Скачать книгу

es an der Zeit ist, die Tradition zu ändern. Gwendolyn, du bist von feinstem Verstand und Gemüt, feiner als ich es je in einer jungen Frau gesehen habe. Du bist jung, aber mit Gottes Willen werde ich nicht so bald sterben, und wenn die Zeit kommt, wirst du weise genug sein, um zu regieren. Das Königreich soll dir gehören.“

      „Aber Vater!“, rief Gareth aus, sein Gesicht aschfahl. „Ich bin der älteste legitim geborene Sohn! Immer, in der gesamten Geschichte der MacGils, ging die Herrschaft auf den ältesten Sohn über!“

      „Ich bin der König“, erwiderte MacGil düster, „und ich bestimme die Tradition.“

      „Aber das ist nicht gerecht!“, flehte Gareth mit klagender Stimme. „Ich bin es, der König sein sollte. Nicht meine Schwester. Nicht eine Frau!“

      „Zäume deine Zunge, Junge!“, rief MacGil, zitternd vor Zorn. „Wagst du es, mein Urteil zu hinterfragen?“

      „Werde ich also zugunsten einer Frau übergangen? So also denkst du von mir?“

      „Ich habe meine Entscheidung getroffen“, sagte MacGil. „Du wirst sie respektieren und dich ihr gehorsam fügen, so wie jeder andere Untertan in meinem Königreich. Und nun könnt ihr alle gehen.“

      Seine Kinder beugten rasch ihre Köpfe und eilten aus dem Zimmer.

      Nur Gareth blieb an der Tür stehen, unfähig, sich zu überwinden, den Raum zu verlassen.

      Er kehrte um und stellte sich alleine seinem Vater.

      MacGil konnte die Enttäuschung in seinem Gesicht lesen. Sichtlich hatte er erwartet, heute zum Erben benannt zu werden. Mehr noch: er hatte es begehrt. Unbedingt. Was MacGil nicht im Geringsten überraschte—und was genau der Grund war, warum er es ihm nicht gewährt hatte.

      „Warum hasst du mich, Vater?“, fragte er.

      „Ich hasse dich nicht. Ich finde dich nur nicht geeignet, mein Königreich zu regieren.“

      „Und warum das?“, bestand Gareth.

      „Weil es genau das ist, was du begehrst.“

      Gareths Gesicht lief feuerrot an. Offenbar hatte MacGil ihm einen Einblick in seine wahre Natur verschafft. MacGil beobachtete seine Augen, sah, wie sie von einem Hass für ihn erfüllt waren, den er nie für möglich gehalten hätte.

      Ohne ein weiteres Wort stürmte Gareth aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

      Das hallende Echo ließ MacGil erschaudern. Er dachte an den Blick seines Sohnes zurück und verspürte einen Hass von enormer Tiefe, tiefer noch als der seiner Feinde. In dem Moment erinnerte er sich an Argons Worte, seine Ankündigung, dass Gefahr nahe lag.

      Konnte sie gar so nahe liegen?

      KAPITEL SECHS

      Thor rannte mit all seiner Kraft über das weite Feld der Arena. Hinter ihm konnte er die Schritte der königlichen Wachen hören, die ihm dicht auf den Fersen waren. Sie jagten ihm durch die heiße, staubige Umgebung hinterher, im Laufen fluchend. Vor ihm ausgebreitet standen die Angehörigen—und neuen Rekruten—der Legion, dutzende Jungen wie er selbst, nur älter und stärker. In unterschiedlichen Formationen trainierten sie und wurden geprüft, manche beim Speerwerfen, manche schleuderten Wurfspieße, einige übten ihren Griff an der Lanze. Sie zielten auf entfernte Zielscheiben und verfehlten diese nur selten. Dies waren seine Rivalen, und sie schienen ihm überlegen.

      Unter ihnen befanden sich ein Dutzend wahre Ritter, Angehörige der Silbernen, die in einem weiten Halbkreis standen und dem Treiben zusahen. Urteilend. Entscheidend, wer bleiben durfte und wer nach Hause geschickt würde.

      Thor wusste, dass er sich beweisen, diese Männer beeindruckten musste. In wenigen Augenblicken würden die Wachen ihn eingeholt haben, und wenn er irgendeine Chance haben wollte, einen Eindruck zu hinterlassen, war jetzt der Zeitpunkt dafür. Nur wie? Seine Gedanken rasten, während er mit dem festen Entschluss über den Platz schoss, nicht abgewiesen zu werden.

      Während Thor über das Feld raste, erregte er die Aufmerksamkeit der anderen. Einige der Rekruten stellten ihre Übungen ein und blickten ihm nach; einige der Ritter ebenso. Innerhalb weniger Augenblicke merkte Thor, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren. Sie sahen verwirrt drein, und ihm wurde klar, dass sie sich wohl fragten, wer er war, der da quer über ihr Feld rannte, von drei königlichen Wachen gejagt. So wollte er nicht unbedingt seinen ersten Eindruck hinterlassen. Sein ganzes Leben schon träumte er davon, sich der Legion anzuschließen; in seiner Vorstellung war es nicht so abgelaufen.

      Während Thor rannte und hin und her überlegte, was er tun sollte, wurde sein nächster Schritt für ihn entschieden. Ein großgewachsener Junge, einer der Rekruten, hatte beschlossen, es auf sich zu nehmen, die anderen damit zu beeindrucken, dass er Thor aufhielt. Er war muskulös und fast doppelt so groß wie Thor, und er hatte sein Holzschwert erhoben, um Thor den Weg zu versperren. Thor konnte sehen, dass er dazu bereit war, ihn zu Boden zu schlagen, ihn vor allen Augen zu blamieren, und sich dadurch einen Vorteil vor den anderen Rekruten zu verschaffen.

      Dies machte Thor wütend. Thor hatte nichts gegen diesen Jungen, und dieser Kampf war nicht seine Angelegenheit. Doch er machte ihn zu seiner Angelegenheit, nur, um sich vor den anderen zu behaupten.

      Als sie einander näherkamen, konnte Thor die Größe dieses Jungen kaum glauben: er türmte sich über ihm auf und warf finstere Blicke auf ihn hinunter; dichte schwarze Locken bedeckten seine Stirn und er hatte das breiteste, kantigste Kinn, das Thor je gesehen hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, wie er diesem Jungen auch nur einen Kratzer zufügen könnte.

      Der Junge rannte mit seinem Holzschwert auf ihn zu und Thor wusste, wenn er nicht schnell handelte, würde er k.o. geschlagen werden.

      Thor handelte instinktiv. Er zog reflexartig seine Schleuder hervor, holte aus und schoss einen Stein auf die Hand des Jungen. Er fand sein Ziel und riss ihm das Schwert aus der Hand, gerade, als der Junge zum Hieb ansetzte. Es flog davon und der Junge hielt sich schreiend die Hand.

      Thor vergeudete keine Zeit. Er nutzte den Augenblick und griff an, sprang in die Luft und trat den Jungen mit beiden Füßen genau auf die Brust. Doch der Junge war so standfest, dass es sich anfühlte, als hätte er gegen den Stamm einer Eiche getreten. Der Junge stolperte nur wenige Handbreit nach hinten, während Thor abrupt zu stehen kam und zu Füßen des Jungen hinfiel. Das heißt nichts Gutes, dachte sich Thor, als er mit einem dumpfen Knall am Boden aufschlug. Seine Ohren klingelten.

      Thor versuchte, auf die Beine zu kommen, aber der Junge war ihm einen Schritt voraus. Er packte Thor am Rücken und warf ihn mit dem Gesicht voraus in den Staub.

      Um sie herum hatte sich ein Kreis an Jungen gebildet, die nun aufjubelten. Thor lief vor Scham rot an.

      Thor drehte sich um und wollte aufstehen, doch der Junge war zu schnell. Schon war er über ihm und drückte ihn zu Boden. Bevor Thor wusste, wie ihm geschah, war daraus ein Ringkampf geworden, und das Gewicht des Jungen war enorm.

      Thor konnte gedämpft die Rufe der anderen Rekruten hörte, die im Kreis um sie standen und schreiend nach Blut lechzten. Das Gesicht des Jungen hing finster über ihm; der Junge streckte seine Daumen aus und drückte sie Thor auf die Augen. Thor konnte es nicht glauben: es schien, als wollte dieser Junge ihn ernsthaft verletzen. War es ihm wirklich derart ernst damit, sich hervorzuheben?

      In letzter Sekunde rollte Thor seinen Kopf aus dem Weg und die Hände des Jungen fuhren an ihm vorbei in die Erde. Thor ergriff die Gelegenheit, unter ihm hervorzurollen.

      Thor kam auf die Beine und drehte sich zu dem Jungen um, der ebenfalls aufstand. Der Junge griff an und schlug nach Thors Gesicht, und Thor duckte sich in letzter Sekunde; er fühlte den Luftzug auf seinem Gesicht und ihm wurde klar, dass ihm dieser Schlag das Kiefer gebrochen hätte, hätte er ihn getroffen. Thor holte aus und schlug dem Jungen die Faust in den Magen—doch das bewirkte kaum etwas: es war, als würde er einen Baum schlagen.

      Bevor

Скачать книгу