er seine Rede: – ist Selbstmord. Der selbstsüchtige Mensch verdorrt gleich einem vereinzelten, unfruchtbaren Baume; Selbstgefühl aber, als lebendiges Streben nach Vervollkommnung, ist der Ursprung alles Großen . . . Ja! es muß der Mensch den starren Egoismus seiner Persönlichkeit brechen, um ihr das Recht zu verschaffen, sich frei auszusprechen.

      – Dürfte ich Sie wohl um einen Bleistift bitten? wandte sich Pigassow an Bassistow.

      Bassistow faßte nicht gleich, was Pigassow von ihm verlangte.

      – Wozu brauchen Sie einen Bleistift? brachte er I endlich hervor.

      – Ich will diese letzte Phrase des Herrn Rudin notiren. Notire ich sie nicht, ich könnte sie vergessen, stehe nicht dafür! Und Sie werden selbst zugeben, solch eine Phrase kommt doch einem großen Schlemm im Whist gleich.

      – Es giebt Dinge, Afrikan Semenitsch, über welche zu scherzen und zu spotten unschicklich ist! erwiederte Bassistow mit Wärme und drehte Pigassow den Rücken.

      Unterdessen war Rudin zu Natalia getreten. Sie erhob sich und auf ihrem Gesichte zeigte sich Verwirrung.

      Wolinzow, der neben ihr saß, erhob sich gleichfalls.

      – Ich sehe da ein Klavier, begann Rudin mit weicher, wohlwollender Stimme, als wäre er ein Prinz auf Reisen: – spielen Sie vielleicht?

      – Ja, ich spiele, sagte Natalia: – aber nicht besonders. Hier, Constantin Diomiditsch spielt bedeutend besser als ich.

      Pandalewski streckte sein Gesicht vor und fletschte die Zähne.

      – Sie sind ungerecht gegen sich, Natalia Alexejewna: ich spiele wirklich nicht besser als Sie.

      – Spielen Sie den Erlkönig von Schubert? fragte Rudin.

      – Er spielt ihn, er spielt ihn! nahm Darja Michailowna das Wort. – Sehen Sie sich, Constantin . . . Sie lieben die Musik, Dimitri Nikolaitsch?

      Rudin verneigte sich leicht mit dem Kopfe und fuhr mit der Hand über das Haar, als bereite er sich zum Anhören vor . . . Pandalewski begann.

      Natalia stellte sich an’s Klavier, Rudin gerade gegenüber. Gleich bei den ersten Tönen erhielt sein Gesicht einen begeisterten Ausdruck. Seine tiefblauen Augen schweiften langsam umher, von Zeit zu Zeit auf Natalia haften bleibend. Pandalewski hatte geendet.

      Rudin sagte kein Wort und trat an das geöffnete Fenster. Ein aromatischer Duft lag gleich einer leichten Hülle aus dein Garten, einschläfernde Kühle entstieg den nahegelegenen Bäumen. Sanft schimmerten die Sterne. Wonnig war die Sommernacht und Wonne verbreitete sie um sich her. Rudin schaute in den dunkeln Garten hinaus und – wandte sich um.

      – Diese und diese Nacht, sagte er: – haben in mir Erinnerungen erweckt an meine Studentenzeit in Deutschland, an unsere Zusammenkünfte, unsere Serenaden . . .

      – Sie waren in Deutschland? Fragte Darja Michailowna.

      – Ich habe ein Jahr in Heidelberg studirt und etwa ebensolange in Berlin.

      – Und Sie kleideten sich wie die Studenten? Die sollen dort, sagt man, eine eigenthümliche Kleidung tragen.

      – In Heidelberg habe ich hohe Stiefel mit Sporen und einen kurzen Leibrock mit Schnurbesatz getragen und das Haar lang wachsen lassen bis herab aus die Schultern . . . In Berlin kleiden sich die Studenten wie Jedermann.

      – Erzählen Sie uns Etwas aus Ihrem Studentenleben, bat Alexandra Pawlowna.

      Rudin begann seine Erzählung. Er war kein guter Erzähler. In seinen Schilderungen vermißte man die Färbung. Er verstand es nicht, Heiterkeit zu erregen. Uebrigens ging er bald von der Erzählung seiner Abenteuer im Auslande auf allgemeine Betrachtungen über, von der Bedeutung der Aufklärung und Wissenschaft, den Universitäten und dem Universitätsleben überhaupt. Mit breiten und kühnen Zügen entwarf er ein riesiges Bild. Alle hörten ihm mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Er sprach meisterhaft, hinreißend, nicht immer bestimmt . . . aber diese Unbestimmtheit selbst verlieh seiner Rede einen eigenthümlichen Reiz.

      Der Reichthum seiner Gedanken hinderte Rudin, sich bestimmt und genau auszudrücken. Ein Bild drängte das andere; Gleichnisse, bald unerwartet kühn, bald merkwürdig treffend, folgten Schlag auf Schlag. Nicht selbstgefällige Worthascherei des geschulten Schönredners, sondern Begeisterung sprach aus seinem ungestümen Redefluß. Er war um Worte nicht verlegen: folgsam und frei traten sie ihm aus die Lippen, und jedes Wort schien, durchglüht vom Feuer der vollständigsten Ueberzeugung, direct aus der Seele zu strömen. Rudin besaß im höchsten Grade jene Eigenschaft, die man »Musik der Beredtsamkeit« nennen könnte. Er verstand es, indem er gewisse Saiten des Herzens anschlug, zugleich alle andern unbestimmt mittönen und erzittern zu machen. Es mag der Fall gewesen sein, daß der eine oder der andere seiner Zuhörer nicht recht verstand, wovon die Rede war, doch fühlte er die Brust schwellen, ein Schleier schien von seinen Augen zu fallen und in der Ferne stieg ein gewisses strahlendes Etwas vor seinen Blicken empor . . .

      Alle Gedanken Rudin’s schienen der Zukunft zugewandt zu sein; dieser Umstand verlieh ihnen das Drangvolle und Jugendliche . . . Am Fenster stehend, Niemand vorzugsweise anblickend, sprach er – und begeistert durch die Zustimmung und Aufmerksamkeit Aller, durch die Nähe junger Frauen, die Schönheit der Nacht, hingerissen von der Fluth eigener Empfindungen – erhob er sich bis zur Beredtsamkeit, bis zur Poesie . . . der Klang seiner Stimme sogar, sonor und ruhig, vermehrte noch den Zauber; es schien, als redete aus seinem Munde etwas Höheres, ihm selbst Ungewohntes . . . Rudin sprach von Dem, was dem zeitlichen Leben des Menschen Bedeutung für die Ewigkeit verleiht.

      – Dabei fällt mir eine skandinavische Sage ein, so beschloß er seine Rede: – Es sitzt ein König mit seinen Recken in einer langen, dunkeln Halle um ein Feuer herum. Es war zu Winterszeit und Nachts. Auf einmal kommt ein kleiner Vogel durch die offene Thür hereingeflogen und fliegt zur andern wieder hinaus. Der König sagt: »Das Vöglein ist wie der Mensch aus Erden: aus dem Dunkel kommt es geflogen, in das Dunkel fliegt es wieder zurück, und hat sich nur kurze Zeit der Wärme und des Lichtes erfreut« . . . »O König,« erwiedert der Aelteste der Krieger, »das Vöglein wird auch im Dunkeln nicht umkommen und sein Nest wieder finden« . . . In der That, unser Leben ist kurz und vergänglich; doch alles Große geschieht durch den Menschen. Das Bewußtsein, höheren Mächten zum Werkzeuge zu dienen, muß ihm Ersatz sein für alle übrigen Freuden; im Tode selbst wird er sein Leben, sein Nest finden . . .

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