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Gucken darf man immer.

      „Du siehst nicht gerade aus wie ein Joshua“, sagte Shane, als er ihr die Hand schüttelte.

      „Oh, hat dir keiner Bescheid gesagt?“, fragte Keira. „Es kam etwas dazwischen, daher bin ich nun hier. Tut mir leid.“

      Shane musterte sie feixend. „Was gibt es da zu entschuldigen? Ich verbringe lieber dreißig Tage mit einer hübschen Lady wie dir. Nichts gegen diesen Joshua, ich bin sicher, er sieht gut aus, aber er klingt nicht, als wäre er mein Typ. Du weißt schon, so als Mann und so.“

      Keira schluckte. Sie hatte nicht erwartet, dass irische Männer so direkt sein würden. Sie dachte an Zach und wiederholte im Geiste das Mantra, dass Gucken erlaubt war.

      Während Shane sich neben ihr auf einen Barhocker setzte, stellte Orin ihnen beiden ein Guinness hin. Leira stöhnte innerlich. So viel Alkohol würde sie nicht verkraften.

      Shane nahm einen kräftigen Schluck, dann breitete er ein paar Dokumente auf dem Tresen aus.

      „Das Festival der Liebe geht über dreißig Tage“, erklärte er. Die meisten Aktivitäten fangen nie vor dem Abend an. Daher habe ich einen Plan erstellt, was du dir angucken kannst, während deines Aufenthaltes, damit du einen besseren Eindruck von Land und Leuten bekommst. Wir fangen mit dem Burren an, damit du eine Kalksteinlandschaft siehst. Dann die Klippen von Moher für den Blick über das Meer. Dann springen wir rüber ins nächste County, nach Kerry, zu dem alten, stattlichen Killarny, von da geht’s nach Dingle.“

      „Ich dachte, du bist nur mein Führer für das Festival“, sagte Keira, „nicht für das ganze Land!“

      „Du drehst durch, wenn du tagsüber nicht mal aus Lisdoonvarna rauskommst“, erklärte Shane. „Die Masse an Menschen, die kommen und gehen, das ist ein bisschen viel.“

      Keira lachte innerlich. Sie bezweifelte ernsthaft, dass Lisdoonvarna während des Festivals hektischer sein könnte als New York an jedem normalen Tag.

      „Es wird viel getrunken“, fuhr Shane fort. „Manche der Partys gehen bis in die frühen Morgenstunden. Ach, was sage ich, manche, denn eigentlich sind es fast alle.“

      Keira dachte an den lärmenden Junggesellenabschied im Flugzeug und fragte sich, ob sie in den nächsten vier Wochen überhaupt Schlaf kriegen würde.

      „Das sieht gut aus“, sagte sie und schaute sich den Plan an. „Aber ich werde jeden Tag ein wenig Zeit brauchen, um zu schreiben. Es ist eben nicht nur alles reines Vergnügen.“

      Shane schmunzelte. „Du bist gerade erst angekommen und denkst schon über Arbeit nach?“

      „Ich muss“, erklärte Keira. „Der Auftrag ist wichtig für mich. Ich will ihn nicht versauen.“

      „Und ihn nicht zu versauen, ist gleichbedeutend damit, sich nicht entspannen zu können?“

      Keira war nicht in der Stimmung, jetzt über ihre Lebensentscheidungen zu diskutieren. Darüber hatte sie von Zach und ihrer Mutter gestern wahrlich genug gehört.

      „Es bedeutet lediglich, dass ich jeden Tag ein wenig Zeit zum Schreiben brauche“, gab sie ein wenig eingeschnappt zurück.

      Shanes Gesichtsausdruck behielt sein amüsiertes Schmunzeln. Er nahm noch einen großen Schluck Guinness. „Du bist einer von diesen puritanischen Typen, oder? Nur Arbeit, kein Vergnügen.“

      Keira blickte ihn unbeeindruckt an. „Ich weiß nicht, wie du annehmen kannst, irgendetwas über mich zu wissen“, sagte sie. „Wir kennen uns gerade erst seit fünf Minuten.“

      Shane grinste immer noch. Er antwortete nicht, als wäre das Thema bereits erledigt. Keira verkrampfte sich. Er sah gut aus, das stimmte wohl, aber wenn er so weitermachte, würde er ihr schon sehr bald fürchterlich auf die Nerven gehen. Sie wusste nicht, ob sie dreißig Tage lang Hänseleien und Trinkgelage aushalten würde, ohne einen anständigen Platz zum Schreiben.

      Vielleicht war dieser Auftrag schwieriger, als sie erwartet hatte.

      *

      Keira schaffte es schließlich, sich zur Nacht zu verabschieden. Sie hatte irgendwann aufgehört, zu zählen, wie viele Guinness Orin und Shane getrunken hatten. Immerhin hatten sie beizeiten aufgehört, sie ebenfalls zum Trinken zu animieren. Dennoch schwirrte ihr der Kopf, als sie die Treppen zu ihrem Zimmer hinaufstieg.

      Sie schloss die Tür hinter sich, aber die Musik und das Stimmengewirr von unten waren dadurch nicht weniger hörbar. Keira fühlte sich völlig überdreht und aufgekratzt. Sie warf einen Blick auf ihr Handy, aber da war noch immer keine Nachricht von Zachary. Er hatte auf jeden Fall genug Zeit gehabt, sie zu lesen. Was bedeutete, dass er sie mit Schweigen strafte. Wie erwachsen, dachte Keira.

      Immerhin hatte sie Nachrichten von Nina und Bryn, die sie mit Fragen bombardierten. Sie schrieb Nina, die den Artikel editieren würde, um ihr zu sagen, dass ihr Zeitplan randvoll war und an Schreiben erst einmal nicht zu denken war. An Bryn schickte sie eine kurze optische Beschreibung von Shane und ein paar Feuer-Emojis.

      Er ist aber ziemlich anstrengend. Einer dieser arroganten Typen, die meinen, es wäre reizvoll, wenn sie einen die ganze Zeit auf den Arm nehmen.

      Bryns Antwort kam sofort. Es IST reizvoll.

      Keira lachte und legte das Handy beiseite. Die Musik unten würde sie sicher noch eine Weile vom Schlafen abhalten, also konnte sie genauso gut schon mal ein wenig arbeiten. Sie holte den Laptop aus der Tasche und schrieb eine E-Mail an Elliot, mit einigen Ideen, wie man den Artikel angehen könnte. Dank der paar Guinness konnte sie sogar einen noch bissigeren Ton finden als sie gedacht hatte.

      Falls du dich je gefragt hast, wie über Jahrzehnte verkleckerte Guinnessflecken im Teppich riechen, brauchst du bloß nach Lisdoonvarna ins St. Paddy's Inn zu kommen. Als exotische Amerikanerin wurde ich gleich nach meiner Ankunft mit einem Übermaß an irischer Gastfreundschaft erstickt. Ich sage erstickt, denn es war schier unmöglich, die Angebote, reichlich Alkohol zu trinken, abzulehnen. Daher riecht es hier überall in dem dunklen Schuppen nach abgestandenem Guinness. Man hat geradezu das Gefühl, alles, Teppiche, Gardinen, Tapeten, wirklich alles klebt vom Bier. Sagen wir mal so, es würde mich nicht wundern, wenn morgen früh aus der Dusche in meinem veralteten, winzigen Bad dunkelbraune, schäumende Flüssigkeit käme.

      In dieser Art setzte sie ihren Bericht fort. Sie wusste, dass es gemein war, das B&B auf diese Weise niederzumachen und erst recht die netten Menschen, die sie bisher getroffen hatte, aber sie konnte einfach nicht anders.

      Sie endete den Bericht und schickte ihn ab. Elliot antwortete beinahe sofort mit lobenden Worten.

      Weiter so, Keira. Das ist goldrichtig!

      Im nächsten Moment klingelte ihr Telefon. Es war Bryn. Keira seufzte, denn das bedeutete, dass es mit der Arbeit für heute vorbei war. Sie klappte den Laptop zu und nahm das Gespräch an, während sie ins Bett krabbelte.

      „Was ist los?“, fragte sie ihre Schwester.

      „Ich hatte gerade ein misslungenes Date“, erklärte Bryn. „Also dachte ich, ich rufe dich an, um mehr über diesen stattlichen Tourguide zu erfahren.“

      Keira lachte. „Also, er hat zu viele Haare. Und sein Modebewusstsein ist fragwürdig.Aber mit ein bisschen Mühe würde er schon etwas hermachen.“

      „An deiner Stelle würde ich ihn mir schnappen“, sagte Bryn.

      Keira schnappte nach Luft. Selbst für Bryns Verhältnisse war das schon sehr direkt. „Aber was ist mit Zach?“, fragte sie lachend.

      „Was ist mit ihm?“, fragte Bryn abfällig zurück.

      Keira stöhnte auf. „Er ist mein Freund“, erinnerte sie Bryn. „Und selbst wenn Shane zum Friseur gehen würde und sich neu einkleidete, dann könnte ich immer noch keine fünf Minuten in seiner Gegenwart verbringen, ohne ihm den Hals umdrehen

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