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Onnen Visser. Sophie Worishoffer
Читать онлайн.Название Onnen Visser
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Sophie Worishoffer
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
An der anderen Seite der Paap erschienen in diesem Augenblick fünf oder sechs Männer, die sich sogleich mit lautem Geschrei und Armschwenken der Mitte näherten, wobei die scheuen Seehunde, aus ihrer behaglichen Ruhe aufgeschreckt, kopfüber in das Wasser schossen, gerade dadurch aber in die Hände ihrer Verfolger fielen.
Sobald die großen plumpen Tiere verschwunden waren, erwachte rings umher neues Leben. Zwei Fischerboote kamen von rechts und links herbei; mit allen Kräften wurde ein großes, aus starkem Geflecht verfertigtes Netz zusammengezogen und aufgewunden.
Unter dem Wasser schien ein gewaltiger Aufruhr zu toben. Die Wellen spritzten hoch hinauf gegen das Ufer, schäumten und brodelten, bewegten sich dermaßen, daß die Boote schaukelten; dann, nachdem ein ungeheures, von zwei Fahrzeugen zur Zeit der weichenden Flut ausgesegeltes Netz emporgehoben war, entstand eine plötzliche Stille. In den Maschen zappelten zwei große Seehunde.
»Nur zwei!« rief Onnen. »Und wenigstens zwölf waren vorhanden.«
»Das ist immerhin noch eine gute Jagd. Sehr, sehr häufig gelingt es sämtlichen Seehunden, nicht allein zu entkommen, sondern sogar auch das Netz zu zerreißen!«
Die Fischer ruderten ihre beiden Boote nahe aneinander heran und fünf Männer brachten mit vereinten Kräften die gefangenen Tiere in den großen durchlöcherten Kasten, der wie ein zweites Boot hinter dem ersten durch das Wasser glitt.
Von fernher näherte sich auch das Langboot der Buttjer und außerdem ein weißes Segel, das Heinz Thiedemann nicht gleich erkannte. »Ich glaube, es ist eine Schaluppe«, sagte er, »aber was will sie hier?«
Onnen beobachtete scharf. »Die ›Taube‹!« rief er. »Mein Vater kommt, um mich abzuholen.«
Die Flut rauschte auf, Kreien und Fischkörbe wurden in das Boot geschafft; von frischem Wind getrieben, kam die Schaluppe unter vollen Segeln heran. Heye Wessel hielt Wache am Steuer, er war nicht wenig erstaunt, den Sohn des Kapitäns hier in der Gesellschaft der Schlammfischer zu finden, dann aber lachte er, als ihm der Zusammenhang der Dinge erzählt wurde, recht behaglich und gab dem Buttjer ein reichliches Trinkgeld als Entschädigung für die gehabte Mühe.
Onnens Abschied von seinem Retter war sehr herzlich; der arme Heinz hatte wohl lange keinen so guten Zug getan wie eben heute. Er schwenkte noch die Mütze, als schon die Schaluppe weit ausholte, um zu wenden und wieder in See zu gehen.
Onnen suchte sein Lager, erzählte aber vorher dem aufhorchenden Riesen die Geschichte des letzten Tages, einschließlich des Abenteuers mit den beiden Unbekannten, welche auf so geschickte Weise den Paß erbeutet hatten.
Heye Wessel dampfte ganze Wolken. »Muß doch ein tüchtiger Kerl sein, der Fremde«, meinte er, »einer, der sich nicht ins Bockshorn jagen läßt. Unser Paß für Poppinga und Sohn soll ihm übrigens wohl bekommen – wir hätten den Wisch doch nicht weiter brauchen können, er ist schon gar zu häufig und von den verschiedensten Leuten benutzt worden. Dein Monsieur Renard, der Schnüffler, hat ihn ohne Zweifel früher gesehen und wiedererkannt! – Gerade auf die Nase fiel er, der feine Herr?«
»Gerade auf die Nase!« wiederholte Onnen, schon halb schlafend. »Ha, ha, ha, so sollen sie alle purzeln – alle!«
3
Über die öde braune Moorfläche, wo jetzt eine breite Landstraße von Emden nach Aurich führt, zog im Sonnenbrand eine Abteilung französischer Infanterie. Zwei Offiziere ritten voraus und hintendrein rumpelte schwerfällig ein Gepäckwagen, auf dem ein Schreiber des Präfekten, ein Emdener Kind, Platz genommen hatte, um den Franzosen als Dolmetscher zu dienen.
Vor der kleinen Truppe und hinter derselben, überall dehnte sich das nackte unübersehbare Moor. Wie auf der offenen See bemerkte der Blick keinen noch so unbedeutenden Gegenstand, keine Erhöhung irgendeiner Art, überhaupt nichts als Luft und Erde, als eine pfadlose braune Wüste, von der sich das Auge beinahe mit Grauen abwandte.
Lautlosen Fluges erhob sich dann und wann aus den tiefen schlammigen Rissen des Bodens eine Sumpfeule mit grauem Gefieder, Bekassinen schrien ihr heiseres »Rätsch! Rätsch!« oder eine Rohrdommel erhob klagend, ohne sich zu zeigen, die Stimme: »I prumb hu hu‹ i prumb hu hu!« – bis der Ton wie eine Totenklage die Herzen der Franzosen durchkältete.
»Sapristi!« rief einer der Offiziere, »ob das noch dieselbe Erde ist, auf der Frankreich liegt? Man glaubt sich in den Vorhöfen der Hölle zu befinden.«
Der andere nickte. »Dabei scheint jetzt noch die Sonne hell und warm vom Himmel herab, Monsieur Renard, aber nun lassen Sie es Winter werden, denken Sie sich die Luft grau wie den Boden, eisig kalt, den Wind pfeifend, ein tolles Schneetreiben vor sich herjagend – das Herz in der Brust müßte erstarren.«
»I prumb hu hu! – I prumb hu hu!«
Monsieur Renard riß die Pistole aus dem Sattel. »Wo ist der verfluchte Vogel?« rief er, »ich will ihm den Hals umdrehen!«
»Halloh! halloh! – ein Rudel Hirsche!«
Das Rotwild war aus einer Niederung, in der es lagerte, aufgeschreckt worden und stürmte nun vollen Laufes davon. Der Leithirsch mit hoch erhobenem Kopfe eilte voran, ihm folgten mehrere jüngere Hirsche und dann das weibliche Wild mit den Kälbern, zusammen etwa zwanzig Köpfe. Die schönen flüchtenden Tiere glichen auf dem braunen Erdboden einem Gemälde, das alle Beschauer entzückte, wenn auch in sehr verschiedener Weise.
»Endlich lebende Wesen!« rief Monsieur Renard, »es war hohe Zeit. Eine Art von Verzweiflung hatte sich meiner bemächtigt.«
Hinter ihm krachte ein Schuß und der Leithirsch sprang hoch in die Luft, er taumelte, überschlug sich und stürzte, während seine Genossen mit wilder Hast zur Rechten und Linken an ihm vorüberstürmten, nur darauf bedacht, das eigene gefährdete Leben zu retten, unbekümmert um ihr Oberhaupt, dessen letztes Röcheln das laute Siegesgeschrei der Franzosen gewaltig übertönte.
»Zur Jagd! zur Jagd! Kein Tier darf lebend davonkommen.«
Monsieur Renard wandte lächelnd den Blick. Als echter Sohn seines Landes hatte er für das Großartige, Fremde dieser Moorlandschaft, dieser todesstillen Einöde kein Verständnis, er brauchte Lärm und wechselnde Bilder, um der inneren Langeweile zu entgehen; eine Jagd war dazu gerade das rechte Mittel.
»Drauf, meine Kinder!« rief er. »Holt sie! holt sie!«
Der Emdener Ratsschreiber auf seinem harten Sitz ballte verstohlen die Faust. »Schandbuben!« dachte er, »Raubgesindel! Da wird alles abgeschlachtet, was gut schmeckt! O die armen Tiere! – Unser schönes Rotwild!«
Aber laut durfte er nichts sagen; die Franzosen verfolgten mit Ungestüm, ohne alle Rücksicht auf die Gesetze der Jagd das fliehende Wild. In weniger als einer Viertelstunde hatten ihre Büchsenkugeln die schutzlosen Hirsche und Kälber ereilt; durcheinanderschwatzend und lachend weideten sie dieselben aus, schnitten das Fleisch ab und beluden sich jeder mit dem, was er schleppen konnte. Breite Blutlachen bezeichneten die Stelle, an der noch vor einer Stunde das Wild so ruhig lagerte.
»Heda!« rief der Offizier zu dem Insassen des Gepäckwagen hinüber, »kommt denn nicht bald ein Dorf, Herr? – Man möchte essen.«
Der Ratsschreiber lächelte verstohlen. »Das Dorf kommt«, antwortete er, »aber ob sich große Vorräte finden werden, das ist eine andere Frage.«
Ein mißtrauischer Blick traf sein Gesicht, dann ritt der Offizier schweigend weiter, bis sich nach und nach in einiger Entfernung ein dichter, dem Boden entströmender Rauch bemerkbar machte, ein Etwas, das den Atem beklemmte und Tränen in die Augen trieb.
Monsieur Renard schnupperte. »Was ist denn nun das?« rief er. »Nirgends ein Haus und doch eine Feuersbrunst. Sapristi, wie das beißt!«
Sämtliche Soldaten niesten und husteten. Der Qualm wurde immer ärger, bald sah man im dichten Rauche auch die Flammen und zwischen ihnen schwarze Gestalten, die mehr Kobolden oder bösen Geistern als Menschen von Fleisch und Blut glichen. Jeder dieser Leute hielt in den Händen eine langstielige eiserne Pfanne, mit der er kräftigen Schwunges die Feuerbrände