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Eva Siebeck. Bertha von Suttner
Читать онлайн.Название Eva Siebeck
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Bertha von Suttner
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
»Doktor Hartung, liebe Eva, mein einstiger Mentor und mein treuer Freund. Allsommerlich macht mir Doktor Hartung die Freude, mich auf ein paar Monate zu besuchen und an meiner Erziehung nachzubessern. Ich glaube, er sieht immer noch einen schlimmen Buben in mir —«
»O, nach und nach wird sich vielleicht doch etwas aus Ihnen machen lassen, Graf Ralph,« scherzte der alte Herr. »Wenn man nur die richtige pädagogische Art und Ausdauer hat – —«
Irene trat hinzu.
»Soll ich Dich jetzt in Schloß und Garten herumführen, Eva?«
»Das hat Zeit, Kind.« sagte Siebeck. »Laß mir meine kleine Schwiegertochter noch ein Weilchen hier: ich möchte sie etwas näher kennen lernen. Setze Dich her, Eva – und laß uns plaudern.«
»So kommen Sie mit mir zum Klavier, Doktor Hartung, und benutzen wir die Viertelstunde, in welcher Onkel Ralph seine neue Tochter gründlich kennen lernt zu einer gründlichen Durchsicht der gestern angekommenen Noten.«
»Du, Eva,« rief Robert von der Ausgangsthüre her, »ich geh‘ jetzt fort, – werd‘ ein bissel im Meierhof nachsehen … und zum Jäger. Adieu allerseits.«
Eva hatte sich auf den ihr angewiesenen Sitz niedergelassen. Es war ein niederer Lehnstuhl inmitten einer der zahlreichen kleineren Möbelgruppen, die in regelloser Anordnung den Saal füllten: Dort ein Sopha, da eine Chaiselongue, hier ein mit Fauteuils umstellter großer Tisch; dazwischen Schirme, Lesepulte, Etagèren, kleinen Tischchen, Porzellankübel mit hohen Blattpflanzen und dergleichen mehr. Der Saal war länger als breit. In der Mitte führte eine Glasthür auf den Balkon. Zu beiden Seiten noch je zwei Fenster und spiegelbehängene Pfeiler. An den Schmalseiten der Wände, rechts und links von den in die Nebenzimmer führenden Thüren waren, statt der Tapeten vier hohe, bis an die Decke reichende Oelgemälde eingelassen, welche verschiedene, in Parkanlagen sitzende oder wandelnde überlebensgroße Figuren in Rococokostüm darstellten. An der hinteren, den Fenstern gegenüberliegenden Wand funkelte es von Konsolen, Wandleuchtern und venetianischen Spiegelrahmen. Auch die sehr hohe Decke, von der ein riesiger Kronleuchter herabhing, war mit künstlerischen Malereien geziert. Eva ließ mit Wohlgefallen, aber dennoch etwas zerstreut, ihren Blick über alle diese Dinge schweifen. Den Haupteindruck des umgebenden vornehmen Reichthums nahm sie mit Befriedigung wahr, aber die Einzelheiten beobachtete sie nicht – dazu waren ihren Gedanken zu sehr mit den neuen Familien- und Hausgenossen beschäftigt und von der Frage eingenommen: Wie wird sich mein Leben hier gestalten?
Da, wo sie saß, stand ihr zur Seite ein runder Tisch, auf welchen sie den Arm lehnte. Schräg gegenüber hatte sich Graf Ralph einen Sessel zurechtgeschoben.
Er rückte eine auf der Mitte des Tischteppichs stehende Blattpflanze etwas bei Seite:
»Dies verstellt mir die Aussicht auf Dich,« sagte er. »Und da ich Dich nun kennen lernen will, muß ich vor Allem Dein Gesichtchen studiren. Weißt Du, daß Du große Aehnlichkeit mit einer Frau besitzest, die mir vor Jahren sehr theuer gewesen —«
»Mit Roberts Mutter?«
»Nein, nein. Die ich meine, war eine Künstlerin – eine große Künstlerin. Sag‘, hast Du nicht vielleicht auch irgend ein Talent – übst Du keinerlei Kunst?«
Eva verneinte. »Das bischen Klavierspielen, das bischen Wasserfarbenmalen,« fügte sie hinzu, »verdient doch nicht so genannt zu werden.«
»Und hast Du Dich nie darnach gesehnt, irgend etwas Großes zu leisten, etwas Bedeutendes zu erreichen? Hochsteigender Ehrgeiz ist ja eine Kinderkrankheit, welcher wir Alle mehr oder minder ausgesetzt waren.«
»Wenn Du es so auffassest – dann habe ich allerdings auch einen solchen Anfall gehabt. Ich träumte – als ich zwölf bis vierzehn Jahre alt war – einst die größte Tragödin der Welt zu werden. Ich hatte mich an Schiller und Grillparzer begeistert. Mit welch‘ heldenhaftem Feuer wollte ich die Jungfrau von Orleans darstellen, mit welch‘ rührender Würde als Maria Stuart zum Schaffot gehen, mit welch‘ bezaubernder Koketterie als Eboli den Prinzen Carlos entzücken, wie tragisch als Sappho sterben, als Medea morden. Natürlich sind diese kindischen Ideen von meinen Eltern und von meiner eigenen erwachenden Vernunft rechtzeitig erstickt worden.«
»Wer weiß, ob das so vernünftig war! Vielleicht hattest Du wirklich Talent – obgleich der ehrgeizige Wunsch noch durchaus keine Bürgschaft dafür abgiebt.
Das ist nur so die Blüthekraft der Seele. Zum Licht, zum Glück, zum Glanz öffnen sich die knospenden Gefühle; – man will leben, lieben, siegen; man ist gedrängt, das Reichthumserbe der Nachwelt zu mehren – durch künstlerische Leistungen, durch unsterbliche Werke oder doch durch schöne und kräftige Nachkommen – und dabei glaubt das blühende Menschenkind, daß es blos seinem eigenen Ehrgeiz, seiner eigenen Liebessehnsucht fröhnte, während es doch nur im Dienste des allgemeinen Lebensentfaltungs- und Weltbereicherungsgesetzes wirkt … Du verstehst mich nicht – — verzeih, ich habe meine Gedanken nicht deutlich ausgedrückt. Was ich da sagte, war das Endglied einer langen Urtheilskette, die ich mir durch vieljährige Studien zurechtgeschmiedet habe – das läßt sich unmöglich mit ein paar Worten einem unvorbereiteten Geiste verdeutlichen.« —
»Und doch – mir ist, als hätte ich Dich einigermaßen verstanden,« entgegnete Eva. »Zwar nicht so. daß ich es wiedergeben könnte – es fuhr mir nur so wie ein Blitz durch den Geist – ein Blitz, der ein Stückchen ungekannten Horizonts erhellt hat … mir scheint, jetzt bin ich undeutlich.«
»Nicht doch: ich weiß recht gut, was Du sagen willst. Ich glaube, wir werden uns sehr gut verstehen, Klein-Eva. Verzeih – Du bist groß von Gestalt – aber ich habe das Bedürfnis, die Namen von Personen, die ich lieblich finde, zu verkleinern. »Eva« klingt gar so steif, und zwar so – wie soll ich sagen – menschengeschlecht-mütterlich, und Du hast so gar nichts von einer Stammmutter an Dir, Evelette – Evinka … siehst so frisch, so kindlich aus —«
»Ich bin doch schon bald vierundzwanzig – ein Jahr älter als mein Mann.«
»Ich weiß. Aber die Jahre thun es nicht —«
»Das sieht man an Dir, Pa – Nein, es geht nicht. Auch mir macht die Ansprache Schwierigkeiten. Wie Du mir nicht den Namen unserer ersten Mutter geben willst, so bin ich noch viel weniger im Stande, Papa oder Vater zu Dir zu sagen. Es will mir nicht über die Lippen.«
»So nenne mich bei meinem Taufnamen »Ralph«.
»Das ginge auch nicht an. Es wäre gegen allen gebührenden Respekt.«
»Wenn Dir um den Respekt zu thun ist, so rufe mich bei meinem Spitznamen, Der wurde mir – ich weiß gar nicht, aus welchem Anlaß, schon als Kind gegeben, und alle meine Schulkameraden, später viele meiner Freunde riefen mich so: – König.«
»Ja, das gefällt mir. Das paßt Dir – so werde ich Dich ansprechen können – mein freundlicher, mein gnädiger König!«
Noch ehe die zum Kennenlernen anberaumte Viertelstunde verflossen war, wurde Ralph abgerufen. Ein Diener meldete, der Herr Verwalter sei gekommen, einen Forstamtsbewerber vorzustellen und die Herren warteten in Seiner gräflichen Gnaden Arbeitszimmer.
Ralph stand auf: »Du verzeihst, Evinka. Ich muß jetzt an mein Tagesgeschäft gehen. Bei Tische – wir speisen um sechs – können wir unsere Unterhaltung fortsetzen. Du wirst jetzt wohl Irenens Führerschaft annehmen, um Dich ein wenig in Haus und Garten umzusehen? Iri,« rief er zum Klavier hinüber, »genug der Wühlerei in den Noten, Du wirst gebraucht. Und Sie, Hartung, kommen Sie mit mir – Sie sind ein Menschenkenner – helfen Sie mir, Herz und Nieren eines Forstadjunkten zu prüfen.«
Darauf hin, nachdem die beiden Herren sich entfernt hatten, schob Irene Evas Arm unter den ihren:
»Also komm,« sagte sie, »jetzt will ich Dich mit Deinem neuen – meinem alten – Heim bekannt machen.«
»Vor Allem, ehe wir weiter gehen, sei mein Cicerone in diesem Saal. Sind die Bilder dort Familienportraits? Ich bemerke nämlich, daß jener Herr in der goldgestickten rosa Atlasweste große Aehnlichkeit mit Kö—, mit meinem Schwie—,