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Im Lande des Mahdi I. Karl May
Читать онлайн.Название Im Lande des Mahdi I
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Karl May
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
»Laß mich in Ruh‘, laß mich in Ruh‘, o böser Geist, o Teufel!« rief er, indem die Keule seiner Hand entglitt.
»Schrei‘ nicht so, Selim!« antwortete ich. »Ich glaube gar, du hältst mich für den Geist!«
Dabei hob ich die Lampe zu meinem Gesichte empor. Als er dasselbe erkannte, meinte er im Tone größter Erleichterung und indem er tief Atem holte:
»Preis sei Allah, daß du es bist, o Effendi! Denn wenn es der Geist gewesen wäre, so hätte ich ihn auf der Stelle erschlagen!«
»Wohl mit der Keule, welche du hier weggeworfen hast?«
»Ja, mit ihr. Sie entfiel mir, als ich eben ausholen wollte. Ist der Herr schon schlafen gegangen?«
»Ja.«
»Die andern auch, und ebenso wollte ich hier mein Lager aufsuchen.«
Er nahm mir die Lampe aus der Hand und leuchtete nach der Thüre, —wo er eine alte Strohmatte ausgebreitet und darauf eine große Decke gelegt hatte, in welche er sich so einhüllen konnte, daß ganz gewiß weder er den Geist noch dieser ihn zu sehen vermochte.
»Und wo befindet sich der Neger?« fragte ich.
»Droben im Vorzimmer der Frauen, wo er sich mit ihnen verrammelt hat. Warum wandelst du hier herum, wo doch jeden Augenblick der Geist erscheinen kann?«
»Ich suchte dich. Ich wollte dich fragen, ob du nicht einige starke Schnüre oder Stricke hast.«
»Ich habe welche und werde sie gleich holen.«
Er brachte mir das Verlangte und riet mir dann, mich schlafen zu legen. Ich kehrte in meine Wohnung zurück, zunächst in das hintere Zimmer, welches erleuchtet war, und wollte nach den Kindern sehen. Sie schliefen fest. Dann ging ich in die nebenanliegende, dunkle Stube und öffnete die Thüre, welche auf die Säulenhalle des Hofes führte. Da setzte ich mich auf den Boden nieder und wartete mit großer Spannung, ob es dem Gespenst belieben werde, heute zu erscheinen.
Offen gestanden, wünschte ich, daß es kommen möge, denn ich wollte gern wissen, ob ich mit meiner Ahnung, daß es ein Mitglied, vielleicht gar der Vorsteher der Verbrüderung sei, das Richtige getroffen hätte. War es Abd el Barak, den ich, wie schon gesagt, für einen starken Menschen hielt, so galt es, vorsichtig und dabei sehr schnell zu sein. Er mußte überrascht werden. Ich wollte ihn im erleuchteten Zimmer erwarten, um zu erfahren, was er, wenn er mich erkannt hatte, machen werde. So saß ich lange Zeit; die Minuten wurden mir zu Viertelstunden. Ich hielt die Augen nach dem in den Garten führenden Durchgang gerichtet. Da hörte ich ein leises Geräusch aus jener Richtung, und von dem Dunkel der mir gegenüber liegenden Säulenhalle hob sich eine schmale, lichtere Stelle ab, welche sich bewegte. Es war eine jetzt in der Nacht grau erscheinende, also wohl weiß gekleidete Gestalt. Sie trat aus der Halle hervor und auf den offenen Hof. Aber sie war nicht allein; eine zweite und eine dritte Gestalt folgten ihr. Gab es etwa drei Gespenster? Dann war mein Verfahren nicht ganz ungefährlich. Die erste Gestalt wendete sich nach links von mir, wo die Zimmer des Türken lagen. Sie hob einen Arm empor, ein Zeichen für die beiden andern, welche sofort einen Lärm begannen, welcher dem Heulen und Pfeifen eines starken Sturmes glich. Dazu reichte der Mund nicht aus; sie mußten Instrumente haben. Ihr Treiben war für mich jetzt Nebensache; ich mußte mein Augenmerk auf den ersten richten. Dieser befand sich hinten bei der letzten Thüre. Jedenfalls schob er jetzt in der von mir vermuteten Weise den Riegel derselben zurück, um in das Zimmer zu treten. Von diesem aus wollte er die anderen Räume des Türken durchschreiten und mußte dann auch in meine Wohnung kommen. Er sollte mich dort auf dem Lager finden. Darum stand ich auf und kehrte schnell, die Thüren hinter mir verriegelnd, in mein erleuchtetes Zimmer zurück, wo ich mich auf das Kissen legte und die Decke so über mich breitete, daß mein Gesicht frei blieb. Die Negerkinder schliefen noch fest. Die Stricke hatte ich mit unter die Decke genommen.
Ich brauchte nicht lange zu warten; der entscheidende Augenblick war da. Ich hörte ein Geräusch an der zu Murad Nassyr führenden Thüre; sie wurde geöffnet, und der Geist trat ein. Er drehte sich zunächst zurück, und beim hellen Schein des Lichtes sah ich in seiner Hand einen dünnen, spitzen Gegenstand, welchen er in die schon erwähnten Löcher steckte, um den jenseitigen Riegel zuzuschieben. Der Kerl mußte seiner Sache sehr sicher sein, daß er es nicht einmal für nötig hielt, sich erst bei mir umzusehen. Ich hielt die Lider so, daß die Augen geschlossen zu sein schienen, ich aber dennoch alles deutlich sehen konnte. Dabei atmete ich ruhig wie ein Schlafender, dafür sorgend, daß meine Brust sich leicht, aber sichtbar hob und senkte.
Ich hätte mich in die Seele Murad Nassyrs hinein ärgern oder schämen mögen! Dieser Geist hatte ganz und gar nicht das landläufig angenommene Aussehen eines Gespenstes. Er war in einen langen, bis auf den Boden reichenden Burnus von weißer Farbe gehüllt, hatte die Kapuze desselben über den Kopf gezogen, und außerdem hing ihm über das Gesicht ein helles Tuch herab, in welches für die Augen zwei Löcher geschnitten waren. Das war doch kein Geist, kein Gespenst, sondern ein Mensch, welcher ganz genau die Gestalt des Abd el Barak hatte.
Draußen hatte sich das Geräusch des Sturmes in das Nachäffen von allerlei Tierstimmen verwandelt, eine wirklich kindische Art und Weise, Gespensterfurcht zu erwekken. Das konnte ich jetzt nicht beachten, denn mein Gespenst hatte sich von der Thüre weg in das Zimmer gewendet, sah sich in demselben um und kam langsam auf mich zu. Es blieb eine kleine Weile vor mir stehen, wahrscheinlich, um mich zu betrachten. Ich hätte sein Gesicht sehen mögen! Aber das war nicht möglich, weil es verhüllt war und weil ich die Augenlider nicht so weit öffnen durfte. Ich konnte durch die Wimpern nur bis dahin schauen, wo sich seine Hände unter dem Burnus befanden. Hielt er mich wirklich für schlafend? Das wäre kein gutes Zeichen für seine Intelligenz gewesen, denn der Lärm, den seine Mitgespenster draußen vollführten, hätte jeden Schläfer aufwecken müssen. Jetzt verließ er mich und ging leise zu den Kindern. Er bückte sich nieder und hob den Zipfel meines Haïk empor. Er sah die beiden Schwarzen, und ich bemerkte eine Bewegung der Überraschung, welche er nicht zu unterdrükken vermochte. Dies gab mir die Überzeugung, daß ich Abd el Barak vor mir hatte.
Er ließ den Zipfel sinken und kehrte völlig geräuschlos zu mir zurück. Er beugte sich über mich, so daß das sein Gesicht verhüllende Tuch senkrecht niederhing und ich nun sein Kinn und auch seinen Mund sehen konnte. Seine rechte Hand kam aus dem Burnus hervor; die Klinge eines Messers blitzte in derselben. Das war gefährlich, und es galt, keinen halben Augenblick zu zögern. Sorge brauchte ich nicht zu haben, denn selbst wenn er stärker als ich war, mußte mir der Schreck zu Hilfe kommen. Ich sprang nicht etwa auf, nein, denn das wäre ein Fehler gewesen, der mich gerade an sein Messer gebracht hätte; vielmehr wälzte ich mich blitzschnell vom Polster herab vor seine Füße und hob dieselben aus, so daß er nach vorn niederstürzte. Das Messer flog aus seiner Hand; er kam mit Kopf und Brust quer auf das Polster zu liegen. Im nächsten Augenblicke war ich über ihm, legte ihm die linke Hand an die Kehle, drückte dieselbe fest zusammen und gab ihm mit der rechten Faust einige Hiebe auf den Hinterkopf. Er machte eine schwache, krampfhafte Bewegung, die ihn nicht befreien konnte, und blieb dann einige Sekunden, die mir aber erlaubten, ihm den einen Strick um den Oberkörper und die Arme zu winden, still liegen. Nun schlug er mit den Beinen aus; ich band sie mit dem anderen Stricke zusammen, so daß er nun vollständig gefesselt und in meine Hand gegeben war. Danach riß ich das Tuch weg und blickte, ganz wie ich erwartet hatte, in das Gesicht Abd el Baraks.
Seine Augen glühten mir förmlich entgegen, doch sagte er kein Wort, was mir sehr lieb war, da ich wünschte, daß die Kinder jetzt noch weiter schlafen möchten. Ich mußte hinaus, und er sollte sie nicht etwa durch Drohungen bewegen können, ihn von den Stricken zu befreien. Aus demselben Grunde mußte ich ihm einen Knebel geben;