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blickte ihn fragend an. Aber er antwortete nicht, er sah, daß sie fror.

      »Werft die Decke herab!« rief er.

      Man schien ihn jetzt nicht zu verstehen. »Was heißt auf grönländisch Decke?« fragte er.

      »Kepik.«

      »Kepik!« rief er hinauf.

      Eine wollene Decke wurde hinabgeworfen. Saltner schlug den Pickel fest in die Wand und beugte sich weit vor, um sie aufzufangen. Es gelang. Er hüllte La hinein. Er zog seine Feldflasche heraus, die er vorsorglich aus den geretteten Reisevorräten mit Kognak gefüllt hatte. La wußte zwar damit nicht Bescheid, aber er flößte ihr etwas von dem feurigen Getränk ein, das ihr sehr wohltat.

      Er berichtete kurz. Sein Ausflug war ohne entscheidenden Erfolg geblieben. Der fragliche Gegenstand war eine der im Ballon befindlichen Decken gewesen, dieselbe, die La jetzt einhüllte. Aber ob sie von Torm mitgenommen und dort zurückgelassen war oder ob sie aus dem Ballon bei seinem Flug verloren und vom Wind hingetrieben worden war, ließ sich nicht feststellen; das letztere war sogar das wahrscheinlichere. Dabei hatte sich überraschenderweise herausgestellt, daß der Sohn des Eskimos einige Worte deutsch verstand. Er war ein Jahr in Diensten deutscher Missionare auf Grönland gewesen und hatte einzelne Worte aufgefaßt, als Saltner mit La deutsch sprach. Nur hatte er in Gegenwart der Martier nicht gewagt, dies zu erkennen zu geben.

      Endlich erschienen die Martier wieder am Rand der Spalte. Ein zweites Seil wurde herabgelassen. Saltner machte einen erträglichen Sitz zurecht, und indem er La stützte und mit dem Eispickel beide von der Wand fernhielt, wurden sie glücklich an die Oberfläche befördert.

      »Ich weiß, was ich Ihnen verdanke«, sagte La.

      Eine tiefe Erschöpfung ergriff sie, und sie mußte bis an das Boot getragen werden.

      Man trat sofort die Heimfahrt an.

      11 - Martier und Menschen

      Der September hatte begonnen. Noch immer beschrieb die Sonne ohne unterzugehen den vollen Kreis des Himmels, aber sie stand nur noch wenige Grad über dem Horizont. Schon streifte sie nahe an die höchsten Gipfel der Berge, welche an einzelnen Stellen die Steilufer des Polarbassins überragten. Der lange Polartag neigte sich seinem Ende zu. Wie in einem ewigen Untergang wanderte der riesige Glutball der Sonne rings um die Insel, meist drang sie nur strahlenlos wie eine rote Scheibe durch die Nebel, und ein breites, rosig glühendes Band zog sich durch die leise wogenden Fluten ihr entgegen und folgte ihrem Lauf als ein natürlicher Stundenzeiger um den Pol.

      Die beiden deutschen Nordpolfahrer verbrachten ihre Tage wie in einem köstlichen Märchen. Hätte nicht der Gedanke an den verlorenen Gefährten auf ihre Stimmung niederdrückend gewirkt und den Genuß der Gegenwart gedämpft, nichts Freudigeres und Erhebenderes wäre denkbar gewesen als der beglückende Verkehr mit den Bewohnern der Polinsel, die, wie sie jetzt erfuhren, den Namen Ara führte, zu Ehren des ersten Weltraumschiffers Ar.

      Die Martier behandelten die beiden Erdbewohner als ihre Gäste, denen jede Freiheit gestattet war. Gegenüber den kleinen, unansehnlichen, schmutzigen und tranduftenden Eskimos erschienen ihnen die stattlichen Figuren der Europäer in ihrer reinlichen Tracht schon äußerlich als Wesen verwandter Art. Nicht wenig trug dazu die körperliche Überlegenheit bei, welche die Martier, sobald sie sich nicht im Schutz des abarischen Feldes befanden, an den Menschen anerkennen mußten. Aufrecht und leicht schritten diese einher und verrichteten spielend Arbeiten, denen die unter dem Druck der Erdschwere gebeugt einherschleichenden Martier nicht gewachsen waren. Denn auch Grunthe war nach wenigen Tagen wieder in seiner Gesundheit völlig hergestellt und spürte keinerlei üble Folgen seiner Fußverletzung. Saltner aber hatte sich durch die entschlossene und geschickte Rettung Las die Achtung der Martier erworben.

      Überraschend schnell hatte sich das gegenseitige Verständnis durch die Sprache angebahnt. Dies war natürlich hauptsächlich durch die glückliche Auffindung der kleinen deutsch- martischen Sprachanweisung gelungen. Es zeigte sich, daß diese von ihrem Verfasser Ell ganz speziell für diejenigen Bedürfnisse ausgearbeitet war, die sich bei einem ersten Zusammentreffen der Menschen mit den Martiern für beide Teile herausstellen würden. Denn es waren darin weniger die alltäglichen Gebrauchsgegenstände und Beobachtungen berücksichtigt, über welche man sich ja leicht durch die Anschauung direkt verständigen kann, wie Speise und Trank, Wohnung, Kleidung, Gerätschaften, die sichtbaren Naturerscheinungen und so weiter; vielmehr fanden sich gerade die Ausdrücke für abstraktere Begriffe, für kulturgeschichtliche und technische Dinge darin verzeichnet, so daß es Grunthe und Saltner möglich wurde, sich über diese Gedankenkreise mit den Martiern zu besprechen. Ell hatte offenbar vorausgesehen, daß, wenn wissenschaftlich gebildete Europäer mit den in der Kultur ihnen überlegenen Martiern zusammenkämen, das Hauptinteresse darin bestehen müßte, sich gegenseitig über die allgemeinen Bedingungen ihres Lebens zu unterrichten.

      Es erregte übrigens bei den Martiern keine geringere Verwunderung wie bei den beiden Forschern, daß auf Erden ein Mensch existiere, der sowohl die Sprache und Schrift der Martier beherrschte als auch eine ziemlich zutreffende Kenntnis der Verhältnisse auf dem Mars besaß. Aus gewissen Einzelheiten schlossen sie allerdings, daß diese Kenntnis sich nur auf weiter zurückliegende Ereignisse bezog, daß insbesondere die Tatsache der Marskolonie am Pol der Erde dem Verfasser des Sprachführers nicht bekannt war, wohl aber das Projekt der Martier, die Erde an einem ihrer Pole zu erreichen. Der Name Ell war in einigen Landschaften des Mars nicht selten. Die gegenwärtigen Polbewohner erinnerten sich der Berichte, daß bei den ersten Entdeckungsfahrten nach der Erde mehrfach Fahrzeuge verschollen waren, ohne daß man jemals etwas über das Schicksal der kühnen Pioniere des Weltraums hatte erfahren können. Von einem berühmten Raumfahrer, dem Kapitän All, wußte man sogar gewiß, daß er mit mehreren Gefährten infolge eines unglücklichen Zufalls auf der Erde zurückgelassen worden war, allerdings unter Umständen, welche allgemein an seinen baldigen Untergang glauben ließen. Immerhin war es wohl denkbar, daß einer oder der andere dieser Martier zu Menschen sich gerettet und die Kunde vom Mars dahin gebracht hätte. Diese Ereignisse aber lagen dreißig bis vierzig Erdenjahre zurück, und jene Männer selbst waren alle in vorgeschrittenerem Alter gewesen, da eine Beteiligung jüngerer Leute an jenen ersten, unsicheren Fahrten nicht bekannt war. Ell selbst, der etwa mit Grunthe gleichaltrig oder nur ein wenig älter war, konnte also nicht zu ihnen gehören. Und Grunthe wie Saltner konnten versichern, daß von einem Auftauchen eines Marsbewohners, ja überhaupt von der Existenz solcher Wesen, auf der Erde nichts bekannt sei. Ell war der einzige, der ein solches Wissen besaß, dies aber bis auf jene beiläufigen Redensarten, die Grunthe nicht ernsthaft genommen, durchaus verborgen gehalten hatte. Wie er selbst dazu gekommen war, blieb ebenso unaufgeklärt wie die Umstände, durch welche jene Sprachanweisung in das Flaschenfutteral gelangt sein konnte, das Frau Isma Torm der Expedition als eine scherzhafte Überraschung am Nordpol mitgegeben hatte.

      Den Bemühungen der Deutschen, sich die Sprache der Marsbewohner anzueignen, kamen diese bereitwillig entgegen, so daß Saltner und insbesondere Grunthe sehr bald ein Gespräch auf martisch führen konnten; gleichzeitig fand es sich, daß auch die Martier, welche den täglichen Umgang der beiden bildeten, das Deutsche beherrschten. Ersteres wurde dadurch möglich, daß die Verkehrssprache der Martier außerordentlich leicht zu erlernen und glücklicherweise für eine deutsche Zunge auch leicht auszusprechen war. Sie war ursprünglich die Sprache derjenigen Marsbewohner gewesen, die auf der Südhalbkugel des Planeten in der Gegend jener Niederungen wohnten, welche von den Astronomen der Erde als Lockyer-Land bezeichnet werden. Von hier war die Vereinigung der verschiedenen Stämme und Rassen der Martier zu einem großen Staatenbund ausgegangen, und die Sprache jener Zivilisatoren des Mars war die allgemeine Weltverkehrssprache geworden. Durch einen Hunderttausende von Jahren dauernden Gebrauch hatte sie sich so abgeschliffen und vereinfacht, daß sie der denkbar glücklichste und geeignetste Ausdruck der Gedanken geworden war; alles Entbehrliche, alles, was Schwierigkeiten verursachte, war abgeworfen worden. Deswegen konnte man sie sich sehr schnell soweit aneignen, daß man sich gegenseitig zu verstehen vermochte, wenn es auch außerordentlich schwierig war, in die Feinheiten einzudringen, die mit der ästhetischen Anwendung der Sprache verbunden waren.

      Übrigens war dies nur die Sprache, die jeder

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