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Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas. Balduin Mollhausen
Читать онлайн.Название Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Balduin Mollhausen
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Das Passagierbillett, das mir auf der Agentur der Dampfschiffahrts-Gesellschaft eingehändigt wurde, lautete auf das Dampfboot »Central-Amerika«. Hier teilte man mir indessen zu gleicher Zeit Befürchtungen über das Schicksal dieses Schiffes mit, das schon mehrere Tage über die sonst gewöhnliche Dauer seiner Reise von Aspinwall nach New York ausgeblieben war. Nur zu begründet erwiesen sich diese Befürchtungen, denn zu den telegrafischen Depeschen aus den südlichen Hafenstädten über einen furchtbaren Orkan gesellte sich endlich die schreckenerregende Nachricht, daß die »Central-Amerika« mit 500 Passagieren im Sturm untergegangen sei. Von da ab liefen über das entsetzliche Unglück von verschiedenen Punkten an der Küste nähere und umständlichere, freilich oft genug sich widersprechende Berichte ein, die größtenteils von Passagieren herrührten, welche von anderen Schiffen aufgefischt und gerettet worden waren. Natürlich versäumte die Dampfschiffahrts-Gesellschaft nicht, in allen Zeitungen das mutige und umsichtige Benehmen des Kapitäns und seiner Leute mit Lobeserhebungen zu überschütten, doch war dies so zwecklos wie übel angebracht; denn ebensowenig wurden durch nachträgliche schöne Worte der brave Kapitän Herndon und alle mit ihm Verunglückten den trauernden Ihrigen wiedergegeben, als es der gewissenlosen, gegen alles außer dem Geld gleichgültigen Aktiengesellschaft gelang, den Schrei des Entsetzens und des Vorwurfs zu unterdrücken, der sich in den gesamten Vereinigten Staaten gegen sie erhob. Es stand fest, daß die »Central-Amerika« gesunken war, weil man notwendig gewordene Reparaturen nicht hatte sehen oder das Geld für Wiederherstellung der Schäden nicht hatte ausgeben wollen.
Als das Dampfboot nämlich die gefürchteten Bahama-Bänke schon hinter sich hatte, wurde es während eines heftigen und anhaltenden Orkans leck, doch nicht so sehr, daß es nicht noch einige Tage über dem Wasser hätte gehalten werden können. Bei dem Versuch, die mit den Dampfmaschinen in Verbindung stehenden Pumpen in Bewegung zu setzen, stellte es sich indessen heraus, daß sich keine einzige derselben in brauchbarem Zustand befand. Das Wasser stieg daher schnell in den unteren Räumen und löschte die Feuer unter den Kesseln aus, worauf das Boot, der Dampfkraft beraubt, dem Steuer nicht mehr zu gehorchen vermochte und ein vollständiges Spiel des wütenden Orkans und der sich wild brechenden Wogen wurde. Stundenlang trieb das unglückliche Fahrzeug noch umher, ja es gelang einer Brigg noch, die Frauen und Kinder zu retten, worauf die »Central-Amerika« in die Tiefe sank und 480 Menschen, fast angesichts der Küsten ihres Heimatlandes, mit hinabriß. Für die Aktiengesellschaft war das Unglück von geringerer Bedeutung, denn das Dampfboot war versichert, das Überfahrtsgeld schon in Kalifornien von den Umgekommenen eingezogen worden, und auf das blühende Geschäft dieser Linie konnte der Unfall keinen besonders nachteiligen Einfluß ausüben, indem nach Eingehen der Tehuantepec-Linie für Passagiere und Güter außer der Straße um das Kap Hoorn allein die Panama-Route nach Kalifornien offen blieb.
Inwieweit man aus diesem verschuldeten Unglück eine Lehre zog, beweist am besten, daß anstelle der »Central-Amerika« die »Northern Light«, ein früher zur Tehuantepec-Linie gehöriges Dampfboot, eingeschoben wurde, das während 27 Monaten zur Reparatur im Dock gelegen hatte und von dessen Sicherheit niemand überzeugt war. Wohl aber wußte man, daß von den vier Dampfkesseln nur zwei beheizt werden konnten und die übrigen sich in schadhaftem Zustand befanden. Der Gedanke vielleicht, daß höchst unwahrscheinlich zwei Schiffe hintereinander auf derselben Route untergehen würden, wohl mehr aber noch der Wunsch, durch eine eingestellte oder aufgeschobene Reise keine vorteilbringenden Kontrakte zu brechen, ermutigte die Gesellschaft. Die »Northern Light« wurde mit schnell trocknender Farbe überstrichen, Kohlen und Lebensmittel an Bord gebracht, und am 21. September verließ das schöne und sichere Schiff, wie die Zeitungen es nannten, mit Fracht und einer vollen Zahl von Passagieren den Hafen von New York.
Die Äquinoktialstürme, die in diesem Jahr mit ungewöhnlicher Heftigkeit auftraten, sowie die Gewitter, die besonders zur Nachtzeit schnell aufeinander folgten, machten den ersten Teil unserer Reise sehr unangenehm. Wir erblickten in nebliger Ferne mitunter die Küste, wir sahen das von den Schiffern so gefürchtete Kap Hatteras, wir steuerten zwischen den Bahama-Bänken hindurch und nahmen überall die Trümmer von gescheiterten Schiffen wahr und vielleicht manche, an denen sich mit letzter Kraft ein Ertrinkender angeklammert hatte, ehe er sich zu den vielen Opfern gesellte, die das Meer in diesem Jahr forderte. Erst im Golf von Mexiko, wo ruhigeres Wetter unsere Fahrt begünstigte und dadurch die Passagiere die Seekrankheit abschüttelten, schwand die gedrückte Stimmung, die durch die neuesten Ereignisse bei allen mehr oder weniger aufgetreten war.
Am 28. September in der Frühe näherten wir uns dem stolzen Hafen des palmenbeschatteten Havanna. Es war mir eine zu kurze Aussicht auf die Befestigungen an der Einfahrt vergönnt, um hier eine vollständige Beschreibung derselben geben zu können; ich stand auf dem Verdeck, mit den Augen die reizenden Bilder zu beiden Seiten gleichsam verschlingend, an denen ich wie im Flug vorübergetragen wurde. Die gelblichweißen Mauern, die zierlichen Türmchen, die langen Reihen der Schießscharten, die schwarzen Schlünde der Kanonen, die friedlich lächelnden Hügel, die sich feierlich wiegenden Kronen der Palmen — alles, alles bemerkte ich, jedem einzelnen Gegenstand schenkte ich einen Blick, bis mir ein Wald von Masten die Aussicht rückwärts entzog. Doch auch hier wurde ringsum die Aufmerksamkeit gefesselt, denn in dem geräumigen Becken des Hafens, gerade vor der Stadt, lagen wie schlafende Ungeheuer die schwerbewaffneten Schiffe der dort stationierten spanischen Flotte. Die »Northern Light« brauste vorbei an schwerfälligen Dreideckern, an scharfbugigen Fregatten und Kriegsdampfern; von den Masten wehte die spanische Flagge, und umfangreiche Baldachine waren zum Schutz gegen die senkrechten Strahlen der Sonne über den Verdecken ausgespannt. Nahe einem Steinkohlenmagazin hielt unser Dampfboot endlich in seinem Lauf inne, der Anker fiel, von der Flotte herüber schallte Trommeln und Pfeifen, es war 12 Uhr, und ich konnte lange Reihen weiß uniformierter Soldaten wahrnehmen, die sich im Paradeschritt auf den verschiedenen Verdecken bewegten.
Gern wäre ich gelandet, ich hätte so gern in der großen Stadt mit den buntfarbigen Häusern und den sonnigen Dächern umherstreifen mögen, gern hätte ich mich unter die trägen, leichtbekleideten Spaziergänger auf dem Kai gemischt, doch donnerte von seinem hohen Standpunkt herab unser Kapitän: »Kein Passagier verläßt das Schiff!« Er hatte recht; denn drüben unter sonnigen Dächern und zwischen kühlen Mauern, auf den glühenden Straßen und im Schatten dunkelgrüner Bäume, unter den breiten Sombreros der Männer und unter den wehenden Rebosos der Frauen, überall grinste dem Fremden ein gräßlicher, ein erbarmungsloser Feind entgegen — das Gelbe Fieber. Meine Erfahrungen in Havanna mußten sich daher auf das beschränken, was ich oben vom Deck der »Northern Light« aus wahrzunehmen vermochte, und es erscheint mir daher Havanna in der Erinnerung wie ein schönes Bild, vor dem ich sinnend und bewundernd gestanden hatte. — Gegen 4 Uhr nachmittags wurden die von New Orleans kommenden Passagiere von der Quarantäne an Bord unseres Bootes geschafft, einige Salutschüsse weckten das Echo in den nahen Hügeln, und bald darauf wiegte sich die »Northern Light« auf den Wogen des falschen Karibischen Meeres.
Am l. Oktober erblickten wir die Höhen von Porto Bello, und wenige Stunden später befanden wir uns vor der Bai, in der fast versteckt Aspinwall, der Landungsplatz der Dampfboote, liegt. Es war schon vollständig dunkel, als wir uns dem Hafen näherten, so daß durch Signalfeuer und Raketen unserem Kapitän die einzuschlagende Richtung angegeben werden mußte. Nach manchem Hin- und Herfahren lag die »Northern Light« endlich regungslos im Hafen, und ohne Zeitverlust begannen unsere Seeleute die Güter auszuladen, die von einer Anzahl farbiger Arbeiter in Empfang genommen und sogleich auf Eisenbahnwagen verpackt wurden. Ich benutzte den Abend zu einem Ausflug nach der Stadt, doch unbekannt mit der Örtlichkeit mußte ich bald davon abstehen, denn die Straßen