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Onnen Visser. Sophie Worishoffer
Читать онлайн.Название Onnen Visser
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Sophie Worishoffer
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
»Herrgott, Kind!«
»Schadet ja nicht, Vater! Ich mußte euch um jeden Preis warnen; seht, ihr könnt die Waren auf keinen Fall in das Dorf bringen – überall stehen Wachtposten.«
Diese Nachricht fiel wie ein Stein auf die Herzen der Männer; ein lähmendes Schweigen folgte den Worten des Knaben.
»Ganz umstellt ist das Dorf?« fragte endlich der Kapitän.
»Ganz umstellt.«
»Und wo haben die Franzosen Quartier genommen?«
»Im Badehause. Das ganze Dorf ist auf den Beinen – dreihundert Betten mußten noch vor Abend abgeliefert werden, sechshundert Handtücher, Kochgeräte, Stroh, Brennmaterial – der alte Amtsvogt war so außer sich, daß er weinte.«
»Und er hat dich zu uns geschickt, Onnen, mein Junge?«
»Nein, Vater, ich schlich mich heimlich fort, als die Wachtposten alle Straßen besetzten. Die ›Taube‹ muß gewendet werden und bis zur Wattgrenze gehen, – dann bringen wir in meinem Boot die Waren aufs Land und in die Dünen.«
»Wo der nächste Regen alles verdirbt! – das gibt möglicherweise einen Schaden von Tausenden.«
»Ihr müßt Fischernetze darüber legen, alte Segel und dergleichen. Es ist ja doch alles bestimmt, um über das Watt nach Hilgenriedersiel und von dort in das Binnenland zu wandern, nicht wahr?« »Bis auf das, was wir hier an Ort und Stelle brauchen, ja. Kornelius Houtrouv in Emden hat die ganze Ladung der ›Queen Elizabeth‹ gekauft, sie liegt auf Baltrum sicher geborgen – und nun müssen uns die Franzosen den Weg abschneiden.« »Der Teufel hole sie alle!«
Wieder folgte ein längeres Schweigen, dann sagte endlich der Kapitän: »Nun, Kinder, wir müssen uns ruhig fügen, das geht nicht anders. Ehe der neue Tag beginnt, sollen die Waren sicher versteckt sein, das bedenkt.«
Niemand antwortete ihm, aber mehrere Hände griffen zu, als er die Schaluppe zu wenden begann; eine Stunde später lag sie unweit jener Stelle, an der heute der Leuchtturm steht und die damals ganz öde, ganz verlassen war, nur von Seehunden und großen Seevögeln bewohnt.
Die schwierige Arbeit der Ausschiffung nahm ihren Anfang. Das Boot brachte Faß auf Faß, Ballen auf Ballen auf den festen Saugsand des Watts, dann trugen die Schmuggler mit vereinten Kräften alles hinein in das unwegsame Gewirre der Dünen.
Wer jemals auf Norderney seinen Weg über das mittlere Innere der Insel nahm, wer halb fallend, halb gleitend, immer sprungbereit, immer treulos verlassen von dem vermeintlich festen Boden unter seinen Füßen atemlos vorwärts keuchte, nicht selten der Länge nach in den Sand fallend – der kennt die Riesenarbeit, welche jetzt von den verwegenen Schmugglern vollführt wurde.
Es gab ein Tal, von hohen Wänden umschattet, ein tiefes Tal, zu dem der Pfad durch losen Flugsand führte – dahin brachten die Männer ihr Eigentum. Der nächste Windstoß verwischte die Spur; es war unmöglich, das Nest zu entdecken.
Blitz folgte auf Blitz, ein Donnerschlag dem andern; später prasselte auch der Regen herab. »Gott sorgt für Beleuchtung«, meinte der Kapitän. »Hurtig, Kameraden, jetzt ist die Sache bald getan.« Der Sturm wirbelte ganze Wolken von Sand empor, donnernd und brausend schlug das Meer an seine Ufer; nun brach der Aufruhr der Elemente los, daß es fast unmöglich wurde, sich überhaupt aufrecht zu halten.
Alle verfügbaren Fischernetze waren mitgebracht und über die besseren Waren gedeckt worden; eine Schicht Sand verhüllte zuletzt alles bis zur gänzlichen Unerkennbarkeit. Die Taschenuhr des Kapitäns zeigte auf zwei, als der Heimweg angetreten werden konnte.
Jetzt zu Fuß; die »Taube« hatten einige der Verbündeten an ihren Ankerplatz gebracht und waren dann wieder zu den übrigen gestoßen.
Der Weg von der äußersten Landspitze der Insel bis in das Dorf, vorüber an Dünen und immer wieder Dünen, der lange, ermüdende Weg war damals dasselbe, was er heute noch ist, aber von der Bootsbauerei und der Windmühle stand kein Stein, es gab vielmehr an diesem so einsamen, so todstillen Orte nur eine einzige halbverfallene niedere Bretterhütte, die ehemals von den Fischern als Aufbewahrungsort für allerlei Geräte benutzt worden war und die man dann einer krüppelhaften uralten Frau aus dem Dorfe als Wohnsitz überlassen hatte.
Die alte Aheltje wurde von den Bewohnern Norderneys sorgfältig gemieden, es ging die Rede, daß sie hexen könne, daß es überhaupt mit ihr nicht so recht geheuer sei, weshalb man denn sehr froh war, sich ihrer in dieser Weise entledigen zu können. Die alte Frau lebte von dem, was an jedem Tage zweimal die zurückweichende Flut auf dem Sande übrig ließ und was so viele Geschöpfe, Menschen und Tiere jahraus, jahrein ernährt – Fische, Taschenkrebse und Muscheln, daneben alle jene Geschöpfe, welche in trockenem Zustande von den damals schon seit einigen Jahren die Insel besuchenden Badegästen gekauft und gut bezahlt wurden: Seeigel, Drachen und Teufel, die hübschen Seesterne und die feinen zierlichen Algen.
Zuweilen humpelte Aheltje in das Dorf und brachte den Händlern ihre Beute, dann gab es Geld und die Alte konnte ein Stück Fleisch kaufen, nicht für sich selbst, sondern für einen großen grauen Kater, das einzige Wesen, welches sie liebte, dem ihr einsames verarmtes Herz warm entgegenschlug und das sie auch auf jedem solchen Wege wie ein Schatten, geräuschlos schleichend, begleitete.
Gleich nachdem links der heute noch gebräuchliche Ankerplatz der Schaluppen passiert war, kam zwischen zwei bewachsenen Dünen die Hütte der Hexe zum Vorschein; Onnen sah zuerst, daß aus dem einzigen halbzerbrochenen Fenster noch Licht hervorschimmerte.
»Aheltje wacht bereits«, sagte er.
In diesem Augenblick legte plötzlich der Kapitän die Hand auf seines Begleiters Schulter; ein stummer Wink genügte, um diesen und alle übrigen zu verständigen.
In der Entfernung von kaum fünfzig Schritten stand ein in seinen Mantel gehüllter französischer Wachtposten. »Still! – Um Gottes willen, keinen Laut.« Sie schlichen alle ohne weitere Verabredung nach rechts, so nahe wie möglich an die Dünen heran, um abermals diesen beschwerlichen Weg zu verfolgen, da ihnen jetzt für die letzte Strecke bis zum Dorfe der offene Strand verschlossen blieb. Ihrer neun kletterten sie, ermüdet und durchnäßt bis auf die Haut, von Klippe zu Klippe, hart an der Hütte der Hexe vorüber.
Rings herrschte das Dämmerlicht des beginnenden Frühlingsmorgens. Grau und trostlos lehnte halbzerfallen das Bretterhaus an den Sandmauern, auf dem schiefen Dache wuchs Dünengras und Moos, die Tür knarrte in ihren verrosteten Angeln, so oft der Wind mit donnernder Gewalt an dem morschen Bau zu rütteln begann.
Onnen legte den Finger auf die Lippen. »Stimmen!« flüsterte er. »Aheltje hat Besuch.«
Der Kapitän schüttelte den Kopf. »Das kümmert uns nicht. Junge. Wir müssen so schnell wie möglich vorübergehen.« Onnen horchte noch immer. »Da wurde eben dein Name genannt, Vater – und Eurer, Heye Wessel – es ist Peter Witt, der da drinnen spricht.«
»Alle Teufel – der französische Spürhund!«
»Aber was will er bei der alten Strandläuferin?«
Sie umringten nun, für den französischen Wachtposten unsichtbar, die Bretterhütte; der Kapitän und noch ein anderer gewannen durch das zerbrochene Fenster einen Blick in das Innere dieser trostlosen Behausung, und was sie entdeckten, war nicht geeignet, ihre einmal erwachte Unruhe wieder zu entkräften. Auf einem niederen Holzschemel saß die alte Aheltje und hielt in ihrer Rechten eine Anzahl zerrissener, fast schwarzer Spielkarten; neben ihr stand ein Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, groß und stattlich, in städtischer Kleidung, mit einem blitzenden Ordensstern auf der Brust – er sah aus, als sei ihm etwas Unangenehmes gesagt worden. »Dummes Zeug, alte Hexe, lauter Unsinn – ich bin ein reicher Mann, schwer reich sogar, ich besitze die Gunst Seiner Majestät des Kaisers, das siehst du wohl an diesem Orden! was könnte mir also geschehen?«
Die Strandläuferin wiegte den Kopf. »Hier steht es, Peter Witt, die Karten kümmern sich nicht