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Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн.Название Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Gerstäcker Friedrich
Жанр Книги о Путешествиях
Издательство Public Domain
Don Morelos, der bei der ersten Berührung förmlich zusammenzuckte, erholte sich doch schnell wieder und einige Mal jetzt mit raschen Schritten im Zimmer auf und ab gehend, schien er endlich in der gewaltigen, freudigen Aufregung des Augenblicks seine Sinne soweit gesammelt zu haben, die Gedanken auf den einen, für sie jetzt wichtigsten Punkt zu bringen. Er theilte nun dem aufmerksam lauschenden Freunde mit, daß er in dem Eckzimmer jenes kleinen Gebäudes, in welchem er mehrere Monate seines ersten Aufenthalts in Buenos-Ayres gewohnt, unter ein paar genau bezeichneten Steinen einen Beutel mit Unzen verborgen habe, die für die nächste Zeit alle ihre Bedürfnisse reichlich decken und ihre Passage nach irgend einem Theil der Welt bezahlt haben würde. Gelang es ihnen, sich, und sei es auch nur auf einen einzigen Tag, in ungestörten Besitz des Zimmers zu setzen, so hatten sie was sie brauchten, alle ihre Pläne in Ausführung zu bringen, und Stierna selbst, bis zu krankhafter Erregung getrieben, verließ den Spanier, den erhaltenen Auftrag so rasch als möglich auszuführen.
Vorerst suchte er das bezeichnete Haus in der Calle Piedras auf, und fand es zu seiner Freude unbewohnt; der Wirth, zugleich Eigenthümer einer Pulperia oder Schenkwirthschaft, machte erst Schwierigkeiten, da er schon in nächster Woche dort oben gleichfalls ein Schenkhaus für agua ardiente und caña anlegen wollte, als ihm aber Stierna selbst für die eine Woche einen guten Miethzins bot, indem er vorgab, die gegenüberliegenden Häuser im Auftrag ihres Eigenthümers abzeichnen zu wollen, verstand er sich dazu, und der junge Doktor schaffte noch an demselben Abend eine Staffelei mit dem nöthigen Zeichnen- und Malapparat in die glücklich gewonnene Stube.
2
Die Flucht
Zwei Tage später waren alle nöthigen Vorbereitungen getroffen; Stierna hatte das Gold gefunden und glücklicher Weise lag gerade ein deutsches Fahrzeug im Hafen, das am nächsten Morgen, mit Tagesanbruch segeln wollte. Es war nach Valparaiso bestimmt, wollte aber erst noch einmal Monte-Video anlaufen, um dort einige Passagiere an's Land zu setzen, und da Rosas Gewalt nicht bis zu diesem Orte reichte, ein Flüchtling der Argentinischen Republik jedoch mit offenen Armen dort empfangen wurde, akkordirte er zwei Plätze nach dieser Stadt, und schaffte durch die Gefälligkeit des Capitains unterstützt, der ihm die eigenen Leute dazu borgte, mit einbrechender Dunkelheit was er hatte aus seiner Wohnung an die Landung, wo es von dem Kapitain selber in Empfang genommen, für seine eigenen Effekten ausgegeben, und an Bord gebracht wurde. Zu gleicher Zeit hatte er sich eine kleine Strickleiter zu verschaffen gewußt, die der junge Spanier unter seine Matratze verbergen mußte, die Stäbe waren ebenfalls bald durchgefeilt, und es galt jetzt nur noch, nach zehn Uhr, wenn die Revision vorbei war, die beiden Schildwachen vorn am Hause auf kurze Zeit zu beschäftigen, wozu Stierna ebenfalls die beste Gelegenheit hatte und benutzte.
Unten in der Wohnung, in einer der festen Zellen, lag ein Rasender an Ketten, tobend, bis ihm die fast herkulischen Kräfte versagten, und schwach und lenksam wie ein Kind für die kurze Zeit der Rast, bis die erschöpften Sehnen wieder neues Leben, und dadurch die in ihm gährende Wuth auch, wie es schien, neue Nahrung fand. Die Erinnerung an irgend etwas Bestimmtes schien er verloren zu haben – er ras'te eben blos, nur Rosas Name durfte nicht in seiner Gegenwart genannt werden, wenn man nicht fürchten wollte, daß er selbst diese furchtbaren Banden zerriß, die ihn fast zu Boden drückten. – Seine Zähne knirschten dann über einander, als ob sie zersplittern müßten, der weiße Schaum trat ihm auf die Lippen, und die Augen quollen förmlich aus ihren Höhlen. Es ging ein dumpfes Gerücht im Haus, daß dem Mann, durch die Mashorqueros des Diktators vor seinen Augen und in wenigen Minuten fünf erwachsene Söhne abgeschlachtet wären, aber man murmelte das mehr als einen Vorwurf für den Alten, daß er solch alltäglichen Falles wegen den Verstand verloren, da ihm Rosas noch dazu den Kopf dafür gelassen, – gegen die That selber wagte Niemand ein Wort zu äußern.
Dieser Unglückliche hatte sich an dem einen Handgelenk wundgescheuert, und Stierna, dem schon an diesem Morgen der Auftrag geworden, die Kette abzunehmen und anders zu befestigen, verschob dies als eine, seinem Plan vollkommen günstige Gelegenheit bis zum Abend. Vor Dunkelwerden mußte er das allerdings vornehmen lassen, fand aber noch eine Ausrede in dem ihm gefährlich dünkenden Zustand des Alten, das Abnehmen der Ketten, das ihn wieder aufregen konnte, hinauszuschieben, und rief nun, als er die Zeit für passend hielt und dem Freund das verabredete Zeichen gegeben, die beiden Schildwachen nach vorn zum Haus, dort zur Hülfe bereit zu sein, wenn der Unglückliche, mit dem sie es hier zu thun hatten, vielleicht gerade dann einen seiner Wuthanfälle bekommen sollte. Sämmtliche Wärter der Anstalt interessirten sich ebenfalls für den Alten, der im ganzen Haus nur den Namen el bruto führte, und wer nicht um ihn wirklich beschäftigt war, drängte sich doch in den Gang, zu sehen, wie sich »das Thier« benehmen würde.
Don Morelos ließ indeß die Zeit nicht unbenutzt vorbeigehen – rasch waren die, schon lange durchgefeilten Eisenstäbe ausgebrochen, und mit der Gewandtheit einer Katze glitt er an der schwanken Leiter nieder, schlich zu dem Kaktuszaun, schnitt sich hier mit einem großen Argentinischen Messer, das ihm Stierna ebenfalls verschafft hatte, die Bahn ins Freie, und war wenige Minuten später in der Dunkelheit verschwunden.
Der Schwede hatte indessen die Kette von dem Arm des Unglücklichen nehmen lassen, und die Wunde am Knöchel verbunden, – der Tolle saß auch ruhig dabei, und ließ Alles geduldig mit sich geschehen, neugierig nur starrte er auf die Gesichter der Umstehenden, und es war fast, als ob er in dem Chaos seiner Erinnerungen vergebens nach ähnlichen Zügen suche. Zwei Männer hatten ihn, trotz dem Eisen an den Füßen, halten sollen, da er sich aber so ganz ruhig verhielt, ja so schwach schien, daß er kaum im Stande war, aufrecht zu sitzen, ließen sie die umklammerten Arme los und lehnten seinen Oberkörper an ihre Knie.
Die Wunde war indessen ausgewaschen, fing aber wieder frisch zu bluten an, und Stierna wickelte das mit einer kühlenden Salbe bestrichene Leinen darum, die Blutung zu stillen. Jenes furchtbare, nichtssagende todte Lächeln schwebte dabei um die Lippen des Unglücklichen und zuckte in seinen Wimpern, – der Schmerz des Verbindens machte ihn zuerst aufmerksam auf seinen Arm, und in dem nämlichen Moment fast quoll das Blut durch die Leinwand und färbte diese.
Die Wirkung war entsetzlich, und ehe die hinter ihm Stehenden nur so weit die verlorene Besinnung wieder gewannen, zuzugreifen, hatte sich der, noch vor wenigen Minuten fast hülflose Greis emporgeschnellt, und mit dem tollen Aufschrei »Blut! – Blut! – Das war der erste!« – warf er sich auf einen der Wärter, der die Lampe hielt und schlug ihm, wie ein wildes Thier im Ansprung, die Zähne in die Brust.
»Hülfe!« schrie der Arme, ließ die Lampe fallen und stürzte rückwärts zu Boden nieder – »Hülfe! Erbarmen!« aber der Rasende hatte ihn zu fest und sicher gepackt, und vergebens warfen sich die Wärter jetzt auf ihn, ihn fortzureißen, vergebens schlug ihn Einer derselben, als jede andere angewandte Gewalt nutzlos blieb, mit seiner eigenen Kette auf die Stirn, daß er betäubt zusammenbrach. Die Zähne ließen nicht los, bis sie das Fleisch, das sie gefaßt, vom Körper trennten, und jetzt, an allen Gliedern wieder gefesselt, wurde der noch immer Bewußtlose, mit schnell umgelegten Verbande, in seine Zelle zurückgeschleift.
Stierna mußte jetzt erst noch den schwer verwundeten Wärter verbinden, und dann dem finsteren Schreckenshaus, das noch in seiner letzten Scene so furchtbare Erinnerung für ihn bewahren sollte, ein leises, aber aus innerster Brust kommendes Lebewohl zurufend, warf er sich auf sein draußen angebunden stehendes Pferd, und trabte rasch die Straße hinab, dem inneren Stadttheile zu, wo er seinen jungen Freund an einem, ihm genau bezeichneten Ort schon zu finden hoffte.
Während die Wärter in dem Irrenhaus mit dem Tollen rangen, sprang die Straße hinunter, den Schlamm nicht achtend, der um sie her spritzte, eine dunkle Gestalt mit bleichen, fast geisterhaften Zügen; der Straße Santa Rosa folgend, bog sie erst in die von Santa Clara ein, und vollkommen mit der Lokalität des Platzes bekannt, wie es schien, mäßigte sie erst ihren Schritt, als sie sich einem großen dunklen Gebäude näherte, das die Ecke dieser und der Calle Lima bildeten. In den langen Pancho gehüllt, drückte sie sich, diesem gegenüber, in den dunklen Schatten eines anderen hohen Hauses, von den Vorübergehenden oft und neugierig angestarrt, aber ohne ihrer zu achten, ja vielleicht ohne sie zu bemerken, und blickte, das Antlitz jetzt total