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      Jetzt sprang auch der Bruder hinzu, bückte sich und riß den Flossenträger an sich. Dunkelrot war das weiße Gesicht des Mönches übergossen. Es blieb unentschieden, ob vor Anstrengung oder weil er den feinen Mund des Fischerssohnes in befriedigtem Triumph lächeln sah.

      »Unsinniger«, zürnte er in ehrlichem Unwillen, »Gottes gedeihliche Gabe vernichten? Oh, ich sehe, ich bin zu schwach gegen den bösen Geist, der in dir wohnt. Geh mir aus den Augen und kehre so bald nicht wieder.«

      Einen Augenblick blieb es still zwischen den dreien, dann wandte sich Pater Franziskus, den Fisch noch immer in den flachen Händen, und stieg mit weiten Schritten die Grasstufen in die Höhe. Bald mußte er das kaum mannshohe Pförtlein in der Mauer erreicht haben. Da geschah etwas Unerwartetes.

      Ebenso schnell wie Claus Beckera in Zorn und Wut hineingerast war, so erfaßte ihn jetzt eine verzweifelte Reue. Urplötzlich füllten sich seine funkelnden Augen mit Tränen, und unbekümmert darum, ob seine kleine Gefährtin sein Handeln begriffe, stürzte er auf die unterste Stufe nieder, wo er die Arme wild emporwarf, als könnte er so den Entweichenden zurückhalten.

      »Tu das nicht, Geweihter«, schluckte er schmerzzerrissen. »Ich hab' dich lieb. Und wer soll mir die Hand auf die Stirn legen, wenn mich die Schmerzen quälen, die mich blind machen? Nein, tu das nicht. Geweihter – tu das nicht.«

      Noch zitterte die Klage dieses wahrhaftigen Knabenschmerzes unter den sonnenstillen Bäumen, noch hatte sich der leicht gerührte Bruder nicht völlig gewandt, da klang in der Schwärze des Waldes ein Horn. Zugleich hörte man den Hufschlag der Rosse.

      Einen Augenblick wurzelten die drei auf der grünen Lichtung fest. Dann geriet Leben in den Mönch, und während er die Scholle eilfertig auf einen Mauervorsprung zu betten suchte, segnete er Gott im stillen für die gelegene Unterbrechung. Wohltätig enthob sie ihn der begehrten Versöhnung mit dem aufgeregten Knaben.

      »Sie kommen«, rief er dem verblüfften Fischer zu, der ohnehin alles, was bis dahin geschehen, längst vergessen hatte. Ungestüm war er aufgesprungen, um nun, fiebernd vor Neugier, das dicke Gehölz zu durchdringen.

      »Vier – fünf – zehn Pferde«, zählte er, »sieh – sieh, Anna, Stahlpanzer und seidene Mäntel.«

      »Dänische Herren«, berichtete der Bruder erregt und strich sich die weiße Kutte glatt, »reiten auf Tagfahrt nach Stralsund und nehmen zur Nacht hier Obdach.« Gespannt drängten sich die Kinder an beide Seiten ihres Freundes. Kaum konnte er sich ihrer erwehren.

      »Dänen?« stammelte Claus zweifelhaft. Denn er vermochte nicht mit Sicherheit anzugeben, wo jene Völkerschaft seßhaft wäre. »Was treiben die in Stralsund?«

      Doch der Mönch schüttelte ihn ab, ohne den stets regen Eifer des Wißbegierigen befriedigen zu wollen.

      »Wozu brauchst du das erfahren, Claus?« weigerte er sich vorsichtig. »Was kümmern dich die Händel von Königen und Herren? Diesmal zwar handelt es sich um eine gerechte Sache«, setzte er mehr für sich hinzu, »gilt es doch, die Horde der gesetzlosen Schuimer zu vertilgen.«

      Da packte ihn der Knabe heftig am Kleid. »Was sind Schuimer?« drängte er ungebärdig. »Sag es mir.«

      Der Mönch erschrak. Gar zu wild brannten die dunklen Knabenaugen in die seinen. Das geheimnisvolle Wort, das im Volk für die unter der schwarzen Flagge Herumstreifenden umging, schien in der unbeherrschten Seele ein Feuer entzündet zu haben. Wieder rettete der Pater seine Verlegenheit hinter strenge Abweisung.

      »Schweig«, befahl er. »Was schiert sich ein Sasse, der von der Herrschaft gut gehalten wird, um die von jedem Ehrsamen gemiedene Brut der Friedlosen? Danke Gott im stillen dafür – der du ein nährend Gewerbe und einen sicheren Platz hast –, daß die Fürsten und Städtischen dem wüsten Drang ein Ende machen wollen. Merk dir, Bursche, solange das Gelichter nicht von der See fortgefegt wird, solange kannst du, wenn du ehrlich bist, unter deinem Dach nicht ruhig schlafen.«

      Schon wurden die bunt geschirrten Rosse unter den Stämmen sichtbar. So blieb Pater Franziskus nur noch Zeit, die Kinder beiseitezuschieben und den wesenlos Gaffenden gutmütig zuzuflüstern:

      »Schaut auf die Vordersten. Ja, die beiden. Das sind die Gesandten der Königin. Der Drost Reichshofmeister Henning von Putbus. Und der Hauptmann Konrad von Moltke. Gar stolze und mächtige Herren.«

      Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte Claus Beckera nun das sich entwickelnde farbige Bild. Er merkte nicht einmal, wie er dabei krampfhaft die Hand seiner kleinen Gefährtin ergriffen hatte. So übergewaltig, so betörend wirkte auf ihn der goldige Glanz der Großen. Allmählich spann sich ein feines, unwirkliches Netz vor seine hinstarrenden Blicke, und er zuckte beinahe schmerzhaft zusammen, sobald aus dem Gewebe ein besonders greller Blitz auf ihn zuschoß. Da –

      Trat aus der Pforte über den Grasstufen nicht der Abt mit seinem Prior hervor? Beides hinfällige Greise. In seinem schneeweißen Gewand, das goldene Kreuz klappernd auf den dürren Gliedern, trippelte das Männchen, achtsam auf jedem Absatz die Schleppe hebend, auf den ersten der Reiter zu, um endlich dem Reichshofmeister mit zitternder Hand einen silbernen Pokal entgegenzureichen. Auf breitem Gaul saß der Drost zurückgelehnt, die überlangen Beine gewaltig gespreizt, denn die flickenreiche Zaddeltracht beengte den hochaufgeschossenen Mann. Zwiefältig war das Staatskleid zusammengesetzt, auf der linken Seite rot, auf der rechten gelb, während Arme und Beine umgekehrt bekleidet waren. Dazu saß ihm eine ungeheure blaue Wulsthaube auf dem verkerbten Haupt, von der ihm noch eine riesige blaue Fahne fast bis an die Knie hinunterfloß. Man sah ihm an, der lange Ritt hatte ihm heiß gemacht, denn er schob luftschöpfend an dem schwarzen Ledergürtel unterhalb seiner schmalen Hüften herum, und wenn die tiefliegenden lauernden Augen nicht widersprochen hätten, so hätte man den Reichshofmeister der Königin Margaretha für einen abgedienten und eitlen Höfling halten können. Aber die Augen wohnten ihm unter graustruppigen Brauen wie der Fuchs in seinem Bau. Aufmerksam, sprungbereit. Und über die verschrumpfte Stirn flog manchmal ein erhellender Blitz. Nicht umsonst ging die Sage, diese vermorschte, im Winde schwankende Leiter hätte die Sprossen geboten, auf denen die zierlichen Füße seiner Königin bis in die kältesten Höhen der Staatskunst emporgeklettert wären. Doch die Sage fügte ihm Unrecht zu, denn er selbst hatte in dem fürstlichen Frauengemach erst die unmerklichen Windungen und herzenskühlen Methoden gelernt, die die nordische Welt jetzt in Spannung hielten.

      Von ganz anderer Art war sein Gefährte, der dicht neben ihm seinem gescheckten Schimmel wuchtig den schweißenden Hals klopfte. In einem verregneten Lederkoller hockte der Hauptmann Konrad von Moltke auf seinem abgetriebenen, sehnigen Gaul. Sein linkes, von einem grünen Strumpf umspanntes Bein hatte er lässig in die Höhe gezogen, so daß er den Arm darauf stützen konnte. Und auf diesem ruhte wieder der völlig kahle, in der Sonne glänzende Schädel, unter dem eine krumme Geiernase rauflustig und hochmütig in die Welt stach. Die eiserne Sturmhaube, die den beinernen Totenkopf wohl allzusehr drücken mochte, hing ihm schaukelnd vom Sattel, und die rot verschwollenen Augenlider blieben hartnäckig geschlossen, vielleicht vor Müdigkeit, vielleicht aus Abneigung gegen das Mönchsgesindel, dem seine Herrin so auffallende Bevorzugung erwies. Man munkelte da allerlei. Der verkniffene Mund des Dänen jedoch redete laut von Geiz und Beutesucht.

      »Er sieht aus wie der Seeadler, wenn man ihm die Federn ausgerupft hat«, dachte Claus Becker« staunend, ohne den gierigen Blick von dem Knochenmann abwenden zu können.

      Inzwischen hatte sich die hinfällige Kinderfigur des Abtes auf den Zehen aufgerichtet. Ängstlich vor dem scharrenden Braunen ausweichend, reichte er dem Reichshofmeister seinen Becher dar. Das Männchen, dem ein paar einzelne graue Locken verloren um die Stirn flatterten, machte unverkennbar den Eindruck, als ob er sich hinter seinen Pergamentrollen wohler fühle als bei dieser ungewohnten Staatshandlung.

      »Herr Henning von Putbus«, lispelte er ohne Mark und kaum hörbar, »Reichshofmeister und Drost der großmächtigen – – –«

      Hier klatschte der Knochenmann seinem Gaul höchst wuchtig gegen den Hals und kniff seine Lider immer unbegreiflicher zusammen.

      Der Abt verwirrte sich.

      »Der

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