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halten. Wie groß war mein Erstaunen, als ich nichts, aber auch gar nichts zu entdecken vermochte, was ich hätte himmlisch oder paradiesisch nennen können! Ich befand mich in einer unbeschreiblich kahlen, öden, leblosen Traurigkeit. Man hatte es nicht einmal für der Mühe wert gehalten, die Innenseite der Mauer ebenso zu bemalen wie die äußere. Die Malereien da draußen waren angebracht worden, durch die mit ihnen bezweckte Täuschung die kurzsichtigen und vertrauensseligen Gläubigen anzulocken. Da man aber keinen, der das Chabl el Milal hinter sich hatte, wieder zurückkehren ließ, so hielt man es nicht für nötig, diese Beschönigungen dann im Paradiese fortzusetzen. Ich sah weder Baum noch Strauch. Kein Wasser floß. Kein Weg war zu erkennen. Nichts als verwehte Spuren im ausgetrockneten, unfruchtbaren Sande, so lag vor meinen Augen das sogenannte Eden, von welchem die »Erleuchteten des Herrn« in hundert Zungen der Verzückung sprachen! Es mußte jedem Fuße grauen, einen Vorwärtsschritt in diese wüste Hoffnungslosigkeit zu wagen. Und doch schien man es für ganz selbstverständlich zu halten, daß jeder Angekommene diese ihn ganz unvermeidlich packende Angst zu überwinden habe. Es war dafür gesorgt, daß kein am Eingang Stehengebliebener den Nachfolgenden diese seine Bangigkeit verraten konnte. Es gab hier schnellbereite Wesen, welche ihn sofort wegzuschaffen hatten. Sie standen zu beiden Seiten des Thores, um, hinter der Mauer versteckt, bei jeder neuen Ankunft als vorzüglich auf den Mann dressierte Kameele und Esel schnell herbeizueilen, damit niemand Zeit finde, bedenklich zu werden. Auch als ich erschien, rührten sie augenblicklich die Beine. Da aber sahen sie mein Pferd. Das war genug für sie, mir fern zu bleiben. Wie bei den Menschen alles Unedle von dem Edlen abgestoßen wird, so auch hier bei diesen Tieren. Ich nahm mir Zeit, sie zu betrachten. Die Esel waren alle von tiefdunkelster Farbe, klein, fast winzig, doch mit so hochgehendem Sattelgestell, daß der Hinaufgekletterte sich wohl sehr erhaben vorkommen konnte. Anstatt des gebräuchlichen Riemenzeuges gab es nur eine kurze Aufsatzleine, welche das Maul des Esels so in die Höhe zog, daß die Augen nichts mehr von der Erde, sondern nur noch den Himmel sehen konnten. Das war so tierquälerisch, daß ich den Kopf über den Unverstand schütteln mußte, der zu dem zwange, zu allem immer nur »Ja« sagen zu müssen, auch noch diese »Köpfe-hoch-Dressur« zu fügen weiß! Aber dieses Zuviel für das Tier hatte man durch ein Zuwenig für den Reiter ausgleichen zu müssen gemeint: Es gab für ihn keinen Zügel, um den Esel zu lenken. Er mußte einfach dorthin, wohin der letztere abgerichtet worden war.«

      Der Ustad hatte während dieser Beschreibung mit gebeugtem Kopfe nur in sich hineingeschaut. Jetzt sah er mich an und fragte:

      »Hast du mich verstanden, Effendi?«

      »Ja,« nickte ich.

      »Willst du etwas dazu bemerken?«

      »Jetzt nicht, sondern später, wenn du fertig bist. Ich könnte ja nicht ganz und voll antworten, wenn ich dich nur halb sprechen ließe. Also bitte, weiter!«

      »Ja weiter: die Kamele! Du kennst die edlen, herrlichen Bischarihn-Hedschihn, welche für Geld fast nie zu haben sind. Ihre Vornehmheit wird durch Stammbäume nachgewiesen. Du kennst auch das unvergleichlich nützliche bucharische oder turkistanische Kamel, ohne welches es in jenen Gegenden der Erde weder Leben noch Bewegung geben könnte. Doch kennst du auch jene tief verkommene Art des Kameles, welche bei euch in ungesunden, lichtlosen Ställen gezogen wird, um in Gesellschaft von Bären, Stachelschweinen und Murmeltieren dressierte Affen durch die Welt zu tragen? Als ich noch Knabe war, fand ich sie sehr belustigend. Seitdem ich aber edle Rasse kenne, thut mir der Anblick solcher Tiere wehe. Man sagt, daß diese Zucht vorzugsweise von Italien ausgehe. Wenigstens pflegen die Führer solcher Sehenswürdigkeiten, welche fast immer Virtuosen auf der Sackpfeife sind, nach welcher Bär und Affe tanzen müssen, meist italienischen Geblütes zu sein. Nun denke dir ein solches, im tiefsten Schmutze geborenes und mit der Peitsche erzogenes Kamel, mit Dornen und Disteln gefüttert und mit schmutzigem Wasser getränkt, nie vom Ungeziefer gereinigt, ein vom Hunger und Elend gefügig gemachtes Skelett mit haarlos geschundener Haut und wundem Gehufe, so hast du ein Bild der Kamele, die hier in dem Himmelreich standen, von fettreichen Pächtern entmagert, für die sie die Qualen zu dulden und sich schweigend zu opfern hatten! Ihre tiefhängenden Köpfe waren mit Doppelstricken an beide Kniee gefesselt, so daß sie nie den Himmel, sondern nur die Erde in den Augen hatten. Zum Kniebeugen reichten diese Stricke aus, doch nicht dazu, das Haupt emporzuheben. Und einen weiten, freien Schritt zu thun, auch das litt diese ihre Fessel nicht. Sie konnten nur behutsam vorwärtsschleichen und hatten nichts zu thun als das, was die Dressur befahl. An ihren Mäulern hingen Lippenkörbe, damit sie gegen Züchtigungen sich ja nicht wehren könnten und ja nicht von den giftigen Kräutern fräßen, an denen zwar sogar Kameele sterben, die aber für die Zwecke solcher Paradiese besonders wertvoll sind. Die Sättel waren hohe Throngestelle, mit farbenreichem Teppichwerk belegt, mit Fransen- und mit Federschmuck behangen, so daß der Reiter, falls es ihm gelang, sich auf der stolzen Höhe festzusetzen, und wenn er jene Phantasie besaß, die leidenschaftlich gern auf Höckern reitet, sich leicht als Allahs Liebling dünken konnte. – — – Hast du auch dieses Bild verstanden, Sihdi?«

      »Ja,« antwortete ich. »Es ist ja deutlicher, als ich es geben möchte. Ich bitte dich, dein Pferd nun abzuwenden!«

      »Ich habe es gethan. Ich ritt davon, mit offenem Auge in dieses vielgerühmte Himmelreich hinein. Fragst du mich vielleicht, wie lange es dauerte, bis ich es kennen gelernt hatte? Ein ganzes, ganzes Menschenelend lang! Soll ich beschreiben, was ich sah, was ich entdeckte? Wer kann Unbeschreibliches beschreiben! Schon gleich am ersten Tage blieb ich nicht allein. Der Menschheitsjammer kam zu mir und weinte mir aus tiefen Augenhöhlen zu. Er hat mich nicht verlassen bis zum letzten Schritt. Das Erdenweh gesellte sich zu mir. Es kroch zu mir aufs Pferd und schlang die Arme fest um meine Hüften. Des Lebens Elend faßte meinen Bügel und schleppte sich an meiner Seite weiter. Es kam die Not gerannt und griff in die Kandare, um mich in meiner Richtung zu beirren. Wenn sich die Dämmerung senkte, tanzten die Schatten des Verbrechens vor mir her, und in der stillen Nacht begannen Schuld und Strafe hinter mir zu heulen. Ich ritt wochenlang durch Trümmerstätten, in denen mich der hohnlachende Menschenwahn als Gespenst der Vernichtung begrüßte. Ich kam über schier endlose Gräberfelder, aus deren Höhlen das irre Gekicher der Unduldsamkeit schrillte. Ich sah Tempelruinen, in denen der Unverstand im tiefsten Stumpfsinne hockte. Um die zerbrochenen Säulen einstiger Heiligtümer schlug die Narrheit ihre widerlichen Capriolen. An ausgetrockneten Quellen träumte die Gleichgültigkeit in Lumpen, die ihre Blöße kaum bedecken konnten. Die Scheinheiligkeit andächtelte vor eingestürzten Kapellen, für deren Erhaltung sie keine Hand gerührt hatte. Zuweilen tauchte am Horizonte einer jener Reiter auf, welche Einlaßkarten besessen hatten; aber sein Tier wendete sich sofort zur Flucht, sobald es sah, daß ich kein Kamel und keinen Esel ritt. Und wenn sich irgendwo noch ein anderes Wesen in diesem starren Himmelreiche zeigte, so hatte ich entweder einen listigen Fennek[5] gesehen, der mit Lammesaugenaufschlag schnell verschwand, oder es war ein fraßgieriger Dibb[6], welcher mit eingezogenem Schwanze und heuchlerisch gesenktem Kopfe von weitem an mir vorüberschlich.«

      Hier ließ der Ustad eine weitere Pause eintreten. Ich war ihm mit großem Interesse gefolgt. Nun fühlte ich eine Lücke in seiner Darstellung. Darum fragte ich:

      »Aber alle die Unzähligen, welche Einlaß bekommen haben? Sie können dir doch nicht so einzeln erschienen und gleich wieder verschwunden sein!«

      »Nein,« antwortete er. »Ich kann sie dir leider nicht ersparen. Meinst du vielleicht, dieses Paradies sei von einer himmlisch friedfertigen, sich gegenseitig liebenden und stützenden Bevölkerung bewohnt? Glaubst du, dorteinen Hirten und eine Herde zu finden? Ich kenne so gut wie du das verheißende Wort: »Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, das wird von Gott bereitet denen, die ihn lieben.« Welche unbeschreiblichen Glückseligkeiten aber waren es, welche ich zu sehen und zu hören bekam? Höre und staune! Hast du schon einmal vernommen, daß es unter den wilden Tieren welche giebt, die sich von ihresgleichen zurückgezogen haben und sie so grimmig hassen, daß sie jedes, welches in ihren Bereich kommt, sofort zerreißen oder sonst vernichten?«

      »Ja. Dies ist besonders bei den Elefanten, Nashörnern, Löwen, Tigern und andern Raubtieren der Fall. Man pflegt solche Exemplare »Einsiedler« zu nennen.«

      »Nun, so wisse, daß

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<p>5</p>

Wüstenfuchs.

<p>6</p>

Hyäne.