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hatte sie die Nase voll von Schule. Streng genommen würde es nur noch wenige Monate bis zu ihrem Schulabschluss dauern, aber sie hatte das Gefühl, als hätte sie in den letzten Tagen mehr gelernt, als sie je in einem Klassenraum lernen könnte. Im Vergleich dazu spielten ein paar weitere Monate Unterricht und ein offizielles Diplom keine Rolle. Sie lernte sehr gerne, aber sie hätte auch kein Problem damit, nicht mehr zur Schule zu gehen.

      Als sie den Flur entlanggingen, hielt Caitlin nach vertrauten Gesichtern Ausschau. Sie begegneten hauptsächlich Zehntklässlern und Elftklässlern, aber sie entdeckte niemanden aus ihrer zwölften Klasse. Überrascht registrierte sie die Reaktion der Mädchen, an denen sie vorbeigingen. Jede Einzelne starrte Caleb buchstäblich an. Keine einzige Schülerin versuchte, ihr Interesse zu verbergen; sie waren nicht in der Lage, den Blick abzuwenden. Es war unglaublich. Sie kam sich vor, als würde sie in Begleitung von Justin Bieber durch die Schule spazieren.

      Caitlin drehte sich um und sah, dass alle Mädchen stehen geblieben waren und immer noch starrten. Einige flüsterten untereinander.

      Sie warf Caleb einen Blick zu und fragte sich, ob ihm das aufgefallen war. Falls ja, ließ er sich jedenfalls nichts anmerken.

      »Caitlin?«, sagte jemand mit verblüffter Stimme.

      Caitlins Blick fiel auf Luisa, eines der Mädchen, mit denen sie vor ihrem Umzug befreundet gewesen war.

      »Oh mein Gott!«, fügte Luisa aufgeregt hinzu und breitete die Arme aus. Bevor Caitlin reagieren konnte, umarmte Luisa sie bereits. Caitlin erwiderte die freudige Begrüßung. Wie schön, ein vertrautes Gesicht zu sehen.

      »Was ist passiert?«, fragte Luisa leicht hektisch. Das war typisch für sie. Ihr schwacher spanischer Akzent kam durch, da sie erst vor wenigen Jahren von Puerto Rico hergezogen war. »Ich bin ganz durcheinander! Ich dachte, du wärst weggezogen? Ich habe dir gesimst und Nachrichten über Facebook geschickt, aber du hast nicht geantwortet …«

      »Es tut mir so leid«, antwortete Caitlin. »Ich habe mein Handy verloren, und ich hatte keine Gelegenheit, an einen Computer zu gehen, und …«

      Luisa hörte nicht zu. Gerade hatte sie Caleb bemerkt und starrte ihn wie hypnotisiert an. Ihr klappte förmlich die Kinnlade herunter.

      »Wer ist dein Freund?«, fragte sie schließlich leise. Caitlin lächelte. Sie hatte ihre Freundin noch nie so fassungslos erlebt.

      »Luisa, das ist Caleb«, stellte Caitlin vor.

      »Es ist mir ein Vergnügen«, sagte Caleb, lächelte sie an und streckte die Hand aus.

      Luisa konnte den Blick nicht von ihm lösen. Langsam hob sie die Hand. Sie war wie betäubt und offensichtlich nicht in der Lage zu sprechen. Dann warf sie Caitlin einen ungläubigen Blick zu – sie konnte nicht verstehen, wie diese sich so einen Typen geschnappt hatte. Sie betrachtete ihre Freundin mit anderen Augen, fast als wüsste sie nicht, wer sie war.

      »Ähm …«, stammelte Luisa mit weit aufgerissenen Augen, »… ähm … wie … wo … habt ihr euch denn kennengelernt?«

      Caitlin spielte ganz kurz mit dem Gedanken, Luisa alles zu erzählen. Dann musste sie innerlich lächeln. Es würde nicht funktionieren.

      »Wir sind uns … nach einem Konzert begegnet«, sagte sie stattdessen.

      Das entsprach zumindest teilweise der Wahrheit.

      »Oh mein Gott, was für ein Konzert? In New York? Von den Black Eyed Peas!?«, rief Luisa aufgeregt. »Ich bin ja so neidisch! Die möchte ich unbedingt mal auf der Bühne sehen!«

      Caitlin lächelte bei dem Gedanken an Caleb auf einem Rockkonzert. Irgendwie konnte sie sich ihn dort nicht vorstellen.

      »Ähm … nicht direkt«, antwortete sie. »Luisa, hör zu, tut mir leid, dass ich dich unterbrechen muss, aber ich habe nicht viel Zeit. Ich bin auf der Suche nach Sam. Hast du ihn vielleicht gesehen?«

      »Klar. Alle haben ihn gesehen. Er ist letzte Woche zurückgekommen. Er sah merkwürdig aus. Ich habe ihn gefragt, wo du bist und was mit ihm los ist, aber er wollte mir nichts erzählen. Wahrscheinlich pennt er draußen in dieser leeren Scheune, die er so liebt.«

      »Nein, da ist er nicht«, erwiderte Caitlin. »Wir kommen gerade von dort.«

      »Wirklich? Tut mir leid, dann weiß ich es nicht. Er ist ja erst in der zehnten Klasse, deshalb haben wir nicht viel miteinander zu tun. Hast du es schon über Facebook versucht? Er ist doch ständig online.«

      »Ich habe mein Handy nicht …«, begann Caitlin.

      »Nimm meins«, fiel Luisa ihr ins Wort. Bevor Caitlin ihren Satz beenden konnte, hatte Luisa ihr schon ihr Handy in die Hand gedrückt. »Facebook ist schon offen. Logg dich ein und schick ihm eine Nachricht.«

      Natürlich, dachte Caitlin. Warum ist mir das nicht selbst eingefallen?

      Caitlin loggte sich ein, tippte Sams Namen in das Suchfeld, rief sein Profil auf und klickte auf Nachricht. Sie zögerte kurz und überlegte, was sie schreiben sollte. Dann tippte sie ein: Sam, ich bin’s. Ich bin in der Scheune. Komm dorthin. So bald wie möglich.

      Sie drückte auf Senden und gab Luisa das Handy zurück.

      Hinter ihnen entstand ein kleiner Tumult, und Caitlin drehte sich um.

      Eine Gruppe der beliebtesten, älteren Mädchen kam direkt auf sie zu. Sie flüsterten und starrten Caleb an.

      Zum ersten Mal stieg ein neues Gefühl in Caitlin auf. Eifersucht. Sie las in den Augen dieser Mädchen, die ihr zuvor nie Beachtung geschenkt hatten, dass sie ihr Caleb nur zu gerne wegschnappen würden. Diese Mädchen konnten jeden Jungen haben, den sie nur wollten. Es spielte keine Rolle, ob er eine Freundin hatte oder nicht. Man konnte bloß hoffen, dass sie kein Auge auf den eigenen Freund warfen.

      Und jetzt hatten sie Caleb ins Visier genommen.

      Caitlin hoffte und betete, dass Caleb immun gegen ihre Macht war. Und dass er Caitlin nach wie vor mochte. Aber wenn sie es sich recht überlegte, konnte sie es sich nicht vorstellen. Sie war so durchschnittlich. Warum sollte er bei ihr bleiben, wenn Mädchen wie diese ihn unbedingt für sich haben wollten?

      Caitlin betete, dass sie einfach vorbeigehen würden. Nur dieses eine Mal.

      Aber natürlich taten sie das nicht. Ihr Herz hämmerte, als die Gruppe direkt bei ihnen stehen blieb.

      »Hi, Caitlin«, sagte eine mit vorgetäuschter Freundlichkeit.

      Tiffany. Groß, glattes blondes Haar, blaue Augen und spindeldürr. Sie war von Kopf bis Fuß mit Designerklamotten ausstaffiert. »Wer ist denn dein Freund?«

      Caitlin wusste nicht, was sie antworten sollte. Tiffany und ihre Freundinnen hatten sie bisher immer links liegen lassen und ihr nicht einmal einen Blick gegönnt. Jetzt war Caitlin ganz überrascht, dass sie überhaupt ihren Namen kannten. Und offensichtlich wollten sie ein Gespräch beginnen. Caitlin wusste natürlich, dass das nichts mit ihr zu tun hatte. Sie wollten Caleb. So sehr, dass sie sich sogar dazu herabließen, mit ihr zu sprechen.

      Das verhieß nichts Gutes.

      Caleb musste ihr Unbehagen gespürt haben, denn er trat einen Schritt näher und legte ihr den Arm um die Schulter.

      Noch nie in ihrem Leben war Caitlin für etwas dankbarer gewesen als für diese Geste.

      Mit neu entdecktem Selbstvertrauen schaffte Caitlin es, ihnen zu antworten. »Das ist Caleb.«

      »Was macht ihr denn hier?«, fragte ein anderes Mädchen. Bunny. Sie war eine Kopie von Tiffany, nur mit braunem Haar. »Ich dachte, du wärst umgezogen oder so.«

      »Nun, ich bin zurückgekommen«, erwiderte Caitlin.

      »Und du, bist du neu hier?«, fragte Tiffany an Caleb gerichtet. »Bist du in der Zwölften?«

      »Ich bin neu hier, ja«, antwortete er unverbindlich.

      Tiffanys Augen leuchteten auf, weil sie seine Antwort so interpretierte, dass er ihre Schule besuchen würde. »Super«, sagte sie. »Heute Abend gebe ich eine Party, bei mir zu Hause. Es werden nur ein paar enge Freunde da sein, aber wir hätten

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