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Soll und Haben, Bd. 1 (2). Gustav Freytag
Читать онлайн.Название Soll und Haben, Bd. 1 (2)
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Gustav Freytag
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
»Sie irren,« sagte der Freiherr ernst, »ich bin nicht so reich.«
»Nicht so reich?« rief Herr Ehrenthal mit sittlicher Entrüstung gegen jeden Menschensohn (den Baron ausgenommen), der so etwas behaupten könnte. »Es hängt doch nur von Ihnen ab, jeden Augenblick so reich zu sein. Wer ein Vermögen hat, wie der Herr Baron, der kann in zehn Jahren verdoppeln sein Capital ohne Gefahr. – Warum wollen Sie nicht Pfandbriefe der Landschaft auf Ihr Gut nehmen?«
Die »Landschaft« der Provinz war damals ein großes Creditinstitut der Rittergutsbesitzer, welches Capitalien zur ersten Hypothek auf Rittergüter auslieh. Die Zahlung erfolgte in Pfandbriefen, welche auf den Inhaber lauteten und überall im Lande für das sicherste Werthpapier galten. Das Institut selbst zahlte die Interessen an die Besitzer der Obligationen und erhob von seinen Schuldnern außer den Zinsen noch einen geringen Zuschlag für Verwaltungskosten und zu allmähliger Tilgung der aufgenommenen Schuld.
»Ich mache keine Geldgeschäfte,« antwortete der Freiherr stolz, aber in seiner Brust klang die Saite fort, welche der Händler angeschlagen hatte.
»Die Geschäfte, welche ich meine, sind so, wie sie heut zu Tage macht jeder Fürst,« fuhr Herr Ehrenthal mit Feuer fort. »Wenn der gnädige Herr Pfandbriefe der Landschaft aufnimmt auf sein Gut, so kann er jede Stunde erhalten funfzigtausend Thaler in gutem Pergament. Sie zahlen dafür der Landschaft vier vom Hundert, und wenn Sie die Pfandbriefe liegen lassen in Ihrer Casse, so erhalten Sie davon Zinsen drei und ein halb vom Hundert. Dann zahlen Sie ein halbes Procent zu an die Landschaft, und durch das halbe Procent wird noch amortisirt das Capital.«
»Das heißt Schulden machen, um reich zu werden,« warf der Gutsherr achselzuckend ein.
»Verzeihen Sie, Herr Baron, wenn ein Herr wie Sie funfzigtausend Thaler liegen hat, welche ihn jährlich kosten ein halbes Procent, so kann er damit kaufen die halbe Welt. Immer giebt es Gelegenheit, Güter zu erwerben zu einem Spottpreise, wenn man baar Geld oder Pfandbriefe hat zu rechter Zeit. Da sind Rittergüter, da sind Waldungen, die man kann kaufen, oder Antheile von Bergwerken, oder Actien von einer soliden Societät. Oder der Herr Baron können selbst anlegen ein Etablissement auf Ihrem Gut, wenn Sie wollen schaffen Zucker aus Rüben, wie der Herr v. Bergen am Gebirge, oder amerikanisches Mehl, wie der Herzog von Löbau, oder bairisches Bier, wie Ihr Nachbar, der Graf Horn. Was ist dabei für eine Gefahr? Sie werden einnehmen zehn, zwanzig, ja funfzig Thaler vom Hundert des Capitals, das Sie geliehen haben von der Landschaft zu vier vom Hundert.«
Der Freiherr sah nachdenklich vor sich hin. Was ihm der Händler sagte, war durchaus nichts Neues und Unerhörtes, er selbst hatte oft Aehnliches gedacht. Es war gerade die Zeit, wo eine Menge von neuen industriellen Unternehmungen aus dem Ackerboden aufschossen, wo durch die hohen Schornsteine der Dampfmaschinen, durch neuentdeckte Kohlen- und Erzlager, durch neue landwirthschaftliche Culturen große Summen erworben und noch größere Reichthümer gehofft wurden. Die vornehmsten Grundbesitzer der Landschaft standen an der Spitze ausgedehnter Actienunternehmungen, welche auf einer Verbindung moderner Industrie und des alten Ackerbaues beruhten. Es war nichts Neues und Auffallendes in den Worten des Händlers, und doch schlugen sie als zündender Blitz in die Seele des Freiherrn. Sie kamen im rechten Augenblick. Herr Ehrenthal bemerkte die Wirkung, welche er hervorgebracht hatte, und schloß mit der Gemüthlichkeit, welche seine Lieblingsstimmung war: »Wo habe ich das Recht, einem Herrn, wie Sie sind, einen Rath zu geben? Aber jeder Gutsbesitzer muß sagen dasselbe, daß ein solches Geschäft mit Pfandbriefen in unserer Zeit die solideste Art ist, wie ein vornehmer Herr kann sorgen für seine Kinder. Wenn einst das Gras wachsen wird über dem Grabe des alten Ehrenthal, dann werden Sie an mich denken und bei sich sagen: der Ehrenthal war nur ein einfacher Mann, aber er hat mir gerathen, was gut war und ein Segen für die Familie.«
Der Freiherr sah immer noch vor sich hin. Was er lange in sich herumgetragen hatte, das war auf einmal zum festen Entschluß geworden. Dem Händler sagte er mit einer Leichtigkeit, die ihm nicht vom Herzen kam: »Ich will mir's überlegen.« Ehrenthal war damit zufrieden und bat um die Erlaubniß, sich den Damen empfehlen zu dürfen, was er als Mann von Welt und Gemüth selten unterließ.
Es war Schade, daß der Freiherr nicht das Gesicht des Geschäftsmannes sah, als dieser in seinen Wagen stieg und mechanisch die Bourbonrose in's Knopfloch steckte, welche ihm Lenore beim Abschiede mit schalkhafter Artigkeit überreicht hatte. Auch Herr Ehrenthal machte ein lustiges Gesicht, aber nicht aus Freude über die volle Rose. Er ließ den Kutscher langsam durch die Feldmark fahren und sah wohlgefällig auf die Ackerstücke, welche mit reifender Frucht zu beiden Seiten des Weges lagen. In langem Zuge kamen die Heuwagen des Gutes ihm entgegen. So oft er still hielt, um einen Riesenwagen vorbeizulassen, berupften seine Pferde das Heu, und sein Kutscher drehte sich um und rief schnalzend: »Schönes Futter!«
»Ein schönes Gut,« sagte dann Herr Ehrenthal in tiefem Nachdenken.
Unterdeß saß die Baronin in einer Gartenlaube und blätterte in den neuen Journalen, welche der Buchhändler aus der nächsten Kreisstadt zugeschickt hatte. Sie betrachtete prüfend die Modekupfer und genoß die kleinen Nippes der Tagesliteratur: Geschichten von Menschen, welche auf außerordentliche Weise reich geworden, und von andern, welche auf schauderhafte Weise ermordet sind, Tigerjagden aus Ostindien, ausgegrabene Mosaikböden, rührende Schilderungen von der Treue eines Hundes, hoffnungsreiche Betrachtungen über die Unsterblichkeit der Seele, und was sonst das flüchtige Auge eleganter Damen zu fesseln vermag. Die schöne Gemahlin des Freiherrn schaukelte während des Lesens die gestickte Fußbank, ihre Seele war nur halb in den Blättern, sie sah oft über den Rasenplatz nach ihrer Tochter, welche wieder mit dem Pony beschäftigt diesem aus Blumen und Zeitungspapier eine groteske Halskrause und eine gehörnte Mütze zurecht machte, was der Pony vergebens dadurch zu vereiteln suchte, daß er so viel Blüthen und Zeitungspapier wegfraß, als er mit dem Maul erreichen konnte. Als die junge Dame, stolz auf ihr Werk, den Kopf nach der Laube wandte und das Auge der Mutter auf sich gerichtet sah, überließ sie das Pferd dem herzueilenden Bedienten und flog wie eine Libelle zu den Füßen der Mutter. Sie setzte sich auf die Fußbank, zog die Journale auf das Knie der Baronin, und fing an, sich possenhaft mit den Herren und Damen der Modekupfer zu unterhalten. Da die Gesichter dieser Ideale, wie bekannt, den Vorzug haben, allen Menschen ähnlich zu sehen, von denen sie sich durch einzelne charakteristische Eigenheiten, durch merkwürdig kleine Lippen und zuweilen durch ein auf der Stirn oder dem Backen sitzendes Auge unterscheiden, so wurde der jungen Dame nicht schwer, zahlreiche Aehnlichkeiten mit Bekannten des Hauses aufzufinden und die Bilder danach zu behandeln. Die Mutter lächelte über die kindischen Scherze der Tochter und sagte endlich, ihre Gedanken laut fortsetzend: »Lenore, du wirst jetzt ein großes Mädchen und bist noch so sehr Kind. Wir haben dich aufwachsen lassen bei dem Unterricht der Bonne und des Candidaten; es wird Zeit, daran zu denken, daß du etwas Ordentliches lernst, mein armes Kind.«
»Ich dachte, das Lernen sollte jetzt aufhören,« antwortete Lenore schmollend.
»Deine französische Aussprache ist noch schlecht, und dein Vater will, daß du dich im Zeichnen übst, du hast Anlage dazu.«
»Ich zeichne nur Karrikaturen,« rief Lenore, »die sind am leichtesten, man macht eine lange Nase oder kurze Beine, und das Kerlchen sieht lächerlich aus.«
»Du sollst nicht Karrikaturen zeichnen,« sprach die Mutter, »das verdirbt deinen Geschmack und macht dich spöttisch.« Lenore ließ das Köpfchen hängen. »Und wer war der junge Mann, mit dem du vorhin durch den Garten gingst?« fuhr die Mutter strafend fort. »Du hast ihm die Erdbeeren des Vaters gegeben.«
»Schilt nur nicht immer, liebe Mutter,« rief die Tochter erröthend. »Der Fremde war ein hübscher artiger Junge, er geht nach der Hauptstadt, er hat weder Vater noch Mutter, das that mir leid. Und so bescheiden war er! Sei mir nicht böse,« schmeichelte sie