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Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf
Читать онлайн.Название Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Jeremias Gotthelf
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Endlich merkte ich den Leuten am Tische an, daß da eine Kindbetti sein müsse, und es fiel mir ein, daß der Unterlehrer vor gar nicht langem geheiratet und also wahrscheinlich der Kindbettimann sein werde. Der Gauch, dachte ich, meint auch, er habe einen Prinz erzeugt, und so einen habe die Welt nie gesehen, und macht sich Pläne, wie er ihn wenigstens bis zum Schulkommissar bringen könne; der Gauch weiß nicht, daß solche Mucken die meisten Väter beim ersten Kinde stechen, daß dann beim fünften und sechsten man ein ganz anderes Gesicht macht, de- und wehmütig unten an den Tisch sich setzt, und beim achten und neunten gar unter den Tisch schlüpfen möchte. Aber ich sollte nicht lange im Irrtum bleiben über dessen Freude und den Grund, warum vom Wehbessern auf dem Tische stund.
»Nicht wahr, du willst auch zum Kommissär?« sagte mein Gastgeber. »Nun, ich wünsche dir, daß er dir so gutes verkündet wie mir; ich bin ganz ds Gäggels. Heute, als wir aus der Kirche kamen, sagte er mir, daß ich auf 300 L. jährlich geschatziget worden sei, und da ist es wohl der wert, eine z‘näh«. Das begriff ich, und es wurde mir nicht schwarz, aber rot, blau und grün vor den Augen, wenn ich dachte, was erst ich bekommen müsse, ein mehr als 40jähriger Mann, der über 20 Jahre Schule gehalten und recht gute Zeugnisse habe und das beste an einer belobten Schule, wenn so ein junger Mensch, der noch nicht trocken sei hinter den Ohren und sich nirgends bewahrt habe als im Seminar, 300 L. erhalten hätte.
Es gramselte mir in allen Gliedern, und ich konnte die Beine gar nicht mehr stille halten unter dem Tische; aber ich durfte doch nicht alsobald fort. Eins gab das andere, und die Kinderlehre war längstens aus, als ich endlich aufbrach, recht ordentlich angestochen von gutem Wein und guter Hoffnung. Ich mußte noch versprechen, wieder vorbei zu kommen und zu berichten meine Schätzung. Ich machte recht lange Beine hin zu meinem Herrn, um bald seine Botschaft zu vernehmen und wieder berichten zu können.
Der Schulkommissär spazierte vor dem Hause auf und nieder und rauchte sein Pfeifchen. Er grüßte mich freundlich und sagte: »Es wird euch nicht pressiert haben; ihr werdet gedacht haben, ihr vernehmet die Sache immer früh genug«. Ein kurioser Eingang ist das, dachte ich bei mir selbst. »Ja«, fuhr er fort, »es thut mir leid für euch und noch ein paar andere, daß es so gegangen ist; ich begreife gar nicht was sie auch denken in Bern oben; aber so geht es, wenn man allein witzig sein will«. Der gute Herr sei ein wenig gstürmte, fing ich an zu glauben; denn wenn die z‘Bern oben dem Unterlehrer für den Anfang 300 L. geben und mir nach Verhältnis, so sei das mir einmal witzig genug, und es wäre unverschämt noch mehr zu erwarten, meinte ich. »He, Wohlehrwürdiger Herr Schulkommissär«, antwortete ich daher, »was sie gemacht haben, wird wohl gut sein; unser einer ist bald zufrieden, wenn man nur einmal sieht aus der Not und dem Elend herauszukommen«. »Das ist‘s aber eben«, erwiederte der Herr, »was noch nicht bald geschehen wird, wenn es dem nach geht, was ich in Händen habe. So ist‘s mir eben leid, euch sagen zu müssen, daß sie euch gar nichts mehr gesprochen und unter die Klasse versetzt haben, welcher man noch nicht 150 L. zusprechen könne, sondern sie bei ihrem einstweiligen Einkommen lassen müsse; doch könnt ihr bei besserer Fortbildung neue Ansprüche machen und von Glück noch reden; denn wäret ihr, als ihr das Examen gemacht, einen halben Monat älter gewesen, so würdet ihr vielleicht für bildungsunfähig erklärt worden sein.«
Da stund ich mit offenem Munde, konnte lange ihn nicht zubringen, nicht bewegen; endlich stotterte ich heute zum zweiten Mal: »Es wird öppe nit sy«. Aber der Schulkommissär sagte: leider sei es so; er könne es mir schwarz auf weiß zeigen, wenn ich wolle. Ich wäre gerne noch da geblieben, hätte gerne mich ausgejammert und gefragt, ob denn da gar nichts zu ändern wäre; allein dem guten Mann machte die ganze Sache sichtlich Mühe, und so hatte er es wie jener Guggisberger, der bei einer unbeliebigen Frage an einem unbeliebigen Orte erwiederte: »Na, liebe Herren, das ist eine wüste Sache; wir wollen lieber nicht davon reden«. Mit schwerem, vollem Herzen drückte ich mich ab, machte es aber wie die Weisen aus dem Morgenlande und hielt mein Versprechen, wieder zu kommen, nicht. Wer will es mir verargen, wenn ich meine Schmach nicht vor einem Unterlehrer und einer lustigen Kindbettigesellschaft zur Schau tragen mochte? Ein teilnehmend Herz, um das meinige abzuladen, hätte ich so gerne gehabt; aber ein solches fand sich nicht. So drückte es schwer mich nieder; es war mir, als ob ich knietief in der Erde gehe und Blei in allen meinen Gliedern liege. Vor jedem Menschen, der mir begegnete, erschrak ich, fürchtend, er möchte es mir ansehen, daß ich ein Schulmeister sei, den man nicht 150 L. wert geachtet. Um einem Trupp Kuglenwerfer zu entgehen, flüchtete ich mich in das Dickicht eines Tannenwaldes; dort war es düster, wie in meinem Gemüte. Meine große Bedrängnis stieg wie ein Gespenst vor mir auf, endlos sich ausdehnend, immer schreckbarer werdend; in feuchtes Moos barg ich mein Antlitz und weinte bitterlich, und die Thränen wollten kein Ende nehmen, weil vor den Augen es immer gleich finster blieb. Mensch! willst du, daß die Thränen dir versiegen und es heiter werde in deinem Gemüte, so mußt du deine Augen nicht an den Schoß der Erde drücken, daß es dunkel bleibt vor denselben; du mußt sie aufwärts kehren, dahin, wo die Sonne glüht, die Sterne flimmern, die hellen Zeugen des ewigen Lichtes, mit welchem Gott Herz und Seele erleuchten und jegliche Trübsal in ewigen Frieden und gläubige Hoffnung verklären will. Diese sichtbaren Zeugen am Himmel wirken, du weißt nicht wie, auf dein Gemüte, trösten, erheitern es, lassen es nicht untergehen in die Hölle der Hoffnungslosigkeit. Sicher hat Gottes Gnade sie auch deswegen am Himmel aufgerichtet, und nicht bloß deswegen, daß sie heiter machen Stege und Wege zu irdischem Treiben. Darum, o Mensch, verschmähe sie nicht. Wenn es dunkel wird in dir, sieh zu ihnen auf, laß durch dein Auge hinein sie scheinen auf des Herzens Grund, so wirst du die Wege Gottes erkennen, die er dich führen will zu deinem ewigen Heile, und wirst mit neuem Mute sie wandeln, wie rauh und dornenvoll sie auch sein mögen.
So that ich leider nicht in meiner Betrübnis. Da ging die Sonne unter, die Sterne versteckten hinter Wolken sich, finster ward es um mich, finster blieb es in mir; schwer und mühselig war mein Heimgang. An einem hell erleuchteten Hause führte er vorbei, wo die Fenster offen stunden, eine Menge Menschen die Stube füllten, um die Fenster viele standen und eine heisere, angestrengte Stimme vernehmbar ward. Wunder nahm es mich, was es da gebe, und überzeugt war ich, nicht erkannt zu werden; darum stellte ich mich auf der Straße und horchte. Ich vernahm nur einzelne Worte, deren Zusammenhang ich nicht finden konnte; daß es eine Versammlung sei, merkte ich wohl, aber ob eine geistliche oder weltliche, ward mir aus dem Benehmen der Menschen nicht klar. Da entspann sich folgendes Gespräch leise in meiner Nähe und gab mir Aufschluß: »Ja Trini«, sagte eine weibliche Stimme, »du glaubst nicht, wie es uns gut geht, seit mein Mann geistlich geworden ist und Versammlungen hält; das ist ein viel besser Handwerk als das Schustern. Jetzt haben wir, wie wir es nur wollen, und besser zu essen als viele Bauern, und wenn er mich auch noch immer schlägt und wüst gegen mich ist, so läßt sich das doch gar viel besser ertragen, wenn man den Magen voll Küchli und Hammenschnitten hat, als nur halb voll von Wassersuppe und geschwellten Erdäpfeln. Ein andermal hätte ich darüber gelacht; nun aber betrübte es mich noch mehr, daß alle Leute und namentlich solche es besser und mehr Glück in der Welt hätten als wir.«
Je näher ich der Heimat kam, desto mehr ängstigte mich der Gedanke, was meine Frau zu diesem sagen werde, ob ich ihr alles bekennen oder verbergen solle. Ich konnte lange nicht mit mir einig werden; sie dauerte mich ganz besonders, besonders wenn sie in dem Zustand sein sollte, von dem sie mir diesen Morgen gesagt. Ich konnte aber doch die Hoffnung nicht fahren lassen, daß sie sich getäuscht; ich konnte nicht begreifen, wie es möglich wäre, daß ein armer Schulmeister an einem Tage so bitter sollte getäuscht werden in dem Guten, das ihm so lange vorgespiegelt worden, und aber nicht in dem, was eine neue Bürde ihm aufzulegen drohte. Ach, scheltet mich nicht lieblos, ihr, die ihr dieses leset. Wohl weiß ich auch, daß David die Kinder einen Segen Gottes nennt; aber er war ein König und nicht ein Schulmeister mit 80 L. Lohn. Wohl weiß ich, daß auch bei dem armen Schulmeister der Kindersegen ein wahrer Gottessegen werden kann, wenn er auszuharren und getreu zu bleiben weiß bis an das Ende. Aber eben dieses Ausharren und Getreubleiben bis ans Ende in allen Bedrängnissen, in jeglicher Not, ist gar zu schwer; und wenn schon die gegenwärtige Not so schwer ist, daß man beinahe einsinkt, wer will den Stein auf einen werfen, wenn das arme Herz verzagen will bei der Aussicht auf die noch schwerer werdende Bürde? Wer will richten, wenn dieses Vermehren der Bürde als ein Leidenskelch angesehen wird von der schwachen Menschennatur, und aus dem zagenden Herzen der Wunsch empor sich