ТОП просматриваемых книг сайта:
Selbstbiografie. Heinrich Schliemann
Читать онлайн.Название Selbstbiografie
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Heinrich Schliemann
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Da ich lange nichts von meinem Bruder Ludwig Schliemann gehört halte, der im Beginn des Jahres 1849 nach Kalifornien ausgewandert war, so begab ich mich im Frühjahr 1850 dorthin und erfuhr, daß er verstorben war. Ich befand mich noch in Kalifornien, als dasselbe am 4. Juli 1850 zum Staate erhoben wurde, und da alle an jenem Tag im Lande Verweilenden ipso facto naturalisierte Amerikaner wurden, so wurde auch ich Bürger der Vereinigten Staaten. Gegen Ende des Jahres 1852 etablierte ich in Moskau eine Filiale für den Engrosverkauf von Indigo zuerst unter der Leitung meines vortrefflichen Agenten, Alexei Matwejew, nach dessen Tode aber unter der seines Dieners Jutschenko, den ich zum Range eines Kaufmanns der zweiten Gilde erhob; denn aus einem geschickten Diener kann ja leicht ein guter Direktor werden, wenn auch aus einem Direktor nie ein brauchbarer Diener wird.
Da ich in Petersburg immer mit Arbeit überhäuft war, konnte ich meine Sprachstudien nicht weiterbetreiben, und so fand ich erst im Jahre 1854 ausreichende Zeit, mir die schwedische und polnische Sprache anzueignen.
Die göttliche Vorsehung beschützte mich oft in der wunderbarsten Weise, und mehr als einmal wurde ich nur durch einen Zufall vom gewissen Untergange gerettet. Mein ganzes Leben lang wird mir der Morgen des 4. Oktober 1854 in der Erinnerung bleiben. Es war in der Zeit des Krimkrieges. Da die russischen Häfen blockiert waren, mußten alle für Petersburg bestimmten Waren nach den preußischen Häfen von Königsberg und Memel verschifft und von dort zu Lande weiterbefördert werden. So waren denn auch mehrere hundert Kisten Indigo und eine große Partie anderer Waren von Amsterdam für meine Rechnung auf zwei Dampfern an meine Agenten, die Herren Meyer & Co., in Memel abgesandt worden, um von dort zu Lande nach Petersburg transportiert zu werden. Ich hatte den Indigoauktionen in Amsterdam beigewohnt und befand mich nun auf dem Wege nach Memel, um dort nach der Expedition meiner Waren zu sehen. Spät am Abend des 3. Oktober im Hotel de Prusse in Königsberg angekommen, sah ich am folgenden Morgen, bei einem zufälligen Blick aus dem Fenster meines Schlafzimmers, auf dem Turme des nahen«Grünen Tores« folgende ominöse Inschrift in großen vergoldeten Lettern mir entgegenleuchten:
Vultus fortunae variatur imagine lunae:
Crescit, decrescit, constans persistere nescit.
Ich war nicht abergläubig, aber doch machte diese Inschrift einen tiefen Eindruck auf mich, und eine zitternde Furcht, wie vor einem nahen unbekannten Mißgeschick, bemächtigte sich meiner. Als ich meine Reise mit der Post fortsetzte, vernahm ich auf der ersten Station hinter Tilsit zu meinem Entsetzen, daß die Stadt Memel am vorhergegangenen Tage von einer furchtbaren Feuersbrunst eingeäschert worden sei, und vor der Stadt angekommen, sah ich die Nachricht in der traurigsten Weise bestätigt. Wie ein ungeheuerer Kirchhof, auf dem die rauchgeschwärzten Mauern und Schornsteine wie große Grabsteine, wie finstere Wahrzeichen der Vergänglichkeit alles Irdischen sich erhoben, lag die Stadt vor unsern Blicken. Halbverzweifelt suchte ich zwischen den rauchenden Trümmerhaufen nach Herrn Meyer. Endlich gelang es mir, ihn aufzufinden – aber auf meine Frage, ob meine Güter gerettet wären, wies er statt aller Antwort auf seine noch glimmenden Speicher und sagte: »Dort liegen sie begraben.« Der Schlag war sehr hart: durch die angestrengte Arbeit von achtundeinhalb Jahren hatte ich mir in Petersburg ein Vermögen von 150 000 Talern erworben – und nun sollte dies ganz verloren sein. Es währte indessen nicht lange, so halte ich mich auch mit diesem Gedanken vertraut gemacht, und gerade die Gewißheit meines Ruins gab mir meine Geistesgegenwart wieder.
Das Bewußtsein, niemand etwas schuldig zu sein, war mir eine große Beruhigung; der Krimkrieg hatte nämlich erst vor kurzem begonnen, die Handelsverhältnisse waren noch sehr unsicher, und ich hatte infolgedessen nur gegen bar gekauft. Ich durfte wohl erwarten, daß die Herren Schröder in London und Amsterdam mir Kredit gewähren würden, und so hatte ich die beste Zuversicht, daß es mir mit der Zeit gelingen werde, das Verlorene wieder zu ersehen. Es war noch am Abend des nämlichen Tages: ich stand im Begriffe, meine Weiterreise nach Petersburg mit der Post anzutreten und erzählte eben den übrigen Passagieren von meinem Mißgeschick, da fragte plötzlich einer der Umstehenden nach meinem Namen und rief, als er denselben vernommen hatte, aus: »Schliemann ist ja der einzige, der nichts verloren hat! Ich bin der erste Kommis bei Meyer & Co. Unser Speicher war schon übervoll, als die Dampfer mit Schliemanns Waren anlangten, und so mußten wir dicht daneben noch einen hölzernen Schuppen bauen, in dem sein ganzes Eigentum unversehrt geblieben ist.« Der plötzliche Übergang von schwerem Kummer zu großer Freude ist nicht leicht ohne Tränen zu ertragen: ich stand einige Minuten sprachlos; schien es mir doch wie ein Traum, wie ganz unglaublich, daß ich allein aus dem allgemeinen Ruin unbeschädigt hervorgegangen sein sollte! Und doch war dem so; und das wunderbarste dabei, daß das Feuer in dem massiven Speicher von Meyer & Co., auf der nördlichen Seite der Stadt, ausgekommen war, von wo es bei einem heftigen orkanartigen Nordwind sich schnell über die ganze Stadt verbreitet hatte; dieser Sturm war denn auch die Rettung für den hölzernen Schuppen gewesen, der, nur ein paar Schritt nördlich von dem Speicher gelegen, ganz unversehrt geblieben war.
Meine glücklich verschont gebliebenen Waren verkaufte ich nun äußerst vorteilhaft, ließ dann den Ertrag wieder und immer wieder arbeiten, machte große Geschäfte in Indigo, Farbhölzern und Kriegsmaterialien (Salpeter, Schwefel und Blei) und konnte so, da die Kapitalisten Scheu trugen, sich während des Krimkrieges auf größere Unternehmungen einzulassen, beträchtliche Gewinne erzielen und im Laufe eines Jahres mein Vermögen mehr als verdoppeln.
Ich hatte immer sehnlichst gewünscht, Griechisch lernen zu können; vor dem Krimkriege aber war es mir nicht ratsam erschienen, mich auf dieses Studium einzulassen, denn ich mußte fürchten, daß der mächtige Zauber der herrlichen Sprache mich zu sehr in Anspruch nehmen und meinen kaufmännischen Interessen entfremden möchte. Während des Krieges aber war ich mit Geschäften dermaßen überbürdet, daß ich nicht einmal dazu kommen konnte, eine Zeitung, geschweige denn ein Buch zu lesen. Als aber im Januar 1856 die ersten Friedensnachrichten in Petersburg eintrafen, vermochte ich meinen Wunsch nicht länger zu unterdrücken und begab mich unverzüglich mit größtem Eifer an das neue Studium; mein erster Lehrer war Herr Nikolaos Pappadakes, der zweite Herr Theoklelos Vimpos, beide aus Athen, wo der letztere heute Erzbischof ist. Wieder befolgte ich getreulich meine alte Methode, und um mir in kurzer Zeit den Wortschatz anzueignen, was mir noch schwieriger vorkam als bei der russischen Sprache, verschaffte ich mir eine neugriechische Übersetzung von »Paul et Virginie« und las dieselbe durch, wobei ich dann aufmerksam jedes Wort mit dem gleichbedeutenden des französischen Originals verglich. Nach einmaligem Durchlesen hatte ich wenigstens die Hälfte der in dem Buche vorkommenden Wörter inne, und nach einer Wiederholung dieses Verfahrens hatte ich sie beinahe alle gelernt, ohne dabei auch nur eine Minute mit Nachschlagen in einem Wörterbuche verloren zu haben. So gelang es mir, in der kurzen Zeit von sechs Wochen die Schwierigkeiten des Neugriechischen zu bemeistern; danach aber nahm ich das Studium der alten Sprache vor, von der ich in drei Monaten eine genügende Kenntnis erlangte, um einige der alten Schriftsteller und besonders den Homer verstehen zu können, den ich mit größter Begeisterung immer und immer wieder las.
Nun beschäftigte ich mich zwei Jahre lang ausschließlich mit der altgriechischen Literatur, und zwar las ich während dieser Zeit beinahe alle alten Klassiker kursorisch durch, die Ilias und Odyssee aber mehrmals. Von griechischer Grammatik lernte ich nur die Deklinationen und die regelmäßigen und unregelmäßigen Verba; mit dem Studium der grammatischen Regeln aber verlor ich auch keinen Augenblick meiner kostbaren Zeit. Denn da ich sah, daß kein einziger von all den Knaben, die in den Gymnasien acht Jahre hindurch, ja oft noch länger, mit langweiligen grammatischen Regeln gequält und geplagt werden, später imstande ist, einen griechischen Brief zu schreiben, ohne darin Hunderte der gröbsten Fehler zu machen, mußte ich wohl annehmen, daß die in den Schulen befolgte Methode eine durchaus falsche war; meiner Meinung nach kann man sich eine gründliche Kenntnis der griechischen Grammatik nur durch die Praxis aneignen, das heißt durch aufmerksames Lesen klassischer Prosa und durch Auswendiglernen von Musterstücken aus derselben. Indem ich diese höchst einfache