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Die Verstümmelten. Hermann Ungar
Читать онлайн.Название Die Verstümmelten
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Hermann Ungar
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Sie hieß Klara Porges. Später schien Polzer, als habe ihr Namen zu allem beigetragen. Vom ersten Augenblick an hatte ihn dieser Name verstimmt. Er erschien ihm in seiner Zusammenstellung unerhört lächerlich und ärgerlich zugleich.
Polzer lebte allein mit Frau Porges. Eines von den Zimmern stand leer. Die Stühle waren in diesem Zimmer mit Leinenüberzügen verkleidet. Frau Porges mußte alle häusliche Arbeit ohne Hilfe besorgen, denn ein Dienstbote wurde nicht gehalten. Bloß seine Schuhe putzte sich Polzer selbst. Auch dieses Geschäft wollte ihm die Witwe abnehmen, allein er überließ es ihr nicht. Er hatte immer Wert darauf gelegt, seine Schuhe selbst zu bürsten, und war auch nie einem Menschen begegnet, dessen Stiefel so geglänzt hätten wie die seinen, daß man bei flüchtigem Hinsehen glauben konnte, es seien Schuhe aus Lackleder. Zu Hause mußte er auch die Schuhe des Vaters und der Tante bürsten; darauf verwandte er aber keine Mühe. Dem Reinigen seiner Schuhe widmete er täglich morgens eine halbe Stunde. Er verwandte nacheinander mehrere Bürsten und Lappen von verschiedener Qualität. Frau Porges meinte, es sei ein Geschäft, das einem Mann nicht anstehe. Polzer aber wußte, wie angenehm und erfrischend es sei, des Morgens verläßlich geputzte Schuhe an den Füßen zu haben, und zugleich, daß diese Tätigkeit keineswegs etwas Unmännliches an sich haben könne, da doch überall, wo Diener im Hause seien, wie in Hotels und bei reichen Leuten, dieses Geschäft von Männern besorgt würde. Er erinnerte auch Frau Porges daran.
Die Witwe umgab ihn vom ersten Tag an mit Fürsorge. Er ließ sich alles von ihr abnehmen, was ihn beunruhigte. Das waren vor allem die außergewöhnlichen Ereignisse, die der Tag mit sich bringt. Ihr geringstes noch, das nicht täglich war, erfüllte ihn mit ängstlicher Bestürzung. Das Bewußtsein, an einem der folgenden Tage in einen Laden treten zu müssen, um einen Einkauf zu besorgen, machte ihn unruhig, seine Gedanken bewegten sich ununterbrochen darum, die Angst, es zu versäumen, erfüllte ihn mit Qual, er berechnete die Zeitaufwendung, die notwendig sein würde, und bereitete die Sätze vor, die er sprechen wollte. Sogleich war ihm, als sei nun zu nichts anderem mehr Zeit, als reiche sein ganzes Leben zu nichts anderem mehr hin. Es konnten sich Zwischenfälle ereignen, die nicht vorauszusehen waren. Besonders, es konnte der verlangte Preis größer sein als die Summe Geldes, die er bei sich trug. Zahlungen, die an bestimmten Tagen fällig waren wie die Miete, ließen ihn Wochen vorher nicht schlafen. Er überzählte nachts das nötige Geld. Plötzlich am Tage in anderen Gedanken, nachts im Schlaf, ertappte er sich erschrocken dabei, daß er es jetzt, in diesem Augenblick vergessen habe, und er hielt sich vor, daß er es nicht vergessen dürfe und doch es vergessen könne. Aber Frau Porges war bereit, seinen Gehalt zu Monatsbeginn zu übernehmen und für alles selbst zu sorgen. Sie gab ihm wöchentlich einige Kronen, von denen Polzer das Frühstück im Büro und den Fahrschein auf der Straßenbahn bezahlen konnte. Selbst neue Kleidungsstücke besorgte nun sie für ihn, ohne daß er in einen Laden eintreten oder darum überhaupt wissen mußte.
Dies alles geschah, trotzdem Polzer Frau Porges mit Abwehr gegenüberstand. Ihr Blick, mit dem sie ihn in zärtlich-mütterlicher Art zu umfangen suchte, beängstigte ihn. Er hatte etwas unangenehm Näherwollendes, Nahes. Polzer sah sie nur wenig. Morgens, wenn sie ihm das Frühstück, und abends, wenn sie ihm das Abendbrot brachte. Er wich ihrem Blick aus und vermied Gespräche. Er wohnte Tür an Tür mit der Witwe, er hörte nachts ihren Atem, hörte ihr Bett knarren, wenn sie sich im Schlaf bewegte. Aber er war all die Jahre nicht länger als einige Minuten zugleich mit ihr in einem Raum.
Klara Porges‘ Gegenwart erfüllte ihn vom ersten Augenblick an mit Beklommenheit. Ihr Haar strömte einen Geruch aus, der ihn entfernt an Seife erinnerte. Sie trug es in der Mitte gescheitelt wie die Tante. Dazu kam, daß sich ihm unbegreiflich bei ihrem Anblick sogleich die Vorstellung ihres unbekleideten Körpers aufdrängte. Das erfüllte ihn mit tiefer Scham über sich und mit Widerwillen. Es war die Vorstellung eines unbestimmt schwarzen Körpers. Der Zwang zu dieser Vorstellung nahm zu, je voller ihre Formen wurden.
Seit frühester Jugend erfüllten ihn solche Vorstellungen mit Abscheu. Polzer hätte auch früher nicht mit Frauen verkehrt, wenn Karl, der dies nicht verstand, ihn nicht zu Frauen geführt und zum Verkehr mit ihnen gezwungen hätte. Polzer erbrach sich oft, wenn er das Haus verließ, in das ihn Karl geführt hatte. Schon als Knabe fürchtete er den Anblick der Frauen. Er wich Milka aus, weil ihm war, als ändere sich unter dem Flattern der losen Bluse, die den Blick anzog, unaufhörlich die Form ihrer runden Brüste. Er wagte nicht, nach Milkas Brüsten zu sehen. Als er von Karl erfuhr, daß die Burschen im Walde auf Milka warteten, vermied er, Milkas Hände zu berühren, wenn er allein im Laden war und das Geldstück von ihr in Empfang nehmen mußte. Denn ihm graute vor Milkas Händen. Milka merkte es wohl, daß er sie fliehe, und oft suchte sie ihn zu ergreifen und an sich zu ziehen. Einmal traf sie ihn auf der dunklen Treppe. Er drückte sich in die finstre Nische, in der an einem hölzernen Kreuz der Heiland hing. Er konnte nicht mehr entfliehen. Sie kam auf ihn zu, und sie lachte, denn sie sah, daß er sich fürchte. Ihre Hände ergriffen ihn. Er bewegte sich nicht. Sie nestelte an seinen Knöpfen. Polzer zitterte. Sie ergriff sein Geschlecht. Milka lachte, als sein Same kam, und gab ihm einen Schlag, daß er taumelte.
Schon als der Schatten der Tante aus der hellen Tür fiel, wußte Franz Polzer, daß die Nacktheit der Frau entsetzlich sei. Schon vor dem Schatten der Tante quälte ihn wie vor Frau Porges der entsetzliche Gedanke, daß dieser nackte Körper nicht verschlossen sei. Daß er in grauenvollem Schlitz bodenlos klaffe. Wie offenes Fleisch, wie die Schnittlappen einer zerrissenen Wunde. Nie wollte er die Bilder und Statuen von nackten Frauen in den Galerien sehen. Er wollte nie den nackten Körper einer Frau berühren. Ihm war, als sei da Unreinheit und widerwärtiger Geruch. Er sah Frau Porges nur am Tag in ihren Kleidern. Trotzdem quälte ihn die Vorstellung ihres dicken, nackten Leibes.
Wenn Frau Porges eintrat, sah Polzer in die Zeitung und vermied es, sie anzusehen. Trotzdem bemerkte er, wie sie von Jahr zu Jahr voller wurde. Manchmal fühlte er ihren Blick auf sich. Dann wagte er nicht, sich zu bewegen. Es war ihm immer unbegreiflich, wie es zu ihrem ersten Gespräch gekommen war. Er hatte geglaubt, daß auch sie ihn kaum beachte. Es geschah abends, als sie ihm das Essen brachte. Mit diesem Abend fing alles an.
Polzer saß vor dem Tisch, als sie eintrat. Er heftete den Blick auf die Zeitung, allein er las nicht. Unruhig wartete er, bis sich die Tür hinter ihr wieder schlösse. Er hörte ihren Schritt schon sich der Tür nähern. Plötzlich wußte er, daß sie an der Tür stehe und ihn ansehe. Er blickte fest in die Zeitung. Er fühlte, daß sie ein Wort von ihm verlange, aber er sagte es nicht. Er wollte warten und sich nicht bewegen, bis sie ginge. Da hörte er sie schluchzen. Er blickte auf. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und begann heftig zu weinen.
Es beunruhigte ihn, daß sie während des Weinens den Atem verlor und nach Luft schnappte. Er begriff, daß nun von seiner Seite etwas geschehen müsse, und stand auf. Er wußte sich nicht zu helfen. Ratlos forderte er sie auf, sich zu beruhigen und ihm den Grund ihres Schmerzes zu sagen. Frau Porges aber beruhigte sich nicht. Sie war zu Boden gesunken und schnappte immer beängstigender nach Atem. Da trat er auf sie zu und versuchte, ihre Hände vom Gesicht zu entfernen. Zugleich richtete er sie auf.
Sie hörte zu weinen auf und begann nun stockend und noch von Schluchzen unterbrochen zu sprechen. Sie leide, weil er zu ihr, einer verlassenen Witwe, so lieblos sei. Für ihn allein sorge sie und plage sie sich. In all den Jahren habe sie kein leises Wort des Dankes von ihm gehört.
Polzer hatte sich wieder von ihr entfernt und unterbrach sie nicht.
»Sie behandeln mich wie Ihren Dienstboten,« sagte sie.
Sie schwieg und schien eine Antwort zu erwarten.
»Es liegt mir fern, Frau Porges,« erwiderte er.
»Doch,« sagte sie, »wie man einen Dienstboten behandelt. Nie haben Sie mich gefragt, was ich tue, wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin, wie ich meinen Sonntag verbringe. Sie gehen fort, und ich bleibe einsam zu Hause.«
»Ich unterließ es, Frau Porges, weil ich daran nicht dachte und weil ich nicht wußte, daß Sie Wert auf meine Gesellschaft legen. Aber wenn es Ihnen beliebt, werden wir Sonntag miteinander einen Spaziergang unternehmen, Frau Porges.«
Sie sah Polzer freudig an. Er begriff erschrocken, was