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Am Jenseits. Karl May
Читать онлайн.Название Am Jenseits
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Karl May
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
»Ihr habt nicht laut mitgebetet, obwohl das eure Pflicht gewesen wäre. Darum haben wir das Angesicht des Toten unbedeckt gelassen, damit er euch im Jenseits verfluche, wenn ihr nicht dadurch Teil an seiner Bestattung nehmt, daß ihr ihm die noch fehlende Erde gebt. Eure Beleidigungen habe ich behalten, ich nehme sie mit mir, aber sobald ihr nach Mekka kommt, rechne ich dort mit euch ab. Es bleibt euch keines eurer Worte geschenkt. Allah verfluche euch!«
Da sprang Halef auf, riß die Peitsche empor, sprang dem Mekkaner nach und langte ihm zwei oder drei so kräftige Hiebe zu, daß der Getroffene vor Schmerz brüllte. Er hatte bei der außerordentlichen Behendigkeit des Hadschi keine Zeit gefunden, sich schnell genug davonzumachen. Dieser rief ihm noch nach:
»Hund, Hundsgroßvater und Urhundsenkel! Da hast du einen Teil der Abrechnung schon heute mit! Den Rest werde ich dir in Mekka ehrlich zahlen! Mach dich gefaßt! Was ich verspreche, halte ich gewiß!«
Es klangen noch einige Flüche zu uns her; dann war der »Liebling des Großscherif« mit seinen Leuten verschwunden.
Die Haddedihn tauschten sehr lebhaft ihre Meinung über unsere Begegnung mit den Mekkanern aus. Halef beteiligte sich natürlich sehr daran, ich war still. Als ihm das nach längerer Zeit auffiel, fragte er mich nach dem Grunde meines Schweigens. Ich mußte die Antwort für später aufheben; mein Schweigen sollte eine Strafe für ihn sein, ich wußte, wie empfindlich er dafür war. In Gegenwart seiner Frau und seines Sohnes konnte ich ihm doch nicht sagen, daß er zwei unverzeihliche Fehler begangen hatte. Er hätte den Mekkanern unsere Namen nicht sagen und dann zuletzt El Ghani nicht schlagen dürfen, denn wenn dieser wirklich ein angesehener Bürger der heiligen Stadt war und gar in persönlicher Beziehung zu dem Großscherif stand, so konnte er uns nicht nur bedeutende Ungelegenheiten, sondern noch viel mehr bereiten, zumal ich ja nicht Muhammedaner und darum auf die größte Vorsicht angewiesen war.
In Beziehung auf den wiederholt genannten Scherif von Mekka bemerkte ich, daß das Wort Scherif soviel wie edel, adelig, erhaben bedeutet. Unter einem Scherife versteht man einen direkten Abkömmling Muhammeds durch dessen Tochter Fatima, welche die Frau Alis war. Den Scherifs steht es allein zu, einen grünen Turban und ein grünes Oberkleid zu tragen. Die kleinste Beleidigung eines solchen Edlen wird sehr streng geahndet. Die Scherif würde überträgt sich sowohl durch männliche wie auch weibliche Personen. Man hat, besonders in Persien, mehrere Zweige der Eschraf, so die Aliiden, Fatimiden, Dschafariden, doch gibt es auch Familien, welche sich als Scherif bezeichnen, es aber nicht sind. Dies ist der Fall, obwohl in fast jeder muhammedanischen Stadt von besonderen Beamten, welche Nakyb el Eschraf heißen, Listen über die zu diesem Titel berechtigten Familien und Personen geführt werden, welche alljährlich mit der großen Pilgerkarawane nach Mekka gebracht und dem dortigen Großscherif zur Ansicht und Bestätigung vorgelegt werden. Er ist der Stammfürst sämtlicher Nachkommen des Propheten, der Statthalter von Mekka und oberster Hüter der Kaaba und sämtlicher Heiligtümer und bekommt jährlich vom Sultan reiche Geschenke geschickt. Das Scherifat ist eigentlich nur eine geistliche Auszeichnung oder Würde, und ein Scherif soll durch seine direkte Abstammung von Muhammed nicht weltliche Vorteile genießen, aber in der muhammedanischen Welt dominieren in jeder Beziehung die geistlichen Verhältnisse, und so glauben auch die Eschraf das Recht zu haben, in Beziehung auf die materiellen Güter ebenso wie in geistlicher Hinsicht den Nichtabkömmlingen des Propheten weit voranzustehen. Diesen Standpunkt nimmt besonders der Großscherif, der Scherif el Eschraf ein. Er dünkt sich, nicht niedriger zu stehen als der Sultan, der doch der Kalif, also der Oberhirt und Beherrscher aller Gläubigen ist, und die Geschichte hat schon wiederholt Beispiele davon gebracht, daß der Herr der Kaaba gar wohl imstande ist, dem Padischah die Faust zu zeigen, zumal der Weg von Stambul nach Mekka ein weiter ist und es also seine Schwierigkeiten hat, die Zügel zwischen dort und hier so straff zu halten, wie es eigentlich geschehen sollte. Den Millionen muhammedanischer Pilger, welche nach Mekka und Medina kommen, erscheint der Großscherif näher als der von den Heiligtümern so ferne Sultan, und so ist es nicht zu verwundern, daß sie glauben, mehr unter der Macht und dem Einflusse des ersteren als des letzteren zu stehen.
Dies also ist über den Großscherif zu sagen, dessen Liebling sich el Ghani genannt hat. Obwohl ich nun annahm, daß diese Bezeichnung auch in der bekannten orientalischen Übertreibung gebracht worden war, so mußte etwas Wahres doch daran sein. Er stand in irgendeiner Beziehung zu dem Beherrscher derjenigen Orte, welche ich besuchen wollte, obgleich mir dies als Christen bei Todesstrafe verboten war, und konnte mir bei jeder ihm beliebigen Gelegenheit Fallstricke legen, denen trotz aller Vorsicht, aller Klugheit und auch allen Mutes nicht zu entgehen war. Und das hatte ich dann der Unüberlegtheit Halefs zu verdanken, dessen heißgeliebte Peitsche in Bewegung gesetzt worden war, obgleich der grüne Turban, den EI Ghani trug, bewiesen hatte, daß er auch zu den Abkömmlingen Muhammeds gehörte, deren Beleidigung zehnfach gefährlicher als jede andere ist. Mit der sehr kräftigen, aber doch bloß wörtlichen Zurückweisung der Arroganz des Mekkaners durch den Hadschi war ich vollständig einverstanden gewesen, weit dies kein unberechtigter, zur Rache herausfordender Angriff, sondern eine sehr berechtigte Abwehr gewesen war; aber Prügel mit der Peitsche, einem Araber, welcher die Würde eines Scherif bekleidete, das war eine Übereilung, mit welcher ich unmöglich einverstanden sein konnte. Ich nahm daher die Gelegenheit wahr, dem Hadschi zu folgen, als er vor dem Schlafengehen noch einmal nach seinem Pferde sah. Da waren wir allein. Mein ununterbrochenes Schweigen hatte die beabsichtigte Wirkung nicht verfehlt. Er empfing mich mit den Worten:
»Du bist zornig auf mich, Sihdi, weil ich diesem hochmütigen Menschen meine Kurbadsch (Peitsche) zu schmecken gegeben habe?«
»Natürlich! Wunderst du dich vielleicht darüber?« antwortete ich.
»Nein; aber er hatte es verdient.«
»Die Klugheit verbietet sehr häufig, den Menschen nach dieser Art von Verdienst zu behandeln! Du hättest schon unsere Namen nicht sagen dürfen, es war auf alle Fälle besser, wenn er über uns im unklaren blieb. Aber du mußt jedem unbekannten Menschen gleich sagen, was für ein berühmter Kerl du bist!«
»Bin ich das etwa nicht?«
»Nein!«
»Aber du?«
»Auch nicht. Wir sind in gewissen Gegenden bekannt, das ist alles. Wir beide brauchen uns gar nichts einzubilden; es gibt überall Hunderte und Tausende von Menschen, die noch ganz andere Kerls sind, als du und ich! Du aber denkst, ein Scheik der Haddedihn und ein hier im Oriente herumkrabbelnder abendländischer Dudi el Kutub (Bücherwurm) seien die hervorragendsten und gewaltigsten aller Erdenbewohner, weil sie einmal einen Löwen geschossen haben oder vor einigen Kurden nicht gleich ausgerissen sind. Für so hochwichtige Leute darfst du uns denn doch nicht halten. Ich sage dir, wenn eine ganze Million Menschen unserer Sorte jetzt plötzlich stürbe, die Weltgeschichte würde ihren Gang sehr ruhig weitergehen!«
»Das glaube ich nicht, Sihdi!«
»Es ist aber so!«
»Nein, denn meine Haddedihn gehören doch auch zur Weltgeschichte, und wenn ich jetzt plötzlich stürbe, so würde die Haddedihnsche Abteilung der Geographie und Geschichte in die bittersten Tränen ausbrechen und eine sehr traurige werden. Und was soll aus dem Stamm der deutschen Beduinen werden, wenn du hier stirbst und nicht zu ihnen wiederkehrst? Zunächst würde in deinem Harem sich ein großes Weinen und Klagen erheben, und von diesem deinem Frauenzelte aus würde sich dann eine niemals versiegende Flut der Tränen ergießen über alle Berge, Täler und Ebenen deines Vaterlandes. Die Palmen eurer Oasen würden eingehen vor Schmerz und die Herden der Kamele hinsinken durch die Seuche unheilbarer Traurigkeit. Es würde ein großer, unendlicher Jammer ausbrechen – — – — »
»Sei still!« unterbrach ich ihn. »Meine Emmeh würde trauern und mir sehr bald nachfolgen; davon bin ich überzeugt; sonst aber dürfte deine niemals versiegende Tränenflut nur deine Phantasie überschwemmen. Wir sind nichts Besseres als andere Menschen und haben keine Ursache zu solchen Posaunentönen, wie du immererschallen lässest, wenn von dir und mir die Rede ist. Hörst du wohl, ich sage dir und mir‘. Weißt du. was ich meine? »
»Nein.«
»Sooft ich von uns beiden spreche, bin ich so höflich, dich zuerst zu nennen; das habe ich stets