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die Neuangetretenen genau, ob unsere Banden noch in Ordnung seien. Keiner von ihnen merkte, daß Emerys Riemen gelockert werden konnte.

      Die Roten waren sehr lange wach. Wir hörten ihre Stimmen bis nach Mitternacht. Jedenfalls sprachen sie von uns, und das war allerdings ein Gesprächsstoff, den sie noch viel länger hätten ausspinnen können. Endlich wurde es ruhig; sie schienen sich schlafen gelegt zu haben.

      Wir aber schliefen natürlich nicht; wir lagen mit den Köpfen nahe bei einander und unterhielten uns im Flüstertone, sodaß unsere Wächter nichts hören konnten. Das Feuerchen brannte noch, doch war der Holzhaufen jetzt so klein geworden, daß er in einer Stunde zu Ende sein mußte. Wir bedienten uns jetzt der englischen Sprache, damit Winnetou sich mit beteiligen könne.

      »Verwünschte Geschichte!« knurrte Emery. »Selbst wenn es uns gelingt, hinauszukommen, ist es nun beinahe zu spät geworden!«

      »Wieso zu spät?« fragte ich.

      »Das versteht sich doch ganz von selbst! Es ist draußen zwar still, aber wir wissen doch nicht, ob sie alle schlafen; darum müssen wir noch warten, wenigstens noch eine Stunde. Und dann ist die Ablösung nahe, welche sofort bemerkt, was geschehen ist.«

      »So warten wir eben, bis diese vorüber ist.«

      »Das ist eine kostbare Zeit, die wir nicht wieder einholen können. Und wenn wir hier hinaus sind, können wir noch nicht gleich fort; denn wir müssen doch Pferde haben. Wer weiß, wie lange es dauert, ehe es uns gelingt, in den Sattel zu kommen. Leicht werden wir dabei erwischt!«

      »Man wird uns nicht dabei erwischen, weil es uns nicht einfallen wird, uns bei den Pferden aufzuhalten.«

      »Wie? Du willst, daß wir zu Fuße fliehen?«

      »Ja.«

      »Zu Fuße fort! Da kannst du darauf schwören, daß sie uns einholen werden!«

      »Gewiß nicht. Wir fliehen zu Fuße, aber nicht weit, denn wir werden das Thal gar nicht verlassen.«

      »Nicht? Erkläre dich deutlicher!«

      »Es handelt sich vor allen Dingen um unsere Waffen. Es ist anzunehmen, daß wir dieselben jetzt nicht erwischen können. Fliehen wir weit fort, so büßen wir sie ein. Wir bleiben also hier, um den Augenblick zu erwarten, an welchem wir sie uns nehmen können.«

      »Wie ist es möglich, hier zu bleiben? Giebt es denn ein Versteck, in welchem wir sicher sein könnten?«

      »Ja, im Grabe des Häuptlings.«

      »Ah! Das ist ein kühner, ein verwegener Gedanke!«

      »Bei weitem nicht so verwegen, wie du denkst. Es wäre viel gewagter, wenn wir das Todesthal verlassen und über die weite Ebene fliehen wollten, wo wir auf große Entfernung hin gesehen werden können. Wir hätten die Verfolger gleich beim Beginn des Tages hinter uns und würden gewiß eingeholt. Was das zu bedeuten hat, wenn wir weder Pferde noch Waffen besitzen, das brauche ich dir nicht erst zu sagen.«

      »Aber ist es denn so gewiß, daß wir nicht zu den Pferden können und auch die Waffen zurücklassen müssen?«

      »Beinahe gewiß. Auch handelt es sich nicht nur um die Waffen, sondern auch um die andern Gegenstände, welche man uns abgenommen hat.«

      »Können wir nicht hinschleichen und sie heimlich nehmen?«

      »Wahrscheinlich nicht. Es ist vorauszusehen, daß wir dabei ertappt würden.«

      »So mögen sie uns ertappen! Alle Wetter, wenn ich nur erst meine Glieder frei habe, dann will ich den Roten sehen, der mich wieder fangen soll!«

      »Meinst du, daß ich weniger entschlossen bin, als du? Aber ich habe keine Lust, mich, wenn ich einmal frei bin, wieder fangen zu lassen. Ich sage auch gar nicht, daß mein Gedanke, uns im Grabe des Häuptlings zu verstecken, unbedingt ausgeführt werden soll. Wenn wir uns von den Fesseln befreit haben, werden wir erst sehen, ob die Roten alle schlafen und wie es mit unsern Sachen steht. Dann wissen wir, wie wir uns zu entscheiden haben.«

      »Ja!« flüsterte jetzt Winnetou, welcher bisher geschwiegen hatte. »Der Plan meines Bruders Shatterhand ist sehr gut. Die Komantschen werden nicht alle fortreiten, denn sie wissen, daß wir laufen müssen und unbewaffnet sind, uns also nicht wehren können. Sie werden denken, es sei sehr leicht, uns wieder festzunehmen. Darum wird der Häuptling nicht alle fortschicken, zumal doch jemand unsere Sachen bewachen muß.«

      »Wieso unsere Sachen bewachen?« fragte Emery.

      »Mein Bruder weiß doch, daß wir unverletzt in die ewigen Jagdgründe gesandt werden sollen. Wenn dies geschieht, so giebt man uns auch alles mit, was wir besessen haben. Winnetou kennt die Gebräuche der roten Männer sehr genau. Unsere Körper und Glieder sollen nicht beschädigt werden, damit wir in den ewigen Jagdgründen tüchtige und starke Sklaven des toten Häuptlings sein können. Da giebt man uns auch unsere Waffen und alles andere mit, damit die Gegenstände jenseits in das Eigentum der »starken Hand« gelangen. Durch unsere Gewehre wird der tote Komantsche in den ewigen Jagdgründen der berühmteste Krieger werden.«

      »Ah, so! Die Komantschen glauben also, daß alles, was man mit uns begräbt, mit uns ins jenseitige Leben gelangt?«

      »Ja. Wir werden dem Toten geopfert und also drüben seine Diener sein; folglich wird ihm alles gehören, was wir mit hinüber bringen. Doch still, die Ablösung kommt!«

      Unsere Wächter standen auf, um den beiden, welche jetzt kamen, Platz zu machen. Letztere untersuchten ebenso, wie es die vorigen gethan hatten, unsere Riemen und setzten sich dann nieder. Dabei schob der eine von ihnen die letzten Pflanzenstengel, welche es gab, in das Feuer, das nur noch einige Minuten brannte und dann verlöschte.

      Jetzt, da das Feuer nicht mehr brannte, wurde der Himmel für uns sichtbar. Es zogen Wolken darüber hin, zwischen denen nur einzelne Sterne herniederschimmerten. Es war draußen vor unserm Felseneinschnitte so dunkel, daß wir die beiden Komantschen, obgleich sie höchstens drei Meter von uns entfernt lagen, kaum sehen konnten.

      Als eine Viertelstunde vergangen war, zog Emery die Hände aus dem Riemen und machte dann mit Hilfe seines kleinen Messerchens auch seine Füße frei. Dann knüpfte er unsere Riemen auf, was einige Zeit erforderte. Es wäre weit schneller gegangen, wenn er sie durchschnitten hätte, aber wir brauchten sie für unsere Wächter. Das wollte ihm freilich nicht in den Kopf. Er flüsterte uns zu:

      »Es wäre viel besser, sie zu töten, anstatt sie nur zu betäuben. Ein einziger Ruf von ihnen kann uns gefährlich werden.«

      »Die Möglichkeit, daß sie Zeit zu einem Hilferufe bekommen, ist in beiden Fällen vorhanden,« antwortete ich ihm, »und man tötet einen Menschen nur dann, wenn es unbedingt notwendig ist.«

      »Well, wie du willst! Wer macht sich über sie her? Wir drei?«

      »Nein, nur Winnetou und ich. Wir haben den Griff besser weg, als du. Ich nehme den rechts, und Winnetou faßt den linken.«

      Unsere Hände hatten von den Riemen gelitten; wir rieben und kneteten die Gelenke, um den Umlauf des Blutes zu unterstützen; dann gingen wir an das Werk, bei welchem es galt, außerordentlich vorsichtig zu sein, denn die beiden Roten saßen draußen so, daß sie uns die Gesichter zukehrten. Wir mußten auf sie zukriechen. Wenn sie uns nur einen einzigen Augenblick eher bemerkten, als wir ihre Kehlen zwischen unsern Händen hatten, war unser ganzer Plan zunichte.

      Glücklicherweise war es bei uns noch dunkler, als draußen bei ihnen. Wir erhoben uns auf die Kniee und rutschten auf sie zu. Dabei schlossen wir die Augen soweit, daß wir eben nur noch unter den Lidern hervorblicken konnten, denn ein offenes Auge ist selbst in solcher Finsternis, wenn es durch eine seelische Erregung erleuchtet wird, zu erkennen. Es galt zweierlei: erstens mußten wir so schnell und sicher zugreifen, daß keine Zeit zu einem Ausrufe, selbst nicht zu einem Röcheln oder Stöhnen blieb, und zweitens mußte dies vollständig geräuschlos geschehen, weil jeder hörbare Stoß oder Fall die andern Roten aufmerksam machen konnte. Ganz von selbst verstand es sich, daß wir zu gleicher Zeit zugreifen mußten, wenn der Coup gelingen sollte.

      Wir kamen ihnen näher und näher. Da berührte Winnetou meinen Arm; das war das Zeichen. Ich schnellte mich sofort

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