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Synnöve Solbakken: Erzählung. Bjørnstjerne Bjørnson
Читать онлайн.Название Synnöve Solbakken: Erzählung
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Bjørnstjerne Bjørnson
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Eine Weile darauf saß Ingebjörg im Zimmer. Thorbjörn kleidete sich an, der Vater ging wieder auf und nieder, trank von Zeit zu Zeit ein wenig Wasser, aber die Hand zitterte ihm so, daß das Wasser über den Rand der Tasse floß und auf den Boden platschte. Aslak kam nicht zurück, und nach einer Weile schickte sich Ingebjörg an, hinauszugehn. – »Bleib hier,« sagte er in einem Ton, als spräche er nicht mit ihr, und sie blieb. Aber nach einiger Zeit ging er selber hinaus. Er kam nicht wieder. Thorbjörn nahm sein Buch und las unablässig ohne aufzusehn, obwohl er nicht einen einzigen Satz verstand.
Etwas später, am Vormittag, war das Haus wieder in seiner alten Ordnung, obgleich alle ein Gefühl hatten wie nach einem fremden Besuch. Thorbjörn wagte sich endlich hinaus, und der erste, der ihm an der Tür begegnete, war Aslak, der all sein Hab und Gut auf einen Schlitten gepackt hatte; der Schlitten aber gehörte Thorbjörn. Thorbjörn starrte ihn an, denn er sah schrecklich aus. Das Blut war ihm im Gesicht festgeklebt, und alle seine Kleider waren mit Blut beschmutzt. Er hustete und griff sich oft nach der Brust. Eine Weile sah er Thorbjörn schweigend an, dann rief er heftig: »Ich kann deine Augen nicht ausstehn, Junge!« – Damit spreizte er die Beine über den Schlitten, setzte sich und fuhr bergab. – »Du kannst sehn, wie du deinen Schlitten wiederkriegst!« sagte er und lachte, indem er sich noch einmal umwandte und ihm die Zunge ausstreckte. So zog Aslak von dannen.
Aber in der Woche, die nun folgte, kam der Vogt nach Granliden. Der Vater war oft abwesend, die Mutter weinte, und auch sie war mehrmals fort. »Was ist nur, Mutter?« – »Ach, Aslak ist an allem schuld.«
Und dann eines Tages ertappten sie die kleine Ingrid, wie sie dasaß und sang:
»O du glückselige Welt,
Nun bist du mir ganz vergällt.
Das Mädel streckt den Fuß hervor,
Der Junge ist ein blöder Tor,
Die Mutter Wassersuppen braut,
Der Vater liegt auf der Bärenhaut.
Die Katze ist noch die klügste im Haus,
Sie leckt den Rahm im Topfe aus.«
Es wurde ein Verhör angestellt, wo sie das Stück Lied her hätte. Ja, sie hatte es von Thorbjörn gehört. Dieser wurde sehr ängstlich und sagte, Aslak habe es ihn gelehrt. Da erhielt er denn den Bescheid, daß er, wenn er selber solche Lieder sänge oder sie der Schwester beibrächte, sich auf eine Tracht Prügel gefaßt machen könne. Kurz darauf fing die kleine Ingrid an zu fluchen. Thorbjörn wurde abermals ins Verhör genommen, und Sämund meinte, es würde wohl das beste sein, wenn er gleich die Rute bekäme; aber er weinte und gelobte heilig und teuer, sich zu bessern, so daß er diesmal mit der Angst davonkam.
Am nächsten Sonntag, wo gepredigt wurde, sagte der Vater zu ihm: »Heute sollst du keine Gelegenheit haben, daheim Unheil anzustiften, du kannst mich in die Kirche begleiten.«
2
Die Kirche steht in den Gedanken des Bauern auf einer hohen Stelle und ganz für sich, weihevoll, die Feierlichkeit der Gräber ringsumher, den lebendigen Gottesdienst drinnen. Es ist das einzige Haus im ganzen Tal, worauf er Pracht verwandt hat, und ihr Turm ragt deswegen auch etwas höher empor, als er zu ragen scheint. Ihre Glocken begrüßen ihn schon aus der Ferne auf seinem Gange durch den klaren Sonntagmorgen, und er lüftet immer die Mütze, wenn er sie hört, als wollte er sagen: »Dank für das letztemal!« Es besteht ein Bündnis zwischen ihm und ihnen, das niemand kennt. In frühester Kindheit stand er wohl in der offnen Tür und lauschte ihrem Klang, während die Kirchgänger in stillem Zuge unten auf dem Wege vorübergingen; der Vater schloß sich ihnen an, aber er selbst war noch zu klein. Er verband damals mancherlei Vorstellungen mit diesem schweren, vollen Ton, der eine oder auch zwei Stunden die Herrschaft zwischen den Bergen hatte und von einer Felswand zur andern widerhallte; eins aber war unzertrennlich von diesem Getön: reine, neue Kleider, geschmückte Frauen, geputzte Pferde mit blitzendem Geschirr.
Und wenn sie dann eines Sonntags über seinem eignen Glück läuten und er selber in funkelnagelneuen, aber viel zu großen Kleidern gesetzt an der Seite des Vaters einhergeht und das erstemal dahin soll – ja, dann liegt Freude und Jubel in ihrem Klange. Da öffnen sie ihm die Türen zu alledem, was er nun zu sehn bekommen soll! Und auf dem Heimwege, wenn sie über seinem Haupte dröhnen, das noch schwer und wirr ist von dem Gesang, der Messe, den Worten der Predigt, die auf ihn eingedrungen und wieder verdrängt worden sind von alledem, was das Auge zugleich aufgenommen hat: die Altartafel, die Trachten, alle die Menschen – da wölben sie sich ein für allemal über alle diese Eindrücke und geben der kleinern Kirche, die er fortan in seinem Innern trägt, die rechte Weihe.
Ist er ein wenig älter geworden, so muß er auf den Bergen das Vieh hüten; wenn er aber an einem schönen, taufrischen Sonntagmorgen so auf dem Felsblock sitzt, das Vieh zu seinen Füßen, und hört, wie die Kirchenglocken das Herdengeläute übertönen, da wird ihm ganz wehmütig ums Herz. Denn mit ihnen tönt etwas Lichtes, Leichtes, Lockendes zu ihm herauf, der Gedanke an die Bekannten bei der Kirche, an die Freude, wenn man da ist, und die noch größere, wenn man dagewesen ist, an das gute Essen daheim, an den Vater, die Mutter, die Geschwister, an das Spiel auf der Wiese an fröhlichen Sonntagabenden – und das kleine Herz wird ganz aufrührerisch in der Brust. Aber seine Gedanken kehren doch immer wieder zu den Kirchenglocken zurück, die zu ihm heraufschallen; er sinnt nach und