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Augenbrauen hoch, Mundwinkel nach unten, Augen verdreht. Wir verstehen uns. Klarer Fall von Balljunkie. Dieser Hund wird, ein Hoch auf unsere Vorurteile, einige Zeit damit verbringen, seinem Beuteverhalten zu frönen und dem Ball hinterher zu hecheln. Und Herrchen wird – stolz wie Bolle – zehn, 20, 30, 50 mal den Ball werfen und sich freuen, was für einen ausgelasteten Hund er später wieder mit nach Hause bringen wird.

      Aber da haben beide die Rechnung ohne Gioia gemacht. La Gioia, möchte man fast sagen, wenn man sieht, wie athletisch sie sich in die Flugbahn des Balles schraubt, diesen aus der Luft angelt, fest zwischen die Hauer nimmt und – ab damit.

      Doreen und ich stehen inzwischen mit verschränkten Armen da und schauen als selbsternannte Sonntagmittaghundeflüsterer dem Ganzen amüsiert zu. Oh ja, wir sind stolz auf Gioa, mächtig stolz. Und weder Doreen noch ich kommen auch nur ansatzweise auf die Idee, ihr den Ball wieder abzunehmen. Warum denn auch? Zum einen, um allen Ungehorsamspeinlichkeiten aus dem Weg zu gehen. Und zum anderen ist der Mann selber schuld. Kommt auf eine Wiese, auf der schon zwei Hunde toben und fängt mit dem Ballspiel an. Dass das Probleme gibt, das dürfte ja mal klar sein.

      Das sieht der Herr allerdings zunächst einmal anders. Er hat offensichtlich extrem viel Hundeerfahrung sammeln dürfen im Laufe seines Lebens, das bereits deutlich länger andauert als unseres. Und das müsste sich auf jeden Fall bis zu Gioia herumgesprochen haben. Und wenn nicht, dann merkt das ein Hund ja offensichtlich sofort an Mimik und Gestik, woran er bei diesem Manne ist. Daher schreitet er auch sogleich strammen Schrittes auf Gioia zu und schmettert kurz vor ihr ein munteres „Aus!“ über die Wiese.

      Wow!

      Doreen und ich schauen uns an.

      Noch unsicher, was das jetzt werden soll.

      Gioia hingegen bleibt relativ unbeeindruckt, da sie weder Befehl noch Mann kennt. Dass sie aber den Ball behalten möchte, das weiß sie ziemlich genau und passt die letzte Sekunde ab, bevor die Hand des Mannes sich ums Bällchen im Mäulchen schließen kann und rennt mit diesem in die andere Ecke der Wiese.

      Mann gibt nicht so leicht auf und läuft energischen Schrittes hinterher. „Aus!“, tönt es von 100 Metern auf 9 Uhr.

      Gioia legt den Kopf schief, grinst, lässt die Zunge heraushängen und wiegt den Gegner kurz in Sicherheit. Aber schon Sekunden später ist sie wieder mit dem Ball auf und davon.

      Der Mann schreitet hinterher, ach was, er rennt geradezu. Ich sehe Doreen fragend an.

      „Wir sind weit und breit die einzigen Menschen hier auf der Wiese weit und breit. Wir haben jeder eine Hundeleine in der Hand. Da liegt doch die Vermutung nahe, dass das unsere Hunde sein können. Oder?“

      „Jawoll!“

      „Warum spricht der Mann nicht mit uns?“

      „Keine Ahnung!“

      „Aha.“

      „Der will das offensichtlich alleine schaffen!“

      „Na gut!“

      Um ein langes Drama abzukürzen, es ging noch einige Male hin und her, denn wer es einst mit dem Panzer bis nach Stalingrad geschafft hat, der wird vor einem lausigen Vierbeiner nicht klein beigeben. Die Aggressivität des Mannes stieg dabei exponential zu Gioias Sprintstärke.

      Als guter Rudelführer sah ich mich irgendwann genötigt, meinen Hund vor den speichelzersetzten Befehlen des Mannes zu schützen und stoppte diesen mit einer leichten Berührung an seinem Arm und dem Satz „Entschuldigen Sie, das ist mein Hund. Vielleicht kann ich Ihnen ja…“.

      Weiter kam ich nicht. Der Mann schlug meinen Arm weg, als hätte ich ihn durch bloße Berührung verbrannt. Mit wutverzerrtem Gesicht quetschte er folgenden Satz durch die Dritten: „Ach Du, lass mich. Du bist doch auch nur so ein Mischblut!“ (Meine Wurzeln liegen zu 25 % in Amerika, in Afro-Amerika, um genau zu sein. Anm. d. Red.)

      Stille.

      Stille.

      Immer noch Stille.

      Ich starrte Doreen an. Doreen starrte mich an.

      Und dann spürte ich es.

      In mir.

      Ein Schrei machte sich breit.

      Worte formten sich in meinem Kopf.

      Stiegen langsam vom Bauchraum in das Zwerchfell und weiter am Kehlkopf entlang in die Mundhöhle. In mir schrie es ‚NEIN! Ich bin kein Mischblut. Ich bin ein MUGGEL!‘

      Heraus kam allerdings ein munteres „Heil Hitler!“ gefolgt von einer adäquaten Bewegung meines rechten Arms.

      Schließlich haben wir Mischblüter über Jahre gelernt, uns ratz fatz den äußeren Umständen anzupassen. Sonst hätten wir nie so lange überleben können. Charles Darwin. Survival of the fittest.

      Das funktioniert bei den menschlichen Mischblütern übrigens genau so wie bei den hündischen, zu denen meine Gioia unglücklicherweise auch zählt.

      Oh je, darauf musste ich den armen Mann umgehend aufmerksam machen. Sonst würde er noch denken, es läge an ihm, dass der Hund nicht hört.

      „Übrigens ist mein Hund auch ein Mischblut! Die kann Sie gar nicht verstehen“, versuchte ich dem Mann das ungebührliche Verhalten meines unrassigen und respektlosen Vierbeiners zu erläutern.

      Und mit Blick auf seinen Hund „Na, der scheint mir aber auch nicht ganz arisch zu sein, was!“

      Doreen war immer noch sprachlos. Gioia hatte irgendwann keine Lust mehr auf das Spiel mit dem Paradebeispiel deutscher Leitkultur und ließ den Ball wundersamerweise vor meinen Füßen fallen. Ich hob ihn auf und – wumm – stand schon das Herrchen vor mir. Nun kam wieder der Hundeflüsterer in mir zum Zuge. Thema: Reizkontrolle. Erst Fein machen, dann Belohnung.

      „Möchten Sie sich jetzt vielleicht mal entschuldigen?“

      „GEBEN SIE MIR DEN BALL!“

      „Na na, wer wird denn da unhöflich werden?“

      „GEBEN SIE MIR SOFORT DEN BALL!“

      Wieder zuckte es in meinem rechten Arm und der Ball flog einige Meter hinter den Mann.

      Lächeln bei mir.

      „Na hopp. Hol’s Bällchen!“

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

       Leckerli

      Nehmen Sie bitte Ihren Hund zurück. Ich habe Angst um meine Kinder!“

      „Statistisch gesehen werden Kinder weitaus häufiger durch häusliche Gewalt verletzt als durch einen Hund. Schönen Tag noch!“

       03_Nahidioterfahrung

      Nahidioterfahrung

      Wenn man im Wedding wohnt, dann kommt man in den Genuss von günstigem Wohnraum, den man sich in der Größe im reichen Zehlendorf sicher nicht leisten könnte.

      Man darf Tag für Tag Nachbarn genießen, mit denen man im Leben keinen Kaffee trinken gehen würde. Stellt sich die Frage, ob die überhaupt jemals Kaffee trinken oder ihrem Körper ausschließlich flüssige Nahrung in Form von Bier „in Flasche“ – ein unabdingbares Accessoire

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