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Homo Faber / Хомо Фабер. Книга для чтения на немецком языке. Макс Фриш
Читать онлайн.Название Homo Faber / Хомо Фабер. Книга для чтения на немецком языке
Год выпуска 0
isbn 978-5-9925-0641-9
Автор произведения Макс Фриш
Жанр Прочая образовательная литература
Издательство КАРО
Von Jeep natürlich kein Wort!
Er hatte Angst, glaube ich.
Ich rasierte mich, solange es noch elektrischen Strom gab. Herbert erzählte wieder von seinem Kaukasus, seine Schauergeschichten vom Iwan, die ich kenne; später gingen wir, da es kein Bier mehr gab, ins Kino, geführt von unserem Ruinen-Freund, der sein Palenque kannte – es gab tatsächlich ein Kino, Schopf mit Wellblechdach, wir sahen als Vorfilm: Harald Lloyd, Fassadenkletterei in der Mode der Zwanzigerjahre; als Hauptfilm: Liebesleidenschaft in den besten Kreisen von Mexico, Ehebruch mit Cadillac und Browning, alles in Marmor und Abendkleid. Wir lachten uns krumm, während die vier oder fünf Indios reglos vor der zerknitterten Leinwand hockten, ihre großen Strohhüte auf dem Kopf, vielleicht zufrieden, vielleicht auch nicht, man weiß es nie, undurchsichtig, mongolisch… Unser neuer Freund, Musiker aus Boston, wie gesagt, Amerikaner französischer Herkunft, war von Yucatan begeistert und konnte nicht fassen, dass wir uns nicht für Ruinen interessieren; er fragte, was wir hier machten.
Achselzucken unsrerseits —
Wir blickten uns an, Herbert und ich, indem es jeder dem andern überließ, zu sagen, dass wir auf einen Jeep warten. Ich weiß nicht, wofür der andere uns hielt.
Rum hat den Vorteil, dass man nicht einen Schweißausbruch hat wie nach jedem Bier, dafür Kopfschmerzen am anderen Morgen, wenn wieder der unverständliche Lärm losgeht, halb Klavier, halb Maschinengewehr, dazu Gesang – jedesmal zwischen 6.00 und 7.00 Uhr, jedesmal will ich der Sache nachgehen, vergesse es aber im Lauf des Tages.
Man vergisst hier alles.
Einmal – wir wollten baden, aber Herbert fand seinen sagenhaften Bach nicht wieder, und wir gerieten plötzlich zu den Ruinen – trafen wir unseren Künstler an seiner Arbeit. In dem Gestein, das einen Tempel vorstellen soll, glühte eine Höllenhitze. Seine einzige Sorge: kein Schweisstropfen auf sein Papier! Er grüßte kaum; wir störten ihn. Seine Arbeit: er spannte Pauspapier über die steinernen Reliefs, um dann stundenlang mit einer schwarzen Kreide darüber hinzustreichen, eine irrsinnige Arbeit, bloß um Kopien herzustellen; er behauptete steif und fest, man könne diese Hieroglyphen und Götterfratzen nicht fotografieren, sonst wären sie sofort tot. Wir ließen ihn.
Ich bin kein Kunsthistoriker —
Nach einiger Pyramidenkletterei aus purer Langeweile (die Stufen sind viel zu steil, gerade das verkehrte Verhältnis von Breite und Höhe, so dass man außer Atem kommt) legte ich mich, schwindlig vor Hitze, irgendwo in den Schatten eines sogenannten Palastes, meine Arme und Beine von mir gestreckt, atmend.
Die feuchte Luft —
Die schleimige Sonne —
Ich war entschlossen, meinerseits umzukehren: wenn wir bis morgen keinen Jeep hätten… Es war schwüler als je, moosig und moderig, es schwirrte von Vögeln mit langen blauen Schwänzen, jemand hatte den Tempel als Toilette benutzt, daher die Fliegen. Ich versuchte zu schlafen. Es schwirrte und lärmte wie im Zoo, wenn man nicht weiß, was da eigentlich pfeift und kreischt und trillert, Lärm wie moderne Musik, es können Affen sein, Vögel, vielleicht eine Katzenart, man weiß es nicht, Brunst oder Todesangst, man weiß es nicht. —
Ich spürte meinen Magen. (Ich rauchte zuviel!)
Einmal, im elften oder dreizehnten Jahrhundert, soll hier eine ganze Stadt gestanden haben, sagte Herbert, eine Maya-Stadt —
Meinetwegen!
Meine Frage, ob er eigentlich noch an die Zukunft der deutschen Zigarre glaube, beantwortete Herbert schon nicht mehr: er schnarchte, nachdem er eben noch von der Religion der Maya geredet hatte, von Kunst und Derartigem.
Ich ließ ihn schnarchen.
Ich zog meine Schuhe aus, Schlangen hin oder her, ich brauchte Luft, ich hatte Herzklopfen vor Hitze, ich staunte über unseren Pauspapier-Künstler, der an der prallen Sonne arbeiten konnte und dafür seine Ferien hergibt, seine Ersparnisse, um Hieroglyphen, die niemand entziffern kann, nach Hause zu bringen —
Menschen sind komisch!
Ein Volk wie diese Maya, die das Rad nicht kennen und Pyramiden bauen, Tempel im Urwald, wo alles vermoost und in Feuchtigkeit zerbröckelt – wozu?
Ich verstand mich selbst nicht.
Vor einer Woche hätte ich in Caracas und heute (spätestens) wieder in New York landen sollen; statt dessen hockte man hier – um einem Jugendfreund, der meine Jugendfreundin geheiratet hat, Gutentag zu sagen.
Wozu!
Wir warteten auf den Landrover, der unseren Ruinen-Künstler täglich hierher bringt, um ihn gegen Abend wieder abzuholen mit seinen Pauspapierrollen… Ich war entschlossen, Herbert zu wecken und ihm zu sagen, dass ich mit dem nächsten Zug, der dieses Palenque verlässt, meine Rückkehr antrete.
Die schwirrenden Vögel —
Nie ein Flugzeug!
Wenn man den Kopf zur Seite dreht, um nicht immer diesen Milchglashimmel zu sehen, meint man jedesmal, man sei am Meer, unsere Pyramide eine Insel oder ein Schiff, ringsum das Meer; dabei ist es nichts als Dickicht, uferlos, grün-grau, platt wie ein Ozean – Dickicht!
Drüber Vollmond lila im Nachmittag.
Herbert schnarchte nach wie vor.
Man staunt, wie sie diese Quader herbeigeschaft haben, wenn sie das Rad nicht kannten, also auch den Flaschenzug nicht. Auch das Gewölbe nicht! Abgesehen von den Verzierungen, die mir sowieso nicht gefallen, weil ich für Sachlichkeit bin, finde ich ja diese Ruinen sehr primitiv – im Widerspruch zu unserem Ruinen-Freund, der die Maya liebt, gerade weil sie keinerlei Technik hatten, dafür Götter, er findet es hinreißend, dass man alle zweiundfünfzig Jahre einfach ein neues Zeitalter startet, nämlich alles vorhandene Geschirr zerschmettert, alle Herdfeuer löscht, dann vom Tempel her das gleiche Feuer wieder ins ganze Land hinausträgt, die ganze Töpferei neuerdings herstellt; ein Volk, das einfach aufbricht und seine Städte (unzerstört) verlässt, einfach aus Religion weiterzieht, um nach fünfzig oder hundert Meilen irgendwo in diesem immergleichen Dschungel eine vollkommen neue Tempel-Stadt zu bauen – Er findet es sinnvoll, obschon unwirtschaftlich, geradezu genial, tiefsinnig (profund), und zwar im Ernst.
Manchmal musste ich an Hanna denken —
Als ich Herbert weckte, schoß er auf. Was los sei? Als er sah, dass nichts los war, schnarchte er weiter – um sich nicht zu langweilen.
Von Motor kein Ton!
Ich versuche, mir vorzustellen, wie es wäre, wenn es plötzlich keine Motoren mehr gäbe wie zur Zeit der Maya. Irgend etwas musste man ja denken. Ich fand es ein kindisches Staunen, betreffend die Herbeischaffung dieser Quader: – sie haben einfach Rampen erstellt, dann ihre Quader geschleift mit einem idiotischen Verschleiß an Menschenkraft, das ist ja gerade das primitive daran. Anderseits ihre Astronomie! Ihr Kalender errechnete das Sonnenjahr, laut Ruinen-Freund, auf 365, 2420 Tage, statt 365, 2422 Tage; trotzdem brachten sie es mit ihrer Mathematik, die man anerkennen muss, zu keiner Technik und waren daher dem Untergang geweiht —
Endlich unser Landrover!
Das Wunder geschah, als unser Ruinen-Freund hörte, dass wir hinüber nach Guatemala müssten. Er war begeistert. Er zog sofort sein Kalenderchen, um die restlichen Tage seiner Ferien zu zählen. In Guatemala, sagte er, wimmle es von Maya-Stätten, teilweise kaum ausgegraben, und wenn wir ihn mitnähmen, wollte er alles versuchen, um den Landrover zu bekommen, den wir nicht bekommen, dank seiner Freundschaft mit dem Lacroix-Wirt – und er bekam ihn.
(Hundert Pesos pro Tag.)
Es war Sonntag, als wir packten, eine heiße Nacht mit schleimigem Mond, und der sonderbare Lärm, der mich jeden Morgen geweckt hatte, erwies sich als Musik, Geklimper einer altertümlichen Marimba, Gehämmer ohne Klang, eine fürchterliche Musik, geradezu epileptisch. Es war irgendein Fest, das mit dem Vollmond zu tun hat. Jeden Morgen vor der Feldarbeit hatten sie trainiert, um jetzt zum Tanz aufzuspielen, fünf Indios, die mit rasenden Hämmerchen