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Der Waldläufer. Gabriel Ferry
Читать онлайн.Название Der Waldläufer
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Gabriel Ferry
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
»Er selbst«, antwortete Tiburcio.
»Das ist also der Name, den er hier angenommen hat?« unterbrach sie plötzlich die Stimme Pepes, der sich in die Höhe richtete, um an der Unterhaltung teilzunehmen.
»Solltet Ihr ihn etwa zufällig kennen?« fragte der junge Mann.
»Jawohl«, erwiderte Pepe; »er ist ein alter Bekannter von mir, mit dem ich noch eine rückständige Rechnung ins reine zu bringen habe, und gerade deshalb habt Ihr mich auch unter diesem Himmelsstrich gefunden. Wenn Ihr mehr von ihm zu wissen wünscht und er etwa zufällig dem Messerstoß, den Ihr empfangen habt, nicht fremd geblieben wäre, so will ich es Euch später erzählen und werde Euch auch gut zur Hand gehen können. Doch jedes Ding hat seine Zeit, und das wichtigste ist jetzt, zu schlafen, um auf jedes Ereignis vorbereitet zu sein.«
»Noch einen Augenblick, Pepe, noch einen Augenblick!« sagte der Kanadier in guter Laune. »Es sieht fast aus, als ob du im Sinn hast, deinen Beinamen ›der Schläfer‹ zu rechtfertigen. Höre mich einen Augenblick! Dieser junge Mann hat uns vorgeschlagen, ihn nach einer so reichen Goldmine zu begleiten, daß man sich nur zu bücken braucht, um das Gold aufzunehmen.«
»Demonio!« rief Pepe. »Du hast es doch angenommen, denke ich?«
»Im Gegenteil – ich habe es ausgeschlagen.«
»Und du hast unrecht daran getan, Bois-Rosé; die Sache verdient Überlegung! Aber wir wollen später davon sprechen; für den Augenblick nehme ich wie gewöhnlich das Nötigste zuerst vor.«
Nach diesen Worten legte sich Pepe alsbald nieder, und das Geräusch seines Atemholens bewies bald, daß er wieder eingeschlafen war.
22. Das Wiedererkennen
Tiburcio wünschte sich Glück, daß er sich in der Hoffnung, die das zufällige Zusammentreffen mit den beiden Jägern ihm eingeflößt hatte, nicht gänzlich getäuscht sah.
Bois-Rosé nahm das Wort. »Wie Ihr seht«, sagte er, »werdet Ihr in meinem Freund Pepe einen Mann finden, der bereit ist, sich mit Euch gegen diesen Don Estévan zu verbinden; was so viel bedeuten will, daß ich Euch auch nicht mehr fehlen werde, denn seine Feinde sind auch die meinigen. Ich habe also das Glück, da die Dinge so stehen, Euch die Hilfe einer guten Büchse, die ihr Ziel nicht verfehlt, anbieten zu können; aus ganz besonderen Gründen habe ich niemals einen jungen Mann Eures Alters von Gefahren bedroht zu sehen vermocht, wie es bei Euch der Fall gewesen ist und noch ferner sein wird, ohne ein lebhaftes Bedauern zu empfinden, mich nicht auf seine Seite schlagen zu können. Ihr könnt also doppelt auf mich rechnen und werdet sehen, daß der Himmel Euch einen Freund gesandt hat, der wohl ebensogut ist als ein anderer.«
Während er so sprach, schien der kanadische Jäger aufmerksam den Kolben seiner langen Büchse zu betrachten, und zum erstenmal bemerkte Tiburcio, daß er mit einer Menge rätselhafter Zeichen, die mit der Spitze eines Messers eingraviert waren, bedeckt war.
»Ach«, sagte Bois-Rosé, der den Blick des jungen Mannes, den dieser auf die verschiedenförmigen Kerben richtete, bemerkte, »Ihr zählt ohne Zweifel meine Skalpe?«
»Eure Skalpe?« wiederholte mit erstaunter Miene Tiburcio, der die Sitten der sonderbaren Klasse von Menschen, zu der der Jäger gehörte, nicht kannte.
»Sehr richtig!« erwiderte der Kanadier. »Die Indianer, die Heiden sind, zählen die Menge ihrer Schlachtopfer nach der Anzahl der Skalpe, die sie genommen haben; aber wir anderen Waldläufer, wir zählen unsere Siegestrophäen, wie es sich für Christen geziemt. Diese Kreuze bedeuten die Feinde, die ich im ehrlichen Kampf auf dem Kriegspfad, wie die Indianer sagen, getötet habe.«
»Aber ich sehe wenigstens zwanzig solcher Kreuze!« rief Tiburcio.
»Nähmt Ihr das Doppelte, so würdet Ihr Euch doch noch um einige verrechnen«, erwiderte lächelnd der Jäger. »Seht, diese Kreuze mit einem Querstrich bezeichnen die Apachen, und Ihr werdet ihrer etwa zehn zählen. Diese doppelten Kreuze – und es sind ihrer sieben – wollen sagen, daß ebenso viele Sioux-Indianer ihren Todesschrei ausgestoßen haben. Diese Kreuze mit doppeltem Querstrich sind Pawnees, die ich in das Land der Geister gesandt habe; laßt sehen – es sind acht. Diese Sterne – vier an der Zahl – sind Crows, die jetzt in der Ewigkeit jagen. Ach«, fuhr der Kanadier fort, indem er neun parallele Striche zählte, »hier sind gerade so viele Flachköpfe, die dank meiner Bemühung niemand mehr bestehlen werden; endlich diese kreisförmigen Zeichen, die ich nicht zähle, sind Schwarzfüße, die für immer den Jagdgründen der Prärien lebewohl gesagt haben. Nun frage ich Euch, was ich wohl mit all diesen Skalpen hätte machen sollen? Ich überlasse solche Trophäen der indianischen Eitelkeit«, schloß der Waldläufer sehr naiv.
Tiburcio hörte diesen Triumphgesang des ehrlichen Kanadiers mit ebenso großem Erstaunen an, als einst der Schreiber dieser Zeilen empfand, als einer dieser schrecklichen Indianertöter ihn auf dem Schaft seiner Büchse zweiundfünfzig Gedenkstriche zählen ließ, die er während seiner Reisen und Kämpfe an den Grenzen Nordamerikas und Mexikos eingeschnitten hatte.
»Wohlan«, nahm der Kanadier wieder das Wort, »hatte ich unrecht, Euch zu sagen, daß Ihr auf einen Freund zählen könnt, der wohl soviel wert ist als ein anderer?« Und die Tat mit dem Wort verbindend, reichte der Kanadier Tiburcio seine breite Hand mit einem Ausdruck von Freimütigkeit und Ehrlichkeit, die beredter für ihn sprach als sein Mund; und dieser letztere dankte ihm in der verzweifelten Lage, in der er sich befand, mit überströmenden Gefühlen.
»Eine geheime Stimme«, fügte er hinzu, »sagte mir, daß dieses Licht, das ich oben von der Hacienda her im Wald blitzen sah, ein freundliches für mich sein mußte.«
»Ihr habt Euch nicht getäuscht«, erwiderte Bois-Rosé. »Aber verzeiht bitte einem alten Mann Fragen, die Euch vielleicht indiskret erscheinen: Habt Ihr, so jung, schon keinen Vater mehr, bei dem Ihr Zuflucht suchen könntet?«
Eine lebhafte Röte bedeckte bei dieser Frage die Wangen Tiburcios, der einen Augenblick schwieg und kurz darauf erwiderte: »Warum sollte ich Euch nicht – überall von Feinden umgeben, von einem Mädchen verschmäht, das ich noch liebe – gestehen, daß ich allein auf der Welt stehe, daß ich weder Vater noch Mutter habe?«
»Sie sind tot?« sagte Bois-Rosé mit teilnehmender Miene.
»Ich habe sie niemals gekannt!« antwortete der junge Mann mit leiser Stimme.
»Ihr habt sie niemals gekannt, sagt Ihr?« rief der Kanadier, sprang plötzlich auf, ergriff einen noch flammenden Feuerbrand und beleuchtete damit das Antlitz Tiburcios.
Dieser Feuerbrand, so leicht er auch war, schien doch zentnerschwer in der Hand des Riesen zu wiegen, so sehr schwankte seine Hand von krampfhaftem Zittern, als er nach und nach mit der Flamme alle Teile seines Gesichts beleuchtet und ihn mit einer Stimme, die die Aufregung ebenfalls zittern ließ, fragte: »Aber Ihr wißt wenigstens, in welchem Land Ihr geboren seid?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Tiburcio. »Aber warum all diese Fragen? Welches Interesse könnt Ihr an Ereignissen nehmen, denen Ihr doch fremd sein müßt, da Ihr ein Fremder in diesem Land seid?«
»Fabian! Fabian!« sagte Bois-Rosé, der, ohne es zu wollen, den Ausdruck seiner rauhen Stimme milderte, als ob er zu einem kleinen Kind spräche. »Was ist aus dir geworden?«
»Fabian? Ich kenne diesen Namen nicht… Fabian!« wiederholte Tiburcio, dessen Erstaunen sich bei dieser Anrede verdoppelte, während der Kanadier forschende Blicke auf ihn warf und mit der Hand den Nebel entfernen zu wollen schien, der seine Augen verdunkelte.
»O