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hatte, war er von seiner Schönheit überwältigt. Es war ihm noch nie gestattet gewesen, ihm so nahe zu sein, und er war überrascht. Es war ein durchdringender Anblick. Mit einer langen, glänzenden Klinge, aus einem Material gefertigt, das noch niemand entschlüsselt hatte, hatte es den am aufwändigsten gearbeiteten Griff, den er je gesehen hatte; von feinem, seidenartigem Gewebe umhüllt, besetzt mit allen Arten von Edelsteinen, und geprägt mit dem Siegel des Falken. Als er einen Schritt nähertrat und direkt über ihm schwebte, spürte er die mächtige Energie, die es verströmte. Es schien zu pulsieren. Er konnte kaum atmen. In nur einem Augenblick würde es in seiner Hand liegen. Hoch über seinem Haupt. Im Sonnenlicht glänzen, vor den Augen der Welt.

      Er, Gareth, der Große.

      Gareth streckte die rechte Hand nach vorne und legte sie auf den Griff. Langsam krümmte er die Finger herum, fühlte jeden Edelstein, jeden Umriss, während er es elektrisiert fasste. Eine durchdringende Energie strahlte durch seine Handfläche, seinen Arm hinauf, durch seinen Körper. Er hatte so etwas noch nie gefühlt. Dies war sein Augenblick. Sein Moment für die Ewigkeit.

      Gareth würde kein Risiko eingehen: er streckte auch die andere Hand aus und legte sie um den Griff. Er schloss die Augen, sein Atem wurde flach.

      So es die Götter wollen, lasst zu, dass ich es ziehe. Gebt mir ein Zeichen. Zeigt mir, dass ich König bin. Zeigt mir, dass ich zum Herrschen bestimmt bin.

      Gareth betete still, auf Antwort wartend, auf ein Zeichen, auf den perfekten Augenblick. Doch Sekunden verstrichen, ganze zehn Sekunden, vor den aufmerksamen Augen des gesamten Königreichs, und er konnte nichts vernehmen.

      Dann, plötzlich, sah er das Gesicht seines Vaters, das ihn wütend anblickte.

      Gareth öffnete entsetzt die Augen und versuchte, das Bild aus seinen Gedanken zu bannen. Sein Herz pochte, und er fühlte, dass dies ein furchtbares Omen war.

      Der Moment war gekommen, jetzt oder nie.

      Gareth lehnte sich vor, und mit all seiner Kraft setze er an, das Schwert zu ziehen. Er gab alles, was er hatte, bis sein gesamter Körper sich vor Anstrengung verkrampfte.

      Das Schwert rührte sich nicht. Er hätte genauso gut versuchen können, das Fundament der Welt zu bewegen.

      Gareth versuchte es noch stärker, und weiter und weiter. Schließlich stöhnte und schrie er merklich.

      Augenblicke später brach er zusammen.

      Die Klinge hatte sich keinen Fingerbreit bewegt.

      Ein schockiertes Raunen breitete sich durch den Raum, als er am Boden aufschlug. Mehrere Berater eilten ihm zu Hilfe, um nachzusehen, ob es ihm gut ginge, und er stieß sie grob von sich. Beschämt und verlegen richtete er sich aus eigener Kraft wieder auf die Beine.

      Gedemütigt blickte sich Gareth unter seinen Untertanen um, um zu sehen, wie sie ihn nun betrachten würden.

      Sie hatten sich bereits abgewandt und verließen nach und nach den Saal. Gareth konnte die Enttäuschung in ihren Gesichtern erkennen; konnte sehen, dass er nur ein weiteres erfolgloses Spektakel in ihren Augen war. Nun wussten sie alle, jeder Einzelne von ihnen, dass er nicht ihr wahrer König war. Er war nicht der bestimmte und auserwählte MacGil. Er war ein Nichts. Nur ein weiterer Prinz, der den Thron an sich gerissen hatte.

      Gareth fühlte, wie er vor Scham brannte. Er hatte sich noch nie so alleine gefühlt wie in diesem Moment. Alles, was er sich je erträumt hatte, seit seiner Kindheit, war eine Lüge gewesen. Eine Einbildung. Er hatte sein eigenes Märchen geglaubt.

      Und es hatte ihn unter sich begraben.

      KAPITEL SECHS

      Gareth marschierte in seinem Gemach auf und ab. In seinem Kopf rasten die Gedanken. Er war fassungslos, dass er es nicht geschafft hatte, das Schwert zu ziehen, und versuchte, die Auswirkungen dessen zu erfassen. Er fühlte sich wie betäubt. Er konnte kaum glauben, dass er dämlich genug gewesen war, zu versuchen, das Schwert zu ziehen, das Schicksalsschwert, das die letzten sieben Generationen lang kein MacGil erfolgreich gezogen hatte. Wie war er auf die Idee gekommen, dass er besser sein würde als seine Vorfahren? Warum hatte er angenommen, dass es ihm anders ergehen würde?

      Er hätte es wissen sollen. Er hätte vorsichtig sein sollen, hätte sich niemals selbst überschätzen sollen. Er hätte sich damit zufriedengeben sollen, den Thron seines Vaters zu haben. Warum musste er es drauf ankommen lassen?

      Nun wusste jeder seiner Untertanen, dass er nicht der Auserwählte war; seine Herrschaft würde nun dadurch getrübt sein; vielleicht würden sie nun auch mehr Gründe haben, ihn des Mordes an seinem Vater zu verdächtigen. Er konnte jetzt schon sehen, dass sie ihn anders ansahen als zuvor, als wäre er ein wandelnder Geist, als würden sie sich bereits darauf vorbereiten, bald einen neuen König zu haben.

      Schlimmer noch, zum ersten Mal in seinem Leben war sich Gareth seiner selbst nicht ganz sicher. Sein ganzes Leben lang hatte er sein Schicksal deutlich vor sich gesehen. Er war sich sicher gewesen, dass er dazu bestimmt war, den Platz seines Vaters einzunehmen, zu herrschen und das Schwert zu führen. Sein Selbstvertrauen war bis auf die Grundfesten erschüttert. Nun war er sich gar nichts mehr sicher.

      Was am schlimmsten war: er konnte nicht aufhören, dieses Bild vom Gesicht seines Vaters vor sich zu sehen, das ihm erschienen war, bevor er das Schwert zog. War dies seine Rache gewesen?

      „Bravo“, ertönte eine langsame, sarkastische Stimme.

      Gareth wirbelte herum, erschrocken, dass noch jemand außer ihm im Zimmer war. Er erkannte die Stimme sofort; es war eine Stimme, die ihm über die Jahre zu vertraut geworden war, und die er gelernt hatte, zu verachten. Es war die Stimme seiner Gemahlin.

      Helena.

      Da stand sie, in einer entfernten Ecke des Raumes, und betrachtete ihn, während sie an ihrer Opium-Pfeife sog. Sie nahm einen tiefen Zug, hielt den Atem an und blies dann langsam aus. Ihre Augen waren blutunterlaufen und er konnte sehen, dass sie schon zu lange geraucht hatte.

      „Was tust du hier?“, fragte er.

      „Dies ist immerhin mein Brautgemach“, erwiderte sie. „Ich kann hier alles tun, was ich will. Ich bin deine Frau und deine Königin. Vergiss das nicht. Ich regiere dieses Königreich nicht weniger als du. Und nach deinem Debakel heute würde ich den Ausdruck regieren eher locker sehen.“

      Gareths Gesicht brannte rot auf. Helena hatte schon immer eine Gabe besessen, ihn mit dem tiefsten Tiefschlag zu treffen, im unpassendsten Moment. Er hasste sie mehr als jede andere Frau in seinem Leben. Er konnte kaum fassen, dass er je eingewilligt hatte, sie zu heiraten.

      „Meinst du?“, zischte Gareth und marschierte wutentbrannt auf sie zu. „Du vergisst, dass ich König bin, Weib, und dich einsperren lassen kann, genauso wie jeden anderen in meinem Reich, egal, ob du meine Frau bist oder nicht.“

      Sie lachte ihn aus, ein spöttisches Schnauben.

      „Und weiter?“, fuhr sie zurück. „Sollen sich deine Untertanen dann über deine sexuellen Vorlieben den Kopf zerbrechen? Nein, das bezweifle ich doch sehr stark. Nicht in der intriganten Welt von Gareth. Nicht im Kopf eines Mannes, dem es wichtiger ist als jedem anderen, was die anderen von ihm halten.“

      Gareth blieb vor ihr stehen und erkannte, dass sie eine Art hatte, durch ihn durchzublicken, die ihn bis auf die Knochen nervte. Er verstand ihre Drohung und sah ein, dass es zwecklos war, mit ihr zu streiten. Und so stand er schweigend da, wartend, die Hände zu Fäusten geballt.

      „Was willst du von mir?“, sagte er langsam, versuchte, sich unter Kontrolle zu halten und nichts Unüberlegtes zu tun. „Du kommst doch nur dann zu mir, wenn du etwas willst.“

      Sie lachte, trocken und spöttisch.

      „Wenn ich etwas will, dann nehme ich es mir. Ich bin nicht hier, um dich um etwas zu bitten. Sondern eher, um dir etwas zu sagen: dein gesamtes Königreich ist gerade Zeuge geworden, wie du versagt hast, das Schwert

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