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in ihren Grundzügen immer gleich blieb, dürfte es auch nicht immer bei der platonischen Dienstfertigkeit geblieben sein, was auch Wolfram andeutet, als er von Plippalinots Töchterlein schalkhaft versichert:

      »Sie hätt' ihm Minne wohl gewährt,

      Wenn Minn' er von der Maid begehrt!«

      Den Gast begrüsste die Burgfrau mit einem Kuss.28 Im Nibelungenlied heisst Markgraf Rüdeger von Bechelaren seine Frau und Tochter die Gäste mit Küssen bewillkommnen.29 Der »blôze ritter« besagt:

      »Sin tohter und sin vrouwen

      Hierz er in kussen ze hant.«30

      Vom Küssen zu Handgreiflichkeiten war seit jeher nur ein kurzer Weg. »Das Mädchen, das sich küssen lässt, geht auch bald ins Bett«, lautet ein altes Sprichwort, das auch im frühen Mittelalter volle Geltung besass. Die Mädchen waren meistenteils gar nicht scheu, im Gegenteil, sie benahmen sich oftmals viel ungezwungener als die Herren. Der reine Thor Parzival verkriecht sich rasch im Bette, als Jungfrauen zu ihm ins Schlafgemach kommen:

      »Geschwind sprang der behende Mann

      Aufs Bette und deckte sich zu.«31

      Alle waren freilich nicht so schamhaft, und es fehlte durchaus nicht an grobkörnigen Gesellen, denen ebenso jedes Feingefühl mangelte, wie den vornehmen Damen, mit denen sie es zu thun hatten. Ritter Gawan betritt kaum die Burg des Königs Vergulaht, dessen jungfräuliche Schwester Antikonie ihn mit dem Willkommenkuss empfängt, als er ihr schon mit handgreiflichen Zärtlichkeiten zu Leibe rückt, in welch löblichem Thun er nur durch den Eintritt eines Ritters unterbrochen wird.32 »Diese derbsinnliche Manier, um Liebe zu werben, hat für uns etwas Anstössiges. Nach den Schilderungen aus der damaligen Zeit scheint jedoch ein derartiges Benehmen sehr natürlich gefunden worden zu sein«33, denn die Frauen kamen allenthalben den Rittern auf halbem Wege entgegen, ja boten sich nicht selten selbst an, wie der Kürnberger versichert, oder wie die Tochter des Galagandreiz dem Lanzelot vom See in Ulrich von Zazikhofens Gedicht, die dem Liebhaber sogar einen goldenen Ring zum Lohne verspricht. Die tugendhafte Meliûr schleicht nachts zu dem ihr völlig unbekannten Partonopier, einem dreizehnjährigen Knaben, und »Sie wurden dô gescheiden Von ir magetuome«.34 In Gottfried von Strassburgs Tristan kommt die Prinzessin Blancheflur zu Rivalin, um ihm ihre Jungfräulichkeit zu überlassen.35 Hatte die Tochter des Burgherrn ihren Geliebten bei sich, war sie gutmütig genug, auch für das Gefolge ihres Liebsten zu sorgen und ihre Damen zu bestimmen, den Freunden ihres Galans Gesellschaft zu leisten. Isolde stellt es den Genossen Tristans frei, zwischen ihren beiden Begleiterinnen Brangane oder Gymêle zu wählen. Grosse Herren hatten es noch leichter, ihnen war jeder nur zu gern gefällig. Als der Landgraf Ludwig von Thüringen einem Tanze zusieht und ein besonders schönes Mädchen sein Wohlgefallen erregt, erbietet sich sofort einer der Anwesenden, ihm die Gunstbezeugung der Schönen zu verschaffen. Und wie er ein anderes Mal Verwandte besucht, wird ihm ein junges Weib: »Geworfen in sîn bette dar«36. In dieser Naivität findet sich vielleicht der Nachhall jener uralten, von Chaldäa ausgegangenen und von allen Urvölkern des Altertums geübten Sitte der gastlichen Prostitution. Der Hausherr wähnte in dem Gaste einen Gesandten des Himmels, dem er sein Hab und Gut zur Nutzniessung anbot, darunter auch seine Frau und seine Töchter. Auch die Bibel ist voll von Beispielen der gastlichen Prostitution bei den Hebräern, die vielfach den fremden Gast als Engel ansahen.37 Wenn wir Murner glauben dürfen, findet sich noch im 16. Jahrhundert die gastliche Prostitution vor. »Es ist in dem Niderlande auch der bruch, so der wyrt ein lieben gast hat, daz er jm yn frow zulegt uff guten glouben.« In abgeschiedenen Gegenden Russlands soll sich dieser Brauch bis zum heutigen Tage erhalten haben.

      Es lassen sich aus den Dichtwerken jener Übergangsperiode von der Dämmerung zum Morgenrot noch eine grosse Blütenlese von Scenen anführen, die wertvolle Fingerzeige über die geltenden Anstandsbegriffe geben. Noch kämpft die angestammte Roheit gegen eine vom Auslande eingeführte Überfeinerung, die wie ein dem knorrigen Stamme okuliertes Reis nur langsam mit diesem verwächst. Hand in Hand mit der ursprünglichen Ungeniertheit ging nun eine affektierte, dem innersten Wesen fremde, gesuchte und daher lächerliche Zimperlichkeit. Lächerlich ist es, wenn Damen sich ohne Scheu vor dem Knappen im Naturkostüme zeigen, aber verlangen, dass eben dieser Knappe vor ihnen nicht anders als mit Unterkleidern versehen erscheinen sollte, da irgend ein Zufall eine ärgerliche Entblössung seines Körpers im Gefolge haben könnte38, wie das recht öde, aber sittengeschichtlich wertvolle Lehrgedicht »Der welsche Gast« empfiehlt.

      »Der welsche Gast« ist seinem Inhalte nach so eine Art anticipierter Knigge, ein Vademekum des mittelalterlichen »Guten Tones in allen Lebenslagen«, das mit anderen Büchern gleichen Inhaltes, wie Winsbeke und Winsbekin, viel verbreitet, aber ebensowenig befolgt wurde, wie die geschraubten Machwerke gleicher Tendenz in unserer Zeit. Man lebte trotz dieser Vorschriften in jenem seltsamen Gemengsel von Überfeinerung und Roheit, das in seiner Bizarrerie die extremsten Formen zeitigte. Hier Schamhaftigkeit, die den Anblick blosser Füsse einer Frau zum todeswürdigen Verbrechen für beide Teile stempelte, dort die naivste Zurschaustellung des entblössten Körpers vor dem Diener und Unfreien. Hier freie Liebe, dort exaltierte Prüderie.

      Ein solch eigenartiges Gemisch von Rohheit und Courtoisie spricht sich auch in dem aus Frankreich eingewanderten Gebrauche aus, mit dem getragenen Hemd der Geliebten über der Rüstung in den Kampf zu ziehen und das zerstochene Wäschestück der Angebeteten wieder zu Füssen zu legen, die es zum Danke für »die Aufmerksamkeit« sofort und ungereinigt wieder in Gebrauch nimmt, wie dies Herzeloyde, Parzivals Mutter, und ihr Gatte Gamuret thun.39 Aus dieser Sitte, die zweifellos bestanden hat, entwickelte sich in der Folgezeit der Gebrauch, dass nach der Trauung der Bräutigam das vom Körper der Braut noch warme Hemd anlegte und umgekehrt, wie dies im 16. Jahrhundert z. B. in Berlin-Cölln allgemein war. In den folgenden Säculen schrumpfte der Hemdenwechsel zu dem Hemdengeschenk ein; Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts beschenkte nur noch die Verlobte den Bräutigam mit dem »Bräutigams-Hembde«.40

      In den Minnesängen der ritterlichen Dichter finden sich zahllose Gedichte, die über den empfangenen Minnelohn hoher Geliebten quittieren, daneben aber auch viele, die gleichzeitig lustige Bemerkungen über die weibliche Leichtfertigkeit nicht zu unterdrücken vermögen. Dann und wann zieht zur Abwechslung wieder einer der Zeitgenossen über die Männer her, die den Frauen die allerschlechtesten Beispiele gaben, so Freidank:

      »Wenn einen Fehltritt Fraun gethan

      Des Mannes Bitt war Schuld daran

      Auch ein Mann dasselbe thäte,

      Wenn man ihn so innig bäte«

      sagt er sehr richtig, schränkt aber seine Meinung wieder dahin ein:

      »Das Weib man immer bitten soll,

      Ihr aber stehts Versagen wohl.«

      Besonders schlecht ist ein elsässischer Bischof auf die Männer zu sprechen. Buhlerei und Ausschweifungen gelten nach ihm nicht mehr als Vergehen, denn die meisten Männer werten die Frau nicht höher als einen Becher Wein, ihr Ross, ihr Federspiel oder ihre Meute.

      Selbstredend gab es wie unter den Männern jener Zeit, so auch unter den Frauen Ausnahmen, die von unverbrüchlicher Gattentreue bis über das Grab hinaus, von echter Frömmigkeit und von einer Himmelssehnsucht zeugen, die blind gegen alles Irdische nur für das Jenseits lebte und die Vorbereitung für das ewige Leben als einzigen Daseinszweck betrachtete. Die heilige Elisabeth stand mit ihrem asketischen Leben, aus dem selbst das Bad als frivoles Vergnügen verbannt war, keineswegs

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<p>28</p>

Parzival 405. 15.

<p>29</p>

Dieffenbacher, Deutsches Leben im 12. Jahrh., 161 ff.

<p>30</p>

Hagen, Gesammtabenteuer, II. 129.

<p>31</p>

Parzival 243. 28 ff., 166. 21 ff., 167. 30. Wolfdietrich 1386.

<p>32</p>

Parzival 405 ff.

<p>33</p>

Bartsch, cit. bei Pannier, Parzival.

<p>34</p>

Konrad von Würzburgs »Partonopier und Meliûr«, 1227 ff.

<p>35</p>

Tristan, herausgegeben von Massmann, S. 33 ff.

<p>36</p>

Leben der heiligen Elisabeth, 3161 ff. u. 3360.

<p>37</p>

U. a. 1. Buch Mosis 19. 8 u. 14.

<p>38</p>

Welsche Gast von Thomasin von Zircläre 457.

<p>39</p>

Parzival 101. 10 ff., 111. 22 ff.

<p>40</p>

Streckfuss, 500 Jahre Berliner Geschichte, S. 35, und Schultz, Alltagsleben e. d. Frau zu Anfang des 18. Jahrh., S. 109.